Die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung ist nur innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach Aushändigung der Einbürgerungsurkunde noch zeitnah und kann danach nicht mehr auf die Ermächtigung in § 48 VwVfG (hier: i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Niedersachsen) gestützt werden (Fortführung des Urteils vom 14. Februar 2008 - BVerwG 5 G 4.07 - SIAZ 2008, 179).
Die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung ist nur innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach Aushändigung der Einbürgerungsurkunde noch zeitnah und kann danach nicht mehr auf die Ermächtigung in § 48 VwVfG (hier: i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Niedersachsen) gestützt werden (Fortführung des Urteils vom 14. Februar 2008 - BVerwG 5 G 4.07 - SIAZ 2008, 179).
(Amtlicher Leitsatz)
Die Revision der Kläger, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist begründet.
1. Für die Rücknahme der nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts im Jahre 1999 von den Eltern der Kläger erschlichenen Einbürgerungen fehlte es etwas über fünf Jahre danach an der erforderlichen hinreichend bestimmten und vorhersehbaren Ermächtigungsgrundlage. § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 NVwVfG stellt keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Einbürgerungen der Kläger dar, weil diese nicht (mehr) zeitnah erfolgt ist.
1.1 Der Senat hat in seinem Urteil vom 14. Februar 2008 - BVerwG 5 C 4.07 - (SfAZ 2008, 179), welches den Beteiligten bekannt ist und auf das er Bezug nimmt, im Einzelnen ausgeführt, dass er der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 24. Mai 2006 a.a.O.) folgt, nach der mit Rücksicht auf den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der deutschen Staatsangehörigkeit § 48 VwVfG - hier i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG - nur in bestimmten Fällen eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Rücknahme von Einbürgerungen bietet. Danach steht die Anwendung der allgemein geltenden Rücknahmeermächtigung nur "für den Fall der zeitnahen Rücknahme einer Einbürgerung, über deren Voraussetzungen der Eingebürgerte selbst erwiesenermaßen getäuscht hat", in Einklang mit dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes. Nur für diesen Fall enthält § 48 VwVfG ein für den Betroffenen berechenbares rechtsstaatliches Abwägungsprogramm und ist dessen Anwendung auch unter dem Aspekt der Gewaltenteilung unbedenklich (BVerfG a.a.O. S. 52).
Keine andere Beurteilung rechtfertigen insoweit die Erwägungen des Berufungsgerichts zur völkerrechtlichen Zulässigkeit der Rücknahme erschlichener Einbürgerungen. Das Völkerrecht setzt allerdings dem nationalen Recht Grenzen in Bezug auf die Ausgestaltung von Rücknahme- und Entzugsgründen und ist insoweit nach dem Grundsatz der völkerrechtskonformen Auslegung bei der Anwendung des nationalen Rechts zu berücksichtigen. Allerdings steht vorliegend nicht im Streit, dass die Rücknahme einer durch "arglistiges Verhalten, falsche Angaben oder die Verschleierung einer erheblichen Tatsache" (Europäisches Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit) bzw. "falsche Angaben oder betrügerische Handlungen" (Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit) erschlichenen Einbürgerung völkerrechtlich statthaft ist. Die völkerrechtliche Zulässigkeit der Rücknahme einer Einbürgerung lässt aber keine Rückschlüsse darauf zu, welche Anforderungen nach innerstaatlichem (Verfassungs-)Recht an die Regelungen zur Rücknahme zu stellen sind; ein völkerrechtliches Rücknahme- oder Entzugsgebot enthalten die Abkommen nicht.
1 .2 Die Einbürgerung der Kläger ist nicht "zeitnah" zurückgenommen worden.
a) Der vom Bundesverfassungsgericht verwendete Begriff "zeitnah" bezieht sich auf den von der Einbürgerung bis zu ihrer Rücknahme verstrichenen Zeitraum und nicht auf eine Entschließungstrist der Behörde ab Kenntniserlangung der rücknahmebegründenden Umstände, wie sie etwa in § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG vorgesehen ist (Senat, Urteil vom 14. Februar 2008 a.a.O.). Weil der Bestimmtheit und Voraussehbarkeit von Eingriffen sowie der Stabilität von Statusentscheidungen im Staatsangehörigkeitsrecht besondere Bedeutung zukommt, muss sowohl für den Einzelnen als auch für das Gemeinwesen hinreichend klar sein, ab welchem Zeitpunkt der Statusentzug ausgeschlossen ist. Abzustellen ist daher auf den Zeitraum, der zwischen der Einbürgerung (13. Juli 1999) und deren Rücknahme (Bescheid vorn 20. Juli 2004) verstrichen ist. Da bis zur behördlichen Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung selbst für den Einzelnen offen ist, ob es tatsächlich zu deren Aufhebung kommt, entfällt das Vertrauen in den Fortbestand der Staatsangehörigkeit nicht schon dadurch, dass bereits infolge der Unterrichtung durch den Landkreis S. im Herbst 1998 bzw. neuerlich im Personenteststellungsverfahren im Oktober 2002 Zweifel an der Identität der Eltern der Kläger und damit auch der Kläger selbst aufgekommen sind, oder mit der Anhörung zu einer beabsichtigten Rücknahme.
b) Bei dem zwischen der Einbürgerung der Kläger am 13. Juli 1999 und deren Rücknahme am 20. Juli 2004 verstrichenen Zeitraum von etwas über fünf Jahren jedenfalls kann nach der Überzeugung des Senats nicht mehr von einer zeitnahen Rücknahme gesprochen werden.
aa) Es ist allerdings in erster Linie die Aufgabe des Gesetzgebers, bei einer noch zu schaffenden spezialgesetzlichen Regelung für die Rücknahme von rechtswidrigen Einbürgerungen zu bestimmen, ob eine und ggf. welche zeitliche Begrenzung gelten soll, und die Voraussetzungen, zeitlichen Grenzen und Rechtsfolgen - auch für etwa betroffene Dritte - bereichsspezifisch und vorhersehbar festzulegen (vgl. zur bisherigen parlamentarischen Diskussion den Entwurf der CDU/CSU-Bundostagsfraktion zu einem Staatsangehörigkeitsneuregelungsgesetz vom 16. März 1999, BTDrucks 14/535 und den Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion "Bündnis 90/Die Grünen" zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts vom 20. September 2006, BTDrucks 16/2650; ferner die Kleine Antrage der Fraktion "Die Linke" vom 3. August 2006 zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorn 24. Mai 2006, BTDrucks 16/2346 und die Antwort der Bundesregierung vom 17. August 2006, BTDrucks 16/2413 hierauf sowie die Stellungnahme des Bundesrats vom 11. Mai 2007, BRDrucks 224/07 zu dem Entwurf des inzwischen - ohne die geforderte Neuregelung - verabschiedeten Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union).
bb) Die in dem Urteil vom 14. Februar 2008 (a.a.O.) nicht abschließend beantwortete Frage, wo bis zu dem Erlass einer speziellen bundesgesetzlichen Regelung für die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung die exakte zeitliche Grenze zwischen der zeitnahen und der nicht mehr zeitnahen Rücknahme der erschlichenen Einbürgerung verläuft, ist im vorliegenden Verfahren dahin zu beantworten, dass eine Frist von fünf Jahren jedenfalls dann zu Grunde zu legen ist, wenn es um die Rücknahme einer Einbürgerung geht, über deren Voraussetzungen der Eingebürgerte selbst erwiesenermaßen getäuscht hat. Denn nur dann ist die grundrechtlich geschützte Erwartung eines Eingebürgerten an eine am Maßstab des Gesetzes ausreichend vorhersehbare Verwaltungsentscheidung noch gewahrt. Umgekehrt ist die Rücknahme einer erschlichenen oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkten Einbürgerung, über deren Voraussetzungen der Eingebürgerte selbst getäuscht hat, innerhalb einer Frist von fünf Jahren als (noch) zeitnah zu werten und findet in § 48 VwVfG regelmäßig eine hinreichende Rechtsgrundlage.
Ein Zeitraum von fünf Jahren berücksichtigt das vom Bundesverfassungsgericht im Begriff der "zeitnahen" Rücknahme vorausgesetzte Bedürfnis nach einer grundrechtsspezifisch geordneten und konkret vorhersehbaren zeitlichen Begrenzung der Rücknehmbarkeit von Einbürgerungen unter Berücksichtigung der Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässlicher Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit ebenso wie das Prinzip der Gesetzmäßigkeit, das als bedeutsamer Teil des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang hat, das öffentliche Interesse an der Wiederherstellung eines Zustandes der Rechtmäßigkeit, der durch den Erlass und die Fortgeltung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes verletzt wird, und den Gedanken, dass eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen darf, will sie nicht Anreize zur Rechtsverletzung schaffen, rechtstreues Verhalten diskriminieren und damit die Voraussetzungen ihrer eigenen Wirksamkeit untergraben (s. BVerfG a.a.O. S. 49). Dass indes auch im Rechtsstaat das Interesse an einer Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände oder der "Sanktionierung" ins Zeitverlauf geringer werden oder ganz entfallen kann, belegen z.B. Regelungen über die Verfolgungsverjährung bei Straftaten (§§ 78 ff. StGB) oder die Anspruchsverjährung zivilrechtlicher Ansprüche (§§ 194 ff. BGB), die Höchstfrist bei der Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung (§ 124 Abs. 3 BGB) oder die Tilgungsfristen im Strafregister (§ 34 BZRG).
Der Rechtsgedanke, dass mit zunehmendem Zeitablauf das öffentliche Interesse an der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände anderweitigen Belangen weichen muss, findet seinen Niederschlag auch in der Frist, innerhalb derer nach § 24 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit - StAngRegG - (Gesetz vom 22. Februar 1955, BGBl I S. 65 in der Fassung vom 15. Juli 1999 BGBl I S. 1618) die Unwirksamkeit einer Einbürgerung festgestellt werden kann, bei der durch das Verschulden eines Antragstellers Tatsachen nicht bekannt waren, die der Einbürgerung entgegengestanden hätten. Diese Bestimmung regelt allerdings, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, nur die Einbürgerung deutscher Volkszugehöriger (s.a. Beschluss vom 13. April 1989 - BVerwG 1 B 54.89 - Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 37), und erfasst damit nicht den Fall einer erschlichenen Einbürgerung nach §§ 8 ff. StAG (s.a. VGH Kassel, Urteil vom 18. Mai 1998 - 12 UE 1542/98 - lnfAuslR 1998, 505). Auch wenn die Fünf-Jahres-Frist auf eine durch Täuschung bewirkte Einbürgerung nicht direkt anzuwenden ist, unterstreicht die in § 24 Abs. 2 Satz 2 StAngRegG normierte Frist, dass der Gesetzgeber dem Stabilitätsanliegen im Staatsangehörigkeitswesen besonderes Gewicht zumisst und dieses auch bei rechtsfehlerhaft bewirkter Einbürgerung durch Zeitablauf überwiegen kann (s.a. VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2007 - 13 S 2885/06 - InfAuslR 2008, 41). Dies rechtfertigt es, auch für die Rücknahme einer durch eigene Täuschungshandlung bewirkten Einbürgerung an diese Frist anzuknüpfen.
Der Zeitraum von fünf Jahren wahrt auch gerade noch den Zeitrahmen, der sprachlich dem Begriff "zeitnah" zugeordnet werden kann, und berücksichtigt für eine Einbürgerung, über deren Voraussetzungen der Eingebürgerte selbst getäuscht hat, dass wegen der Täuschungshandlung das schutzwürdige Interesse gemindert ist, von einer Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände verschont zu bleiben. Bereits das Erfordernis der "zeitnahen" Reaktion auf eine erschlichene Einbürgerung verbietet, auf die deutlich längere Frist des § 3 Abs. 2 StAG abzustellen, nach deren Ablauf durch eine nicht zu vertretende Behandlung als deutscher Staatsangehöriger die deutsche Staatsangehörigkeit erworben wird; zudem sind an Voraussetzungen und Vorhersehbarkeit der Rücknahme einer durch Einbürgerung erworbenen Staatsangehörigkeit auch in zeitlicher Hinsicht deutlich strengere Anforderungen zu stellen als an einen "Ersitzungserwerb" (zum Begriff s. Berlit InfAuslR 2007, 457 <459>).
cc) Die nach Vorstehendem als Höchstfrist für eine auf § 48 VwVfG gestützte Rücknahme einer Einbürgerung, über deren Voraussetzungen der Eingebürgerte selbst getäuscht hat, anzuwendende Frist von fünf Jahren hindert die Rücknahme der Einbürgerung erst recht auch für die Kläger, die nach den Feststellungen der Vorinstanz an den Täuschungshandlungen, die zu ihrer Einbürgerung geführt haben, selbst nicht beteiligt gewesen sind. Dann - unabhängig von der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sie sich die Täuschungshandlung ihrer Eltern zurechnen lassen müssen - können sie jedenfalls hinsichtlich der Rücknahmefrist nicht schlechter stehen als ein Eingebürgerter, der in eigener Person über die Voraussetzungen seiner Einbürgerung getäuscht hat und dessen Einbürgerung nach Ablauf von fünf Jahren nicht mehr zurückgenommen werden kann. Die Frist von fünf Jahren hat der Beklagte nicht gewahrt. Dass diese Frist nur um wenige Tage überschritten ist, rechtfertigt ungeachtet dessen keine andere Beurteilung, dass diese Höchstfrist erst durch Auslegung ermittelt worden ist. Ob für den Fall, dass bei Minderjährigen, die nicht in eigener Person über ihre Einbürgerungsvoraussetzungen getäuscht haben, eine Rücknahme möglich ist, jedenfalls die Rücknahmefrist zu verkürzen wäre, kann damit offen bleiben.