VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 09.04.2008 - 4 K 229/08.WI - asyl.net: M13418
https://www.asyl.net/rsdb/M13418
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, Passlosigkeit, Passbeschaffung, Mitwirkungspflichten, Verschulden, Libanesen, Zumutbarkeit, Beweislast
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG § 82
Auszüge:

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung seines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, weil der Beklagten das Ermessen in § 25 Absatz 5 Satz 1 AufenthG nicht eröffnet ist.

Nach dieser Vorschrift darf die Aufenthaltserlaubnis auch nach der Ausnahmevorschrift des § 25 Absatz 5 AufenthG nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Vielmehr hat der Kläger zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt, mithin seine Passlosigkeit selbst zu vertreten, und daher keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Absatz 5 AufenthG.

Zunächst treffen, wie aus § 82 Satz 1 AufenthG und dem subjektiven Begriff des "Verschuldens" folgt, den Ausländer eine Mitwirkungspflicht sowie eine Initiativpflicht.

Dies bedeutet einerseits, dass er an allen (zumutbaren) Handlungen mitwirken muss, die die Behörden von ihm verlangen. Hierzu gehört es, dass er Anträge ausfüllt, Bilder beibringt, bei der Vertretung seines Heimatlandes vorspricht und etwa Dokumente im Heimatland beschafft, welche für den weiteren Verfahrensfortgang relevant sind. Vorbehaltlich der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit einer Handlung hat der Ausländer von der Ausländerbehörde vorgegebene Handlungen zeitnah und zuverlässig zu erfüllen. Er ist gehalten, die von ihm konkret geforderten Schritte zu unternehmen (Mitwirkungspflicht). Daneben steht ihm jedoch nicht die Möglichkeit offen, ansonsten völlig untätig und passiv zu bleiben und nur darauf zu warten, welche weiteren Handlungen die Behörde von ihm verlangt. Er kann sich mithin nicht allein auf die Erfüllung derjenigen Pflichten stützen, die ihm konkret vorgegeben werden. Vielmehr ist auch der ausreisepflichtige Ausländer gehalten, eigenständig die Initiative zu ergreifen, um nach Möglichkeiten zu suchen, das bestehende Ausreisehindernis zu beseitigen. Dies gilt umso mehr, als oft nur er selbst in der Lage ist, die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten. Zu den hier denkbaren Pflichten gehört etwa die Beschaffung von Identitätsnachweisen im Heimatland über Dritte (insbesondere Verwandte), die Benennung von Zeugen oder die Angabe des Arbeitgebers, der Militärdienstzeiten usw. Der Ausländer hat sich zumindest Gedanken darüber zu machen (und diese dann auch in die Tat umzusetzen), welche Möglichkeiten für ihn bestehen, noch offene Punkte aufzuklären und zu belegen. Ein zur Ausreise verpflichteter Ausländer, dem bekannt ist, dass seiner Ausreise Hindernisse entgegenstehen, die er gegebenenfalls beseitigen kann, hat die Pflicht, nach Möglichkeiten zu suchen, wie diese Hindernisse aus der Welt geschaffen werden können. Er ist gehalten, ihm mögliche und bekannte Schritte in die Wege zu leiten, auch wenn die Ausländerbehörde ihm dies nicht konkret vorgibt (Initiativpflicht).

Eine Grenze ergibt sich dabei aus der Frage, welche Möglichkeiten ihm bei objektiver Betrachtungsweise bekannt sein können. Nur insoweit kann ihm nämlich eine subjektive Verantwortlichkeit und ein Verschulden angelastet werden. Handlungen, die unmöglich, unzumutbar oder unverhältnismäßig sind, können auch im Rahmen der Prüfung des § 25 Abs. 5 AufenthG nicht verlangt werden. Je nach Herkunftsland und persönlicher Situation des Betroffenen kann diese Frage unterschiedlich zu beantworten sein. Beispielsweise ist es durchaus möglich, dass die Einschaltung eines Anwalts im Heimatland von einem Ausländer nicht gefordert werden kann, weil ihm dieser Weg unbekannt ist oder entsprechende Kontakte gänzlich fehlen. Auch können keine Unterlagen aus der Heimat nachgefordert werden, wenn der Ausländer dort über keinerlei Bezugspersonen mehr verfügt. Allerdings gilt, dass dann, wenn bestimmte Dokumente nicht mehr vorhanden sind, sich der Ausländer durchaus Gedanken darüber zu machen hat, mit welchen anderen Unterlagen oder Schriftstücken er seine Herkunft und Identität beweisen kann.

Eine zweite Grenze der zu fordernden Initiativen bilden daneben die Fälle, in welchen weitere Handlungen nicht zugemutet werden können. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Ausländer durch Nachfragen in seiner Heimat Familienangehörige in akute Lebensgefahr bringt, wenn mit weiteren Ermittlungen so erhebliche Kosten verbunden wären, dass sie von ihm nicht aufgebracht werden können oder wenn er gesundheitlich etwa nicht in der Lage ist, erforderliche Handlungen durchzuführen.

Die Erfüllung der dem Ausländer obliegenden Pflichten (Mitwirkungspflicht und Initiativpflicht) hat dieser zu belegen und nachzuweisen. Gelingt ihm dies nicht, spricht vieles für die Annahme, er habe die Ausreisehindernisse verschuldet bzw. zumutbare Anforderungen nicht erfüllt (so auch Beschluss des BayVGH vom 19.12.2005, Az. 24 C 05.2856 und Urteil des BayVGH vom 23.03.2006, 24 B 05.2889).

Der von dem Bevollmächtigten des Klägers bei der libanesischen Botschaft eingereichte schriftliche Passantrag heilt die sonstige Verweigerungshaltung des Klägers zur Beschaffung von Heimreisepapieren nicht. Wie aus dem Merkblatt der libanesischen Botschaft zur Neuausstellung eines Documents de Voyage für Palästinensische Flüchtlinge zu entnehmen ist, bedarf es der Beifügung von Identitätsnachweisen zur Bearbeitung eines solchen Antrages. Über persönliche Dokumente, die die Identität des Klägers belegen, verfügt er nach eigenen Angaben nicht. Der Passantrag ist daher als von vornherein aussichtslos anzusehen. Anstrengungen des Klägers zur Beschaffung solcher Identitätsnachweise sind offensichtlich nicht erfolgt.