OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 01.07.2008 - 2 O 74/08 - asyl.net: M13649
https://www.asyl.net/rsdb/M13649
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Bleiberechtsregelung 2006, Lebensunterhalt, Arbeitsangebot, Zustimmung, Bundesagentur für Arbeit, Erlasslage, Vorrangprüfung, Arbeitsmarktprüfung, Wohnraum, Gemeinschaftsunterkünfte, Privatwohnung, Irak, Iraker, Passpflicht, Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Untätigkeitsklage, Beurteilungszeitpunkt
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114; AufenthG § 23 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; VwGO § 75
Auszüge:

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht abgelehnt.

Es besteht auch eine hinreichende Erfolgsaussicht.

Der Kläger dürfte sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung als auch nach Ablauf der Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis gehabt haben.

Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Auf dieser Grundlage sah der Erlass des Ministeriums des Innern des Landes Sachsen-Anhalt vom 08.12.2006 in Übereinstimmung mit dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006 ein Bleiberecht für faktisch wirtschaftlich und sozial im Bundesgebiet integrierte Ausländer und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen vor.

Der Kläger, der im August 1998 in die Bundesrepublik eingereist war, hielt sich am maßgeblichen Stichtag, dem 17.11.2006, bereits seit mehr als 8 Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet auf (Abschnitt 1 Nr. 1 des Erlasses).

Zwar war sein Lebensunterhalt an dem genannten Stichtag nicht durch eigene legale dauerhafte Erwerbstätigkeit ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen gesichert (Abschnitt 1 Nr. 2.1 des Erlasses). Auch gehörte er nicht zu dem in Abschnitt 1 Nr. 2.2 genannten Personenkreis, bei denen Ausnahmen zugelassen werden können. Allerdings ist in Abschnitt V Abs. 2 des Erlasses bestimmt, dass betroffene Duldungsinhaber eine - zunächst auf 6 Monate befristete - Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie ein verbindliches Arbeitsangebot vorlegen, das den Lebensunterhalt der Familie durch eigene legale Erwerbstätigkeit ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen sichert und danach zu erwarten ist, dass er auch in Zukunft gesichert ist. Welche formellen Anforderungen an ein solches Arbeitsangebot zu stellen waren, ergibt sich aus dem Erlass nicht. Es ist jedoch nicht ersichtlich, weshalb das dem Beklagten am 23.01.2007 vorgelegte Angebot der Fa. ... in Düsseldorf, den Kläger als vollzeitbeschäftigten "Rotationsmitarbeiter" mit einem Stundenlohn von 6,33 Euro einzustellen, von vornherein als unzureichend anzusehen war. Die nach dem Erlass ursprünglich vorgesehene Beteiligung der örtlichen Agentur für Arbeit in Form der Einholung einer Zustimmungsentscheidung wurde durch den Erlass vom 24.01.2007 geändert. Danach sollte aufgrund der vorhandenen mehrjährigen Aufenthalte gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 der Beschäftigungsverfahrensverordnung keine Arbeitsmarkt- und Vorrangprüfung der Agentur für Arbeit erfolgen, sondern lediglich eine Prüfung der Arbeitsbedingungen. Der geänderte Erlass bestimmte ferner, dass die Ausländerbehörde erst nach Erteilung und Aushändigung der Aufenthaltserlaubnis die ihr für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit vorgelegten Unterlagen (z.B. Arbeitsplatzzusage oder einen Arbeitsvertrag) an die Agentur für Arbeit sendet, um ihr diese Prüfung zu ermöglichen. Der Beklagte konnte dem Kläger voraussichtlich auch nicht entgegenhalten, er habe gleichwohl die Zustimmung der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit in Düsseldorf einholen müssen, weil der Erlass nur im Einvernehmen mit der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur für Arbeit geändert worden sei. Eine solche Unterscheidung nach der örtlichen Zuständigkeit der Regionaldirektionen lässt sich dem Erlass nicht entnehmen. Ein dahin gehender Wille der obersten Landesbehörde hätte in einem Hauptsacheverfahren ermittelt werden müssen.

Das Verwaltungsgericht durfte auch nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass kein ausreichender Wohnraum vorhanden sei (Abschnitt 1 Nr. 3 des Erlasses). Im Zeitpunkt der Antragstellung und Klageerhebung sowie im Zeitpunkt des Ablaufs der Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO war der Kläger zwar noch in der Gemeinschaftsunterkunft in Möhlau untergebracht. Nach der Erlassregelung steht die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft der erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen; Betroffene waren aktenkundig darauf hinzuweisen, dass vor Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ausreichender Wohnraum nachzuweisen ist. Der Senat teilt nicht die Ansicht des Verwaltungsgerichts, der Wohnraum in der Gemeinschaftsunterkunft in Möhlau habe deshalb nicht genügt, weil der Kläger das zur Sicherung seines Lebensunterhalts in Aussicht gestellte Beschäftigungsverhältnis in Düsseldorf (später in Duisburg) habe begründen wollen. Es liegt - wie der Kläger zu Recht einwendet - nahe, dass sich ein Ausländer erst dann nachhaltig um Wohnraum am - weit entfernten - Ort der beabsichtigten Arbeitsaufnahme bemüht, wenn er den Arbeitsvertrag abschließen kann, was hier wiederum davon abhing, dass der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis erhielt. Eine über den Wortlaut des Erlasses hinaus gehende Verpflichtung des Ausländers zur (vorsorglichen) Beschaffung von Wohnraum lässt sich, ohne zuvor einen entsprechenden Willen der obersten Landesbehörde erforscht zu haben, nicht annehmen.

Der Kläger hat zunächst auch die Passpflicht (Abschnitt 1 Nr. 7 des Erlasses) erfüllt. Sein (früherer) Pass der Serie "S" war zwischenzeitlich bis zum 26.02.2009 verlängert worden. Dieser Pass hat zwar nach den Angaben des Beklagten im Schriftsatz vom 16.07.2007 aufgrund der Widerrufsentscheidung des Bundesministeriums des Innern mit Wirkung vom 01.04.2007 seine Anerkennung verloren, so dass der Kläger in dem Zeitpunkt, in dem die Untätigkeitsklage möglicherweise erst zulässig geworden ist, die Passpflicht nicht erfüllen konnte. In der Fassung vom 23.03.2007 sah der Erlass jedoch vor, dass, wenn keine Zweifel an der Identität (des Ausländers) bestehen und die Ausstellung eines Heimatpasses trotz Mitwirkung der Betroffenen voraussichtlich nicht kurzfristig möglich sein wird (z.B. wegen einer erforderlichen Beteiligung der Heimatbehörden), ein Ausweisersatz auszustellen ist, um nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die rasche Aufnahme einer Beschäftigung zu ermöglichen. Da an der Identität des Klägers keine Zweifel bestanden haben und nach den Angaben des Beklagten im Schriftsatz vom 16.07.2007 neue irakische Pässe der (anerkannten) Serie "G" wegen Unzulänglichkeiten in der Verwaltung nur verzögert ausgegeben wurden, dürfte nach dieser Erlassregelung das Fehlen eines anerkannten Passes der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen gestanden haben.