VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 18.04.2008 - 2 K 3401/06.A - asyl.net: M13587
https://www.asyl.net/rsdb/M13587
Leitsatz:

Konvertiten droht in Pakistan nur dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, wenn sie ihren gesamten Lebenszuschnitt pointiert glaubensorientiert ausgerichtet haben.

 

Schlagwörter: Pakistan, Christen, Konversion, Apostasie, Religion, religiös motivierte Verfolgung, Missionierung, beachtlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Anerkennungsrichtlinie
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b
Auszüge:

Konvertiten droht in Pakistan nur dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, wenn sie ihren gesamten Lebenszuschnitt pointiert glaubensorientiert ausgerichtet haben.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG in Bezug auf Pakistan.

Der Kläger beruft sich in seinem nunmehrigen dritten Asylverfahren nur noch auf Verfolgungsgefahren, die ihm aus seiner Sicht wegen des Übertritts zum Christentum drohen. Eine Gefahrenlage ist für Konvertiten in Pakistan nicht grundsätzlich auszuschließen. Im Falle des Klägers, der unverfolgt aus Pakistan ausgereist ist, ist eine asylrelevante Verfolgungsgefahr aber mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht anzunehmen.

Richtig ist, dass für Pakistani, die vom Islam zum Christentum übergetreten sind, eine besondere Situation besteht, die auch in Verfolgung umschlagen kann (vgl. hierzu die vom Kläger vorgelegten Dokumente NZZ v. 26.02.2006 "Muslime konvertieren heimlich"; "Abdul Rahman, Christ"; oder: "Toleranz im Islam"; Factumonline v. 14.05.2007 "Pakistan: Todesstrafe bei Religionswechsel?"; ai, Gutachten vom 19.09.2003 an das OVG Hamburg; Institut für Islamfragen v. 30.07.2007 "Wenn Muslime Christen werden – der Glaubensabfall im Islam"; IGMF v. 10.05.2007 "Pakistan: Apostasie-Gesetz verlangt Todesstrafe für Konvertiten", Schirrmacher in menschenrechte 2006, S. 23 "Der Abfall vom Islam und seine Folgen – Schariabestimmungen und Praxis"; Flick in menschenrechte 2006, S. 25 "Bedrohte Konvertiten und Zwangsislamisierungen in Pakistan", sowie aus der Pakistan-Dokumentation des Gerichts, soweit die Dokumente nicht schon vom Kläger selber vorgelegt worden sind: Deutsche Bischofskonferenz, Stellungnahme vom 18.11.2003 an das OVG Hamburg; AA, Stellungnahme vom 20.11.2003 an das OVG Hamburg; Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 12.01.2004 an das OVG Hamburg; AA, Auskunft vom 10.03.2004 an das VG Würzburg; Oehring, Gutachten vom 22.07.2004 an das OVG Hamburg; AA, Auskunft vom 25.05.2004 an das VG Neustadt/Weinstraße; AA, Lagebericht Pakistan vom 26.06.2006).

Danach ist von Folgendem auszugehen. Art. 20 der pakistanischen Verfassung garantiert die freie Religionsausübung. Die Rechtslage in Pakistan schränkt formal bisher auch nicht die Freiheit ein, die Religion zu wechseln. Im Gegensatz zu anderen islamischen Ländern, in denen Apostasie in Anlehnung an den Koran mit dem Tode bestraft wird, gab es in Pakistan keine entsprechende strafrechtliche Bestimmung. Ein auf die Bestrafung von Apostasie zielender Gesetzentwurf oppositioneller islamischer Parteien wurde vom pakistanischen Parlament am 09.05.2007 an den Justizausschuss überwiesen. Ein Wechsel der Religion fällt an sich auch nicht unter den Blasphemie-Tatbestand des § 295 c des pakistanischen Strafgesetzbuches. Diese Vorschrift wurde allerdings in der Vergangenheit gelegentlich dazu missbraucht, um Konvertiten strafrechtlich belangen zu können. Hinzu kommt, dass nach islamischen Vorstellungen die Konversion eines Muslimen zum Christentum eigentlich nicht möglich ist und als todeswürdig betrachtet wird (siehe etwa Suren 2, 217 und 4, 89 des Koran). Bei Bekanntwerden kann eine Konversion daher in Pakistan in einem stark islamisch geprägten Umfeld zu erheblichen familiären und gesellschaftlichen Pressionen führen, die mit einer Bedrohung für Leib und Leben verbunden sein können.

Allerdings zeichnen sich die berichteten Fälle eines strafrechtlichen oder sozialgesellschaftlichen Vorgehens gegen Konvertiten in Pakistan dadurch aus, dass der Übertritt zum Christentum im Heimatstaat selber erfolgte und dort bekannt wurde. Damit ist der Fall des Klägers, der in Deutschland zum Christentum übergetreten ist, nicht vergleichbar.

Auch bei Konversionen in Europa kann eine Gefährdungslage bei Rückkehr nach Pakistan gegeben sein. Sie ist etwa bei Personen denkbar, die nach einem Übertritt zum Christentum ihren gesamten Lebenszuschnitt pointiert glaubensorientiert ausgerichtet haben (VG Meiningen, Urteil v. 05.01.2007 – 8 K 20087/05). Das ist beim Kläger jedoch nicht der Fall.

Es ist dem Kläger abzunehmen, dass sein Übertritt zum Christentum nicht lediglich aus asyltaktischen Gründen, sondern aus Überzeugung erfolgt ist. Andererseits wurde aber durch die Zeugenvernehmung und die eigenen Einlassungen des Klägers deutlich, dass sein Bekenntnis zum Christentum nicht sein gegenwärtiges Leben prägt.

Der Übertritt zum Christentum stellte ein rational-gezieltes Vorgehen des Klägers dar.

Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, dass der Kläger bei Rückkehr in Pakistan als Konvertit auffallen wird. Er ist kein religiöser Bekenner. Angesichts seiner bisher schon rationalen Vorgehensweise ist davon auszugehen, dass der Kläger sich in Pakistan unauffällig verhalten wird, was seinen Übertritt zum Christentum anbelangt. Zwar will der Kläger seinen Eltern von seiner Taufe erzählt haben, die daraufhin die Verbindung zu ihm abgebrochen, die Verantwortung für ihn abgelehnt und ihn enterbt hätten. Dass sein Übertritt zum Christentum aber anderen Personen in Pakistan bekannt geworden ist, hat der Kläger selber nicht vorgetragen.

Der Kläger hat die Möglichkeit, außerhalb seiner Heimatregion in einer der Großstädte Pakistans mit größeren christlichen Gemeinden unauffällig zu leben. Es ist angesichts seiner religiösen Indifferenz hinsichtlich der innerchristlichen Glaubensrichtungen sowohl denkbar, dass er sich einer andersgläubigen Kirchengemeinde anschließt, als auch, dass er in Pakistan unabhängig von einer kirchlichen Gemeindestruktur lebt. In den Großstädten Pakistans gibt es Milieus, die eher weltlich geprägt sind. Dort wird sich der Kläger, der persönlich sehr gewandt ist und über vorzügliche Fremdsprachenkenntnisse verfügt – in der mündlichen Verhandlung benötigte er keinen Dolmetscher und sprach fließend Deutsch –, zurechtfinden. Gefahren würden dem Kläger dann drohen, wenn er seinen Übertritt zum Christentum offensiv verträte oder wenn er öffentlich Vergleiche zwischen dem Islam und dem Christentum zöge und dabei für die Vorzüge des christlichen Glaubens werben würde (Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme v. 12.01.2004 an das OVG Hamburg). Das ist alles bei dem rational handelnden Kläger auszuschließen.

Es ist letztlich darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des VG Bremen selbst in dem viel stärker als Pakistan islamisch ausgerichteten Iran eine Konversion zum Christentum allein zu keiner beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit führt, wenn nicht ein in die Öffentlichkeit wirkendes besonderes Engagement etwa in Form der Missionierung hinzukommt (VG Bremen, Urteil v. 11.04.2007 – 1 K 265/04.A; Urteil v. 26.02.2008 – 6 K 2390/04.A).

5. Schließlich kann ein Abschiebungsverbot auch nicht aus Art. 10 Abs. 1 b) Qualifikationsrichtlinie hergeleitet werden. In ihm wird der Begriff der Religion definiert und festgestellt, dass dieser auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst. Diese Definition ist gemäß Art. 10 Abs. 1 Qualifikationsrichtlinie bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen. Daraus folgt aber nicht, dass bereits jede Einschränkung oder Untersagung der in den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 b) Qualifikationsrichtlinie fallenden Tätigkeiten eine schutzbegründende Verfolgung darstellt. Die Frage, was als Verfolgung im Sinne der Qualifikationsrichtlinie anzusehen ist, beantwortet sich nach Art. 9 Qualifikationsrichtlinie. Nach Art. 9 Abs. 1 Qualifikationsrichtlinie gelten als Verfolgung Handlungen, die so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen mit vergleichbar gravierender Wirkung bestehen. Nach Art. 9 Abs. 3 Qualifikationsrichtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 genannten Gründen und den in Art. 9 Abs. 1 als Verfolgung eingestuften Handlungen bestehen. Daraus folgt zwingend, dass der Eingriff in den Schutzbereich der religiösen Betätigung nur dann eine Verfolgungshandlung darstellt, wenn er gravierend im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Qualifikationsrichtlinie ist (VG Bremen, Urteil v. 27.03.2008 – 2 K 1959/06.A). Dementsprechend bestimmt § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG, dass unter anderem Art. 9 und Art. 10 der Qualifikationsrichtlinie für die Feststellung ergänzend anzuwenden sind, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt.

Ob konvertierte Christen in Pakistan Einschränkungen unterworfen sind, weil sie sich nicht in vergleichbarer Weise wie Muslime öffentlich zu ihrer Religion bekennen können, ist daher nicht maßgebend. Angesichts des Umstandes, dass die christliche Religion in Pakistan ausgeübt wird und der Kläger dort auch Gottesdienste besuchen kann, sind Beschränkungen etwa hinsichtlich der Möglichkeit zur öffentlichen Bekundung der Konversion zum Christentum als solche nicht von verfolgungsrelevanter Eingriffsintensität. Für den Kläger kommt hinzu, dass er – wie ausgeführt – ohnehin sein Verhalten darauf ausrichten wird, seine Konversion in Pakistan nicht öffentlich zu machen.