SG Hildesheim

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Zitieren als:
SG Hildesheim, Beschluss vom 03.07.2008 - S 42 AY 95/08 ER - asyl.net: M13662
https://www.asyl.net/rsdb/M13662
Leitsatz:

Ein geduldeter Ausländer, der nach § 2 Abs. 1 AsylbLG leistungsberechtigt ist und der nicht asylverfahrens- oder ausländerrechtlich zur Wohnung in einer Gemeinschaftsunterkunft verpflichtet ist, kann leistungsrechtlich nicht auf eine Gemeinschaftsunterkunft verwiesen werden, sondern hat Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine angemessene Privatwohnung.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Unterkunft, Gemeinschaftsunterkunft, Privatwohnung, Duldung, Wohnsitzauflage, Zumutbarkeit, abgelehnte Asylbewerber, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGB XII § 29; AsylVfG § 53 Abs. 2; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

Ein geduldeter Ausländer, der nach § 2 Abs. 1 AsylbLG leistungsberechtigt ist und der nicht asylverfahrens- oder ausländerrechtlich zur Wohnung in einer Gemeinschaftsunterkunft verpflichtet ist, kann leistungsrechtlich nicht auf eine Gemeinschaftsunterkunft verwiesen werden, sondern hat Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine angemessene Privatwohnung.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gem. § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch ein Anordnungsanspruch (d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 - ZPO -).

Ob hier ein Anordnungsgrund schon deshalb vorliegt, weil der Antragsteller befürchten müsste (was er nicht glaubhaft gemacht hat), dass die von ihm anzumietende Wohnung in der ... in Göttingen anderweitig vergeben würde, wenn nicht schnell über seinen Anspruch Ansprüche entscheiden werde, muss das Gericht nicht entscheiden. Denn die Eilbedürftigkeit ergibt sich bereits daraus, dass der Antragsteller derzeit keine angemessene Unterkunft bewohnt und es ihm (u.a. aus den unten dargelegten Gründen) derzeit nicht zumutbar ist, ein Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft zu beziehen. Ebenso wenig ist es ihm unter den gegebenen Umständen ohne zumindest vorläufige Klärung der Rechtslage zumutbar seinen Wunsch nach Anmietung einer eigenen Wohnung über u.U. mehrere Jahre bis zum Abschluss eines Klageverfahrens zurückzustellen.

Auch ein Anordnungsanspruch ist - im tenorierten Umfang - gegeben. Der Antragsteller bezieht derzeit vorläufig gewährte Leistungen nach § 2 AsylbLG. Er ist sind weder asylverfahrens- bzw. ausländerrechtlich verpflichtet, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, noch kann er leistungsrechtlich nach dem AsylbLG auf ein Wohnen in seiner bisherigen ("Not"-)Unterkunft bei der Freundin seines Bruders oder in der ihm angebotenen Gemeinschaftsunterkunft verwiesen werden.

Aus § 53 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG folgt für den Antragsteller, der in der Vergangenheit erfolglos ein Asylverfahren betrieben hatte, keine Verpflichtung, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Ob er bestandskräftigem Abschluss des Asylverfahrens weiterhin uneingeschränkt nach der Bestimmung des § 53 AsylVfG verpflichtet ist, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls aber fehlt es an einer asylverfahrensrechtlichen ermessensgesteuerten Einzelfallregelung der Ausländerbehörde (im Sinne einer bestandskräftigen Verpflichtung!), durch die er verpflichtet wäre, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen.

Die Antragsgegnerin hat nichts für das Vorliegen einer solchen Einzelfallregelung geltend gemacht, auch aus den vorgelegten Akten ist eine solche nicht ersichtlich. Angesichts dessen kann derzeit offen bleiben, ob die Voraussetzungen, von denen die Vorschrift des § 53 Abs. 2 AsylVfG das Ende einer bestehenden Verpflichtung, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, abhängig macht ("sofern durch den Ausländer eine anderweitige Unterkunft nachgewiesen wird und der öffentlichen Hand dadurch Mehrkosten nicht entstehen") in Ansehung der von dem Antragsteller benannten Unterkunft in der ... in Göttingen gegeben gewesen sind.

Der Antragsteller kann auch leistungsrechtlich nicht auf ein Wohnen in seiner bisherigen Unterkunft bei ... oder in einem Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft verwiesen werden. Zwar ergäbe sich aus § 3 AsylbLG die Möglichkeit für eine solche Handhabe durch die Antragsgegnerin, weil der Antragsteller als Inhaber einer Duldung immer noch zum Personenkreis der nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Leistungsberechtigten gehört. Doch hat er infolge der Regelung im sozialgerichtlichen Eilverfahren S 40 AY 112/07 ER gemäß § 2 Abs. 3 AsylbLG den Leistungsstatus eines den Empfängern von Sozialhilfe nach dem SGB XII gleichgestellten Ausländers. Der Antragsteller kann demnach schon gemäß § 29 SGB XII analog Hilfe zum Lebensunterhalt und damit auch die Übernahme von Unterkunftskosten wie deutsche Hilfe Suchende beanspruchen. Ein nach dem SGB XII Leistungsberechtigter muss sich, auch wenn er Ausländer ist, nicht auf Unterkünfte der Art verweisen lassen, wie sie die Antragsgegnerin im Auge hat. Er ist vielmehr berechtigt, sich auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt nach einer angemessenen Wohnung umzusehen.

Was als angemessene Unterkunft im sozialhilferechtlichen Sinne anzusehen ist, muss mit Blick auf die allgemeinen Grundsätze des Sozialhilferechts unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles nach sozialhilferechtlichen Maßstäben noch abschließend ermittelt werden, deshalb hat das Gericht den Tenor entsprechend gegenüber dem gestellten Antrag beschränkt.