LSG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.08.2008 - L 20 B 49/08 AY ER - asyl.net: M13882
https://www.asyl.net/rsdb/M13882
Leitsatz:

Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG sind gemäß § 10 Abs. 3 SGB XII regelmäßig als Geldleistungen zu erbringen.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Gutscheine, Geldleistungen, Grundsicherung für Erwerbsunfähige, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Vorwegnahme der Hauptsache
Normen: SGG § 86b Abs. 2; AsylbLG § 2 Abs. 1; SGB XII § 10 Abs. 3
Auszüge:

Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG sind gemäß § 10 Abs. 3 SGB XII regelmäßig als Geldleistungen zu erbringen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht gewährt die Antragsgegnerin ihm Leistungen zwar in Höhe von Leistungen nach dem SGB XII, jedoch in weiten Teilen in Form von Wertgutscheinen. Der Antragsteller kann vielmehr Leistungen in der Form von Geldleistungen beanspruchen.

Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 10 Abs. 3 SGB XII:

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass der Antragsteller die Voraussetzungen für die Gewährung dieser sog. Analogleistungen erfüllt.

Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 SGB XII hat die Geldleistung Vorrang vor der Sachleistung, soweit nicht das SGB XII etwas anderes bestimmt oder die Sachleistung das Ziel der Sozialhilfe erheblich besser oder wirtschaftlicher erreichen kann oder die Leistungsberechtigten es wünschen (Satz 1). Nach der ausdrücklichen Regelung in Satz 2 der Vorschrift gehören Gutscheine und andere unbare Formen der Verrechnung zu den Sachleistungen. Der Gesetzgeber folgt hier der Auffassung, dass zum normalen Leben in unserer Gesellschaft, an dem teilzunehmen den Leistungsberechtigten durch die Hilfe ermöglicht werden soll, die Bedürfnisbefriedigung über den Markt und mit dem Tauschmittel Geld gehört (Roscher in LPK-SGB XII, § 10 Rn. 22). Aus dem Würdeprinzip des § 1 SGB XII folgt, dass dem Hilfeempfänger die Möglichkeit gelassen wird, im Rahmen der ihm nach dem Gesetz zustehenden Mittel seine Bedarfsdeckung frei zu gestalten. Deshalb hat er grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass ihm die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Form von Geld gewährt wird.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin erfasst der Verweis in § 2 Abs. 1 AsylbLG auch den in § 10 Abs. 3 Satz 1 SGB XII geregelten Vorrang von Geldleistungen vor Sachleistungen. Dass Besonderheiten des AsylbLG dagegen sprächen, ist aus dem Gesetz nicht ersichtlich. Nach einem Vorbezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG über einen Zeitraum von 48 Monaten geht das Gesetz vielmehr davon aus, dass Berechtigte nach dem AsylbLG angesichts einer bereits erfolgten Eingewöhnung in die hiesigen Lebensverhältnisse und eines erhöhten Integrationsbedarfes in die hiesige Gesellschaft auf dem Niveau des (erst mit Leistungen nach dem SGB XII erreichten) sog. soziokulturellen Existenzminimums leben und wirtschaften können sollen. Dies bezieht sich nicht nur auf die Leistungshöhe, sondern mangels jeglicher gegenteiliger gesetzlicher Anhaltspunkte auch auf die Leistungsform, die das SGB XII in § 10 Abs. 3 grundsätzlich als Geldleistung bestimmt. Die Antragsgegnerin hat denn für ihre abweichende Ansicht auch lediglich angeführt, die Besonderheiten des AsylbLG sprächen gegen eine Geldleistung; welche konkreten Besonderheiten sie damit im Auge hat, hat sie nicht dargelegt. Die grundsätzliche Leistungsform der Sachleistung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 bis 3 AsylbLG kann insoweit jedenfalls keine Berechtigung zur Sachleistung begründen; denn § 2 Abs. 1 AsylbLG sieht Analogleistungen gerade "abweichend von den §§ 3 bis 7" AsylbLG vor, ohne bei dem Verweis auf die entsprechende Anwendung des SGB XII § 10 Abs. 3 dieses Gesetzes von dem Verweis auszunehmen. Analogleistungen sind mithin (sofern nicht eine bei entsprechender Anwendung aus § 10 Abs. 3 SGB XII selbst begründete Ausnahme vorliegt, die im Falle der Antragsteller weder ersichtlich noch von der Antragsgegnerin behauptet worden ist) als Geldleistungen und nicht als Sachleistungen zu erbringen (soweit ersichtlich allg. Ansicht: ausführlich Hohm, GK-AsylbLG, Stand April 2008, § 2 Rn. 204 ff Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008, § 2 AsylbLG Rn. 8 m.w.N.; Birk, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 2 AsylbLG Rn. 5; Fasselt, in: Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl. 2005, § 2 AsylbLG Rn. 8; Adolph, in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, Stand Juni 2008, § 2 AsylbLG Rn. 27). Auch in den Gesetzesmaterialien ist (zu § 1a der Ausschussempfehlung, also zum späteren § 2 AsylbLG) ausgeführt, dass sich die Analogleistungen nach den Bestimmungen des (damaligen) Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) über Art, Form und Maß der Leistung richten sollten (BT-Drucks. 12/5008, S. 15). Der Senat geht deshalb - wie bereits die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu Zeiten der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes - davon aus, dass das AsylbLG das auf den Personenkreis des § 2 Abs. 1 AsylbLG entsprechend anzuwendende SGB XII nicht dahingehend modifiziert, dass die Hilfe zum Lebensunterhalt nicht als Geldleistung zu gewähren wäre. Weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte des § 2 AsylbLG, darüber hinaus auch nicht der Sinn und Zweck des AsylbLG, geben einen Anhaltspunkt für die gegenteilige (von der Antragsgegnerin vertretene) Auffassung (vgl. BayVGH, Urteil vom 20.03.2006 - 12 BV 05.18451 m.N. entsprechender früherer Rspr. dieses Gerichts).

Im Übrigen zeigt auch ein systematischer Vergleich von § 2 Abs. 1 AsylbLG mit Abs. 2 der Vorschrift, dass jedenfalls bei Berechtigten, die - wie der nicht in einer Gemeinschaftsunterkunft lebende Antragsteller - nicht unter den Anwendungsbereich des Abs. 2 fallen, eine Gewährung von Sachleistungen regelmäßig nicht in Betracht kommt. Nach § 2 Abs. 2 AsylbLG bestimmt (nur) bei der Unterbringung von Leistungsberechtigten nach Abs. 1 in einer Gemeinschaftsunterkunft die zuständige Behörde die Form der Leistung aufgrund der örtlichen Umstände. Kann also bei Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft eine Erbringung von Sachleistungen aufgrund der örtlichen Umstände in Frage kommen, folgt daraus zugleich, dass eine andere als die entsprechend § 10 Abs. 3 SGB XII vorgesehene Leistungsform ohne die Voraussetzungen des Abs. 2 gerade nicht in Betracht kommt. Selbst im Rahmen des § 2 Abs. 2 AsylbLG wird im Übrigen davon ausgegangen, dass der Regelfall der Hilfeleistung entsprechend § 10 Abs. 3 SGB XII die Geldleistung bleibt und der Leistungsträger nur bei Besonderheiten aufgrund der örtlichen Umstände (z.B. das Entstehen sozialer Spannungen in der Gemeinschaftsunterkunft bei unterschiedlicher Leistungsform) die Form der Leistung nach seinem Ermessen frei wählen kann (Adolph, a.a.O., Rn. 30; Hohm, a.a.O., Rn. 225; ders. in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 2 AsylbLG Rn.: 31; Fasselt, a.a.O. Rn. 13; Wahrendorf, a.a.O., Rn. 16; unklar insoweit Birk, a.a.O. Rn. 6; vgl auch BayVGH, a.a.O.)