VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 29.04.2008 - 5 K 2619/06 - asyl.net: M13440
https://www.asyl.net/rsdb/M13440
Leitsatz:

Die grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu beurteilende Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung setzt voraus, dass der Ausländer bei ihrem Erlass - oder jedenfalls spätestens bei Beginn der in der Androhung bestimmten Ausreisepflicht - vollziehbar ausreisepflichtig ist (andere Auffassung VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.04.2003 - 11 S 1188/02 -).

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, nachträgliche Befristung, Rechtsschutzbedürfnis, Geltungsdauer, Erlöschen, Verlängerungsantrag, Fortgeltungsfiktion, Beurteilungszeitpunkt, Ermessen, Ehegattennachzug, eheliche Lebensgemeinschaft, Verhältnismäßigkeit, Abschiebungsandrohung, Ausreisepflicht, Vollziehbarkeit, Suspensiveffekt, Ausreisefrist
Normen: AufenthG § 7 Abs. 2 S. 2; AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 27 Abs. 1; AufenthG § 59 Abs. 1; AufenthG § 58 Abs. 3; AufenthG § 84 Abs. 2; AufenthG § 50 Abs. 2; AufenthG § 59 Abs. 1
Auszüge:

Die grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu beurteilende Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung setzt voraus, dass der Ausländer bei ihrem Erlass - oder jedenfalls spätestens bei Beginn der in der Androhung bestimmten Ausreisepflicht - vollziehbar ausreisepflichtig ist (andere Auffassung VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.04.2003 - 11 S 1188/02 -).

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Klage ist zulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage gegen die nachträgliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis ist nicht deshalb entfallen, weil zwischenzeitlich am 17.12.2006 die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis vom 29.03.2005 abgelaufen und diese damit nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erloschen ist. Denn die Verfügung entfaltet auch in einem solchen Fall in Zukunft noch Rechtswirkungen in Bezug auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Ausländers im Bundesgebiet in dem Zeitraum, um den die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis durch die nachträgliche Beschränkung verkürzt worden ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Ausländer - wie hier mit Schreiben vom 07.12.2006 - rechtzeitig vor Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis einen Verlängerungsantrag gestellt hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.10.2007 - 11 S 2967/06 -; Armbruster, HTK-AuslR/§ 7 AufenthG/zu Abs. 2/Satz 2 12/2007 Nr. 9).

Die Klage ist auch teilweise begründet.

1.) Rechtsgrundlage für die nachträgliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis ist § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Im maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage, das ist im vorliegenden Fall der Zeitpunkt der Zustellung der Verfügung am 25.04.2006, lagen die Voraussetzungen für eine Verkürzung der Frist für die Aufenthaltserlaubnis vor.

Bei der gerichtlichen Kontrolle der nachträglichen zeitlichen Beschränkung einer Aufenthaltserlaubnis ist grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen (BVerwG, Urt. v. 28.05.1991 - 1 C 20/89 -, NVwZ 1992, 177; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.03.1998 - 13 S 2792/96 - und Beschl. v. 15.10.2002 - 11 S 1104/01 - VBlBW 2003, 169). Dies folgt aus der rechtsgestaltenden Wirkung der nachträglichen Befristung einer Aufenthaltserlaubnis. Im vorliegenden Fall besteht nach der Verfügung vom 21.04.2006 die Besonderheit, dass die Beschränkung bereits zu einem früheren Zeitpunkt Wirksamkeit erlangen soll, nämlich mit ihrer Bekanntgabe/Zustellung. In diesem Fall ist für diesen Zeitpunkt festzustellen, ob eine wesentliche Voraussetzung im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG entfallen ist und ob die Befristung deshalb ausgeschlossen ist, weil dem Ausländer aus anderen Gründen ein Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zusteht (OVG NRW, Beschl v. 12.07.2006 - 18 B 119/06 -, juris). Aus dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) ergibt sich mangels einschlägiger Übergangsregelungen kein anderer Beurteilungszeitpunkt.

Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Befristung liegen vor, denn die der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zugrundeliegende wesentliche Voraussetzung des Bestandes einer ehelichen Lebensgemeinschaft (vgl. § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) war im April 2005 entfallen. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt keinen (anderen) Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gehabt. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte das ihr nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingeräumte Ermessen (§ 40 LVwVfG) fehlerhaft ausgeübt hätte (§ 114 VwGO).

Die nachträgliche Befristung auf den 25.04.2006 ist auch nicht deshalb unverhältnismäßig bzw. ermessensfehlerhaft, weil die Aufenthaltserlaubnis ohnehin nur noch bis 17.12.2006 gültig gewesen wäre. Die Beklagte hat ihre Entscheidung an (Nr.) 7.2.2.7 der Zusammengefassten Vorgaben des Innenministeriums zur Anwendung aufenthalts- und asylrechtlicher Regelungen (ZV-AufenthR 2005) orientiert. Danach kann grundsätzlich von einer nachträglichen zeitlichen Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis abgesehen werden, wenn deren Geltungsdauer nur noch sechs Monate beträgt und keine gewichtigen Gründe für eine (umgehende) Entfernung des Ausländers aus dem Bundesgebiet vorliegen. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung der Beklagten war die Aufenthaltserlaubnis jedoch noch länger als sechs Monate gültig. Im Übrigen sind keine weiteren Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt hätte.

2) Die Abschiebungsandrohung nach Ziffer 3 der Verfügung der Beklagten vom 21.04.2006 in der insoweit nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO maßgeblichen Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 25.09.2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn der Kläger war bei Beginn der in der Abschiebungsandrohung bestimmten Frist nicht vollziehbar ausreisepflichtig.

Rechtsgrundlage der Abschiebungsandrohung ist § 59 Abs. 1 AufenthG in der Fassung vom 30.07.2004. Danach soll die Abschiebung schriftlich unter Bestimmung einer Ausreisefrist angedroht werden. Die grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu beurteilende Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung setzt voraus, dass der Ausländer bei ihrem Erlass - oder jedenfalls spätestens bei Beginn der in der Androhung bestimmten Ausreisepflicht - vollziehbar ausreisepflichtig ist (§§ 50, 58 AufenthG) und die weiteren Anforderungen nach § 59 AufenthG erfüllt sind (vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urt. vom 04.12.1996 - 13 S 3126/95 -, InfAuslR 1997, 245; Beschl. v. 13.11.1997 - 13 S 2064/97 -, InfAuslR 1998, 126; Renner, aaO, § 59 Rn 5). Dem Kläger ist in der insoweit maßgebenden Fassung des Widerspruchsbescheids die Abschiebung angedroht worden, falls er nicht innerhalb von einem Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheids ausreist. Zu diesem Zeitpunkt ist der Kläger jedoch nicht vollziehbar ausreisepflichtig gewesen (vgl. § 58 Abs. 2 Satz 2). Der Sofortvollzug der nachträglichen Befristung ist nicht angeordnet worden. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die nachträgliche Befristung haben nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG aufschiebende Wirkung, so dass damit der bisherige Rechtszustand, nämlich die bis 17.12.2006 gültige Aufenthaltserlaubnis, weiter fortbestanden hat. Soweit in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten wird, für eine Abschiebungsandrohung sei die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nicht Voraussetzung (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 29.04.2003 - 11 S 1188/02 -, VBlBW 2003, 445; VG Gießen, Beschl. v. 14.11.1997 - 7 G 1371/97 -, NVwZ-RR 1998, 681; Hailbronner, Ausländerrecht, § 59 AufenthG Rn 13 ff.; Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 59 Rn 25 ff.), folgt die Kammer dem nicht. Die Abschiebungsandrohung mit Fristsetzung leitet den Beginn der Vollstreckung ein; sie ist eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung und dient der Durchsetzung der Ausreisepflicht. Ist die Ausreisepflicht ihrerseits jedoch noch nicht vollziehbar, besteht keine Befugnis für den Beginn ihrer zwangsweisen Durchsetzung. Auch Nr. 59.0.3 der Zusammengefassten Vorgaben des Innenministeriums zur Anwendung aufenthalts- und asylrechtlicher Regelungen geht davon aus, dass Voraussetzung für den Erlass der Abschiebungsandrohung die vollziehbare Ausreisepflicht des Ausländers ist.

Die vollstreckungsrechtliche Sichtweise ist auch unter Berücksichtigung der Regelungen in § 50 Abs. 2 Satz 1 AufenthG und § 59 Abs. 1 AufenthG und der dort genannten Fristen nicht zu modifizieren. Nach § 50 Abs. 2 Satz 1 AufenthG hat der Ausländer das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen. § 59 Abs. 1 AufenthG sieht vor, dass dem Ausländer die Ausreise unter Bestimmung einer Ausreisefrist angedroht werden soll. Die Ausreisefrist nach § 50 Abs. 2 AufenthG hat ihren Zweck darin, dem Kläger die Notwendigkeit vor Augen zu führen, seine persönlichen Angelegenheiten im Bundesgebiet zu ordnen und die Maßnahmen einzuleiten, die aus seiner Sicht für eine Vorbereitung der Rückkehr in sein Heimatland erforderlich sind. Die Beachtung dieser Ausreisefrist ist Teil der "Grundpflichten" des Ausländers nach Ablauf seines Aufenthaltsrechts. Solange die Ausreisepflicht aber ihrerseits nicht vollziehbar ist, muss der Ausländer diese Frist nicht einhalten (vgl. auch § 50 Abs. 3 und § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Das Verfahren zur Vollstreckung der Ausreisepflicht, das insoweit mit Erlass der Abschiebungsandrohung in Gang gesetzt wird, setzt dann aber ebenfalls notwendiger Weise die vorausgehende vollziehbare Ausreisepflicht voraus.