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Zitieren als:
, Beschluss vom 04.09.2008 - S 21 AY 4/08 ER - asyl.net: M13885
https://www.asyl.net/rsdb/M13885
Leitsatz:

Die Kürzung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gem. § 5 Abs. 4 AsylbLG setzt voraus, dass dem Leistungsberechtigten in Form eines Verwaltungsaktes eine konkrete Arbeitsgelegenheit hinreichend bestimmt angeboten worden war; die Leistungskürzung steht im Ermessen der Sozialbehörde.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Arbeitsgelegenheit, Ablehnung, Leistungskürzung, Verwaltungsakt, Ermessen, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung
Normen: AsylbLG § 5 Abs. 4; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

Die Kürzung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gem. § 5 Abs. 4 AsylbLG setzt voraus, dass dem Leistungsberechtigten in Form eines Verwaltungsaktes eine konkrete Arbeitsgelegenheit hinreichend bestimmt angeboten worden war; die Leistungskürzung steht im Ermessen der Sozialbehörde.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der zulässige Antrag ist in überwiegendem Umfange begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - der hier allein in Betracht kommt - kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden.

Hiernach hat der Antragsteller Ansprüche auf die Grundleistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens (§ 3 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz [AsylbLG]) sowie zur Deckung des notwendigen Bedarfes außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen einschließlich der notwendigen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 3 Abs. 2 AsylbLG) glaubhaft gemacht.

Die Leistungen sind nicht nach § 5 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG auf Null zu kürzen, da eine entsprechende Pflichtverletzung voraussetzt, dass dem Leistungsberechtigten eine konkrete Arbeitsgelegenheit angeboten worden ist. Hieran fehlt es. Bei der Vorsprache am 23. Juni 2008 war zwar das Angebot einer Arbeitsgelegenheit Thema, es kam jedoch nicht dazu, dass dem Antragsteller eine bestimmte Arbeitsgelegenheit zur Verfügung gestellt wurde. Weder Art noch Umfang der Tätigkeit wurde seitens der Antragsgegnerin konkretisiert.

Nach § 5 Abs. 4 AsylbLG sind Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet (Satz 1). Bei unbegründeter Ablehung einer solchen Tätigkeit besteht kein Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz (Satz 2). Der Leistungsberechtigte ist vorher entsprechend zu belehren (Satz 3).

Sanktionierbar ist hiernach nur die Ablehnung einer "solchen" Tätigkeit, d.h. die Ablehnung einer nach Satz 1 zur Verfügung gestellten Tätigkeit.

Aus § 5 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG folgt, dass die Arbeitsgelegenheit in hinreichend bestimmter Form hinsichtlich Art und Dauer der konkreten Tätigkeit anzubieten ist, grundsätzlich in Form eines Verwaltungsaktes (OVG Münster, Beschluss vom 14. Juli 2000, Az: 16 B 605/00; VG Aachen, Beschl. v. 27. Dezember 2000, Az. 1 L 1230/00; Fasselt in: Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl., § 5 AsylbLG Nr. 7; Birk in LPK-SGB XII, 8. Aufl., § 5 AsylbLG Rn. 5). Bereits der Wortlaut verlangt eine "zur Verfügung" gestellte Arbeitsgelegenheit, dies legt der Behörde die entsprechende Konkretisierungspflicht auf. Ob ein Handeln durch öffentlich-rechtlichen Vertrag hinreichend wäre, braucht hier nicht geklärt zu werden, denn auch ein solcher liegt nicht vor. Die Konkretisierung auf ein bestimmtes Angebot einer konkreten Arbeitsgelegenheit ist bereits deshalb erforderlich, weil nur in Bezug auf eine konkrete Tätigkeit geprüft werden kann, ob eine Ablehnung unbegründet ist. Zudem sind wegen der fürsorgerechtlichen Funktion des AsybLG Sanktionsvorschriften eng auszulegen (ausf. dazu unten). Sanktionierbar soll nicht der bekundete Unwillen, sondern die Arbeitsverweigerung sein, die sich nur auf eine konkrete Tätigkeit beziehen kann.

Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Antragsteller unstreitig von Anfang an die Aufnahme jedweder Tätigkeit abgelehnt hat. Eine rechtliche Parallele z.B. zur Figur der "endgültigen Leistungsverweigerung" im Schuldrecht kann bereits deshalb nicht gezogen werden, weil es ohne konkretes Arbeitsangebot - anders als im vertraglich begründeten Schuldverhältnis - an einer konkreten Rechtspflicht fehlt: Die strikte Zweistufigkeit von Pflichtenbegründung und Sanktion ist in § 5 Abs. 4 AsylbLG angelegt.

Zur Vermeidung von Folgestreitigkeiten weist das Gericht darauf hin, dass die Leistungsabsenkung auch ermessensfehlerhaft erfolgt ist.

Die Leistungsabsenkung nach § 5 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG ist - was der Wortlaut nicht unbedingt nahelegt - nach ganz vorherrschender Ansicht, der sich das Gericht anschließt, auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung vorzunehmen (VG Köln, Urteil vom 24. Oktober 2001, Az.: 21 K 1159/99 - zitiert nach juris; VG Göttingen, Beschluss vom 22.8.2003, Az.: 2 B 308/03; Birk in: LPK-SGB XII, 8. Aufl., § 5 AsylbLG Rn. 5; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf SGB XII, § 5 AsylbLG, letzter Satz der Rn 6; Fasselt in: Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl., § 5 AsylbLG Rn. 6 mit umfangreichen w.N.; a.A. VG Frankfurt, Gerichtsbescheid vom 3. Januar 2002, 3 E 4195/01, wo aber Möglichkeit einer anderen Entscheidung im "Ausnahmefall" erwogen wird).

Die Einräumung eines Ermessens folgt aus der Zielsetzung des 2. Änderungsgesetzes zum AsylbLG und in diesem Zusammenhang aus dem Regelungsanliegen des § 5 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG (zum Folgenden ausführlich: VG Köln a.a.O). Das 2. ÄndG bezweckte in erster Linie die Angleichung an das BSHG durch die Beseitigung bestehende Besserstellung von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG im Vergleich zu deutschen Sozialhilfeempfängern und legal in Deutschland lebenden Ausländern (vgl. die allgemeine Begründung zum Gesetzentwurf des Bundesrates vom 20. März 1998, BT-Drucks. 13/10155, S. 5). In § 5 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG wurde diese Zielsetzung dahingehend umgesetzt, dass statt der bisher für den Fall unbegründeter Ablehnung einer Tätigkeit nach § 5 Abs. 1 AsylbLG vorgesehenen teilweisen Kürzung des Geldbetrages nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG nunmehr ebenfalls - in ausdrücklicher Entsprechung zu § 25 BSHG - ein Anspruchsausschluss geregelt ist (vgl. BT-Drucks. 13/10155, S. 6). Auch nach § 25 BSHG war aber die Versagung der Hilfe zum Lebensunterhalt keine zwangsläufige Folge der Arbeitsverweigerung, es war Ermessen auszuüben (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.Oktober 1983, Az.: 5 C 66/82, BVerwGE 68, 97-101; Krahmer in: LPK-BSHG, 6. Aufl. § 25 Rn. 7 m.w.N.). Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte spreche daher wegen der gewollten Angleichung für ein Ermessen auch im Rahmen von § 5 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG. Etwaige strukturelle Unterschiede zwischen § 5 AsylbLG und §§ 18-20, 25 BSHG, die sich daraus ergeben, dass den Vorschriften des BSHG ein fürsorgerechtlicher Charakter zuerkannt wird, darauf gerichtet, die Eingliederung des Hilfesuchenden in den Arbeitsprozess zu ermöglichen und zu erleichtern, während es sich bei § 5 AsylbLG um einen Teil des Aufenthalts- und Niederlassungsrechts für die dem AsylbLG unterfallenden Ausländer handelt, führen zu keiner anderen Bewertung der Ermessensfrage. Solche systematischen Erwägungen liefern für eine Schlechterstellung der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG im Verhältnis zu den früher nach dem BSHG Leistungsberechtigten keine sachliche Rechtfertigung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG. Daher stünde dieser Überlegung bereits die Verfassungswidrigkeit bzw. Notwendigkeit einer Einfügung des Ermessens im Wege der verfassungskonformen Auslegung entgegen. Wenn in der Begründung zum Gesetzentwurf des AsylbLG ausgeführt wird: "Im Einzelfall kann die nach den Umständen unabweisbare Hilfe gewährt werden" (vgl. BT-Drucks. 13/10155, S. 6), spricht dies dafür, dass eine auf § 5 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG gestützte Leistungseinstellung nicht der Regelfall sein soll (zum Folgenden VG Göttingen a.a.O.). Somit handelt es sich bei § 5 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG auch nicht um eine sogenannte Sollvorschrift, bei der nur bei dem Vorliegen eines Ausnahmefalles eine Ermessensausübung hinsichtlich des Absehens einer Leistungseinstellung trotz des gesetzlichen Anspruchsverlustes in Betracht käme (a.A. offenbar VG Frankfurt a.a.O.). einer anderen Sichtweise steht ferner der Fürsorgegedanke entgegen. Bereits der Gesetzgeber hat in einer dem AsylbLG in seiner ursprünglichen Fassung beigefügten Begründung die Berücksichtigung fürsorgerechtlicher Aspekte im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem AsylbLG betont. In dieser Begründung heißt es: "Die fürsorgerischen Gesichtspunkte der Leistungen an Asylbewerber bleiben allerdings gewahrt"; weiter wird aufgeführt, der vorgesehene Umfang der Leistungen sei im Hinblick auf die Ziele der Neuregelung für eine vorübergehende Zeit zumutbar und ermögliche ein Leben, das durch die Sicherung eines Mindestunterhaltes dem Grundsatz der Menschenwürde gereicht werden soll (Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP vom 02.03.1993, BT-Drucks. 12/4451 S. 5, 6). Dieser Fürsorgeaspekt gebietet es, die Einstellung von Leistungen weder als Regelfall anzusehen noch gar sie auf unbestimmte Dauer zuzulassen. Vielmehr legen die verfassungsrechtlichen Anforderungen dem Hilfeempfänger die Pflicht auf, in jedem Fall neu zu berücksichtigen, dass den §§ 1, 3, 4 und 6 AsylbLG die Funktion der Existenzsicherung zukommt.

Ein solches Ermessen wurde angesichts der Bescheidbegründung erkennbar nicht ausgeübt. Hinsichtlich der künftig anzustellenden Ermessenserwägungen im Hinblick auf eine gestufte Leistungsabsenkung verweist das Gericht auf die Ausführungen von Birk in: LPK-SGB XII, 8. Aufl., § 5 AsylbLG Rn. 5.