VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 26.05.2008 - 5 K 1003/07.TR - asyl.net: M13463
https://www.asyl.net/rsdb/M13463
Leitsatz:

Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG nach Nigeria wegen extremer Gefahr durch HIV-Infektion; keine ausreichenden kostenlosen Behandlungsmöglichkeiten.

 

Schlagwörter: Nigeria, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, HIV/Aids, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG nach Nigeria wegen extremer Gefahr durch HIV-Infektion; keine ausreichenden kostenlosen Behandlungsmöglichkeiten.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Allerdings ist die Beklagte verpflichtet, bei der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.

An diesen Maßstäben ist das Vorbringen der Klägerin zu messen, dass im Rahmen der bei ihr durchgeführten üblichen Schwangerschaftsvorsorge festgestellt worden sei, dass sie HIV-positiv infiziert sei, was durch das im Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten bestätigt wurde, und deshalb bei einer Rückkehr nach Nigeria erheblichen Gefahren ausgesetzt sei.

Allerdings muss gesehen werden, dass in Nigeria nach offiziellen Schätzungen ca. 5 % der Bevölkerung HIV-positiv infiziert sind (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 6. November 2007 - 508-516.80/3 NGA -), so das die Gefahr, die sich aus dem Auftreten von HIV-Infektionen ergibt, möglicherweise "allgemein" im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ist, weil sie eine Vielzahl von Personen betrifft, und deshalb die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch Satz 3 der Norm in Verbindung mit § 60a AufenthG verdrängt wird.

Jedoch ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass in den Fällen, in denen die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch Satz 3 der Norm in Verbindung mit § 60a AufenthG verdrängt wird, weil dieselbe Gefahr zugleich einer Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat droht, gleichwohl Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung auch dann gewährt werden muss, wenn im Abschiebezielstaat für den Ausländer (entweder auf Grund der allgemeinen Verhältnisse oder auf Grund von Besonderheiten im Einzelfall) landesweit eine extrem zugespitzte Gefahr wegen einer notwendigen, aber nicht erlangbaren medizinischen Versorgung zu erwarten ist, wenn mit anderen Worten der betroffene Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006, a.a.O.).

Ausgehend hiervon ist das Gericht der Überzeugung, dass der HIV-positiv infizierten Klägerin bei einer Rückkehr nach Nigeria extreme Gefahren in dem vorstehend aufgezeigten Sinn drohen, denn die Gesundheitsversorgung in Nigeria ist, vor allem auf dem Lande, mangelhaft. Zwar finden Rückkehrer in den Großstädten eine ausreichende medizinische (Grund-) Versorgung vor, da es sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser gibt. Da indessen die Patienten ihre Behandlung stets selbst bezahlen müssen und Hilfsorganisationen, die für Not leidende Patientinnen und Patienten die Kosten übernehmen, nicht bekannt sind, können aufwendigere Behandlungsmethoden, wie die Behandlung von HIV/Aids, die zwar theoretisch möglich sind, von dem Großteil der Bevölkerung nicht finanziert werden (so das Auswärtige Amt in seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 6. November 2007 - 508-516.80/3 NGA -).

Soweit die Beklagte unter Hinweis auf eine Stellungnahme von ACCORD zu Behandlungsmöglichkeiten für HIV vom 12. Februar 2008 die Auffassung vertritt, dass in Nigeria eine kostenfreie Behandlung von HIV-Erkrankungen möglich sei, vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen. In diesem Bericht ist nämlich ausgeführt, dass es zwar das Ziel der nigerianischen Regierung sei, eine kostenlose Behandlung zu ermöglichen, und dass in den meisten von der Regierung betriebenen Gesundheitszentren antiretrovirale Medikamente gratis zur Verfügung gestellt würden, dass aber gleichwohl nur eine von fünf Personen, die derartige Medikamente benötigten, tatsächlich Zugang zu ihnen hätten. Im Übrigen seien die erforderlichen Laboruntersuchungen und die Behandlung opportunistischer Infektionen nicht kostenfrei. Ferner heißt es in einem Gutachten der Schweizer Flüchtlingshilfe zu Behandlungsmöglichkeiten für Personen mit HIV/Aids vom 12. Juli 2006, dass die Behandlung für viele Patientinnen angesichts der geringen Einkommen unbezahlbar sei.

Ausgehend hiervon ist die Kammer der Überzeugung, dass im Fall der Klägerin bei verfassungskonformer Auslegung die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, weil sie ungeachtet dessen, dass ihr die benötigten Medikamente möglicherweise unentgeltlich überlassen werden, jedenfalls die - wie die Sachverständige ausgeführt hat - "unbedingt erforderlichen" Laboruntersuchungen nicht bezahlen kann.