VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 15.07.2008 - 11 K 1506/07.A - asyl.net: M13995
https://www.asyl.net/rsdb/M13995
Leitsatz:

Bestehen Zweifel an den Angaben eines jugendlichen Ausländers zu seinem Geburtsdatum, verbietet das Prinzip des umfassenden Schutzes Minderjähriger, ein fiktives früheres Geburtsdatum festzulegen.

 

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Asylantrag, Minderjährige, Handlungsfähigkeit, Geschäftsfähigkeit, Geburtsdatum, fiktives Geburtsdatum, Genehmigung, Prozessbevollmächtigte, Vormund
Normen: AsylVfG § 13 Abs. 1; VwVfG § 12 Abs. 1 Nr. 1; AsylVfG § 12 Abs. 1
Auszüge:

Bestehen Zweifel an den Angaben eines jugendlichen Ausländers zu seinem Geburtsdatum, verbietet das Prinzip des umfassenden Schutzes Minderjähriger, ein fiktives früheres Geburtsdatum festzulegen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12.07.2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Rechtswidrigkeit dieses Bescheides folgt daraus, dass das Bundesamt abschlägig über ein vermeintliches Asylbegehren des Klägers entschieden hat und ihn zur Ausreise aufforderte, obgleich der Kläger bislang noch keinen wirksamen Asylantrag im Sinne des § 13 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) gestellt hat. Das Vorliegen eines solchen Antrages ist indessen die Voraussetzung dafür, dass das Bundesamt in einem Bescheid gemäß § 31 AsylVfG über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Asylanspruchs, der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) sowie über Abschiebungsverbote und eine eventuelle Aufenthaltsbeendigung entscheiden kann.

Der Kläger war im Zeitpunkt der Aufnahme des Asylantrags am 03.07.2007 von Rechts wegen nicht zur Vornahme einer solchen Verfahrenshandlung fähig. Nach § 12 Abs. 1 Nr. 1. des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) sind handlungsfähig auch solche natürlichen Personen, die nach bürgerlichem Recht in der Geschäftsfähigkeit beschränkt sind, soweit sie für den Gegenstand des Verfahrens durch Vorschriften des bürgerlichen Rechts als geschäftsfähig oder durch Vorschriften des öffentlichen Rechts als handlungsfähig anerkannt sind. Diese Voraussetzungen lagen im Zeitpunkt dieser vermeintlichen Antragstellung bei dem Kläger nicht vor, weil er das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

Denn der Kläger ist, wie er im Laufe des Verfahrens durchgängig angegeben hat, am 30.08.1992 geboren. Er war daher im Zeitpunkt seiner Einreise noch nicht einmal 15 Jahre alt. Für die im Laufe des Verfahrens behördlicherseits vorgenommene fiktive Vorverlegung des Geburtsdatums auf den 03.07.1991 gibt es - soweit ersichtlich - keine sachlich nachvollziehbare Begründung. In dem von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang befindet sich lediglich eine "Bescheinigung zur Vorlage bei der Ausländerbehörde", die sich als ein nicht vollständig ausgefülltes Formular darstellt und in der eingetragen ist: "Angegebenes Geburtsdatum: 30.08.1992, fiktiv: 03.07.1991."

Warum man dem Kläger das von ihm angegebene Alter nicht abnahm und ihn auf ca. 14 Monate älter schätzte, erschließt sich insoweit nicht. Selbst bei Ungewissheit über den Tag der Geburt gebietet es aber das auch in § 12 VwVfG zum Ausdruck kommende gesetzliche Prinzip eines umfassenden Schutzes Minderjähriger von dem späteren Zeitpunkt auszugehen (vgl. auch: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 3.1.07.1984 - 9 C 156183 -, in: Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl.) 1985, S. 244).

Hatte der Kläger damit im Zeitpunkt der Asylantragstellung sein 16. Lebensjahr noch nicht vollendet, so war er auch nicht in der Lage, selbst im eigenen Namen einen wirksamen Asylantrag zu stellen. § 12 Abs. 1 AsylVfG legt zwar fest, dass fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach dem Asylverfahrensgesetz auch ein Ausländer ist, der dass 16. Lebensjahr vollendet hat. Auch dies war bei dem Kläger aber im Juli 2007 noch nicht der Fall.