VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Beschluss vom 22.08.2008 - 1 B 49/08 - asyl.net: M14055
https://www.asyl.net/rsdb/M14055
Leitsatz:
Schlagwörter: Verfahrensrecht, Umverteilung, Verteilung, Wohnsitzauflage, Aufenthaltsgestattung, Vaterschaftsanerkennung, deutsche Kinder, Aufenthaltserlaubnis, Familienzusammenführung, Freizügigkeit
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 28 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4; AufenthG § 27 Abs. 1
Auszüge:

1. Die Antragstellerinnen wenden sich gegen eine Umverteilung nach dem Asylverfahrensgesetz vom 5. August 2008.

2. Der bei der Kammer am 21. August 2008 eingegangene Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat einstweilen in der Weise Erfolg, wie das dem Tenor zu entnehmen ist.

2.1. Diese Rechtsschutzgewährung ist im Interesse der verfassungsrechtlich gebotenen Effektivität des Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) erforderlich, um die Rechtsstellung der Antragstellerin zu 2) als Tochter eines deutschen Staatsangehörigen und zugleich auch die der Antragstellerin zu 1) aus § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zu wahren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin einen Verhaltens-, Organisations-, Verfügungs- und Durchsetzungsvorsprung hat, der durch einen entsprechend ausgestalteten effektiven Rechtsschutz der 3. Gewalt stets effektiv auszugleichen ist (vgl. dazu die Rechtsprechung des BVerfG, so BVerfGE 85, 185 = NVwZ 1993, 767 und BVerfG - 1. Kammer des 2. Senats - NVwZ-Beilage 2/1996 A 1; OVG Sachsen-Anhalt, InfAuslR, 2005, S. 421). Zur Aufrechterhaltung der Entscheidungsfähigkeit ist es daher geboten, einen sog. "Schiebebeschluss" zu erlassen, um eine gerichtlIche Überprüfung der Sache möglich zu machen.

2.3. Bei der im Verfahren des § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Betrachtung und unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Unterlegen ergibt sich, dass die Erfolgsaussichten der Klage 1 A 117/08 zumindest offen sind. Im Rahmen der summarischen Prüfung der Sachlage im Eilverfahren ist es bei Abwägung der widerstreitenden Interessen nach Aktenlage zur Annahme offener Erfolgsaussichten hinreichend wahrscheinlich, dass die Antragstellerinnen sich auf das Vaterschaftsanerkenntnis vom 28. April 2008 und damit auf die deutsche Staatsangehörigkeit der am 30. Mai 2008 geborenen Antragstellerin zu 2) derzeit berufen können. Die Umstände des hier zu beurteilenden - noch nicht gänzlich aufgeklärten - Sachverhalts lassen die bei der Antragsgegnerin aufgetauchten Zweifel an der Abstammung der Antragstellerin zu 2) in den Hintergrund treten,

Zwar ist nach Auskunft der Antragsgegnerin derzeit noch keine Geburtsurkunde für die Antragstellerin zu 2) ausgestellt, aber darauf dürfte es auch nicht in dem Maße ankommen, wie das die Antragsgegnerin meint. Denn maßgeblich ist hier, dass der deutsche Staatsangehörige ... die Vaterschaft für die Antragstellerin zu 2) förmlich anerkannt hat und diese somit zunächst einmal mit rechtsgeschäftlicher Wirkung eintritt.

Der Antragstellerin zu 1) ist im Übrigen gem. § 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG als Elternteil, nämlich Mutter, einer minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn die Deutsche ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Davon ist hier auszugehen.

Beim derzeitigen Sachstand ist unklar und nicht mit hinreichender Sicherheit erkennbar, dass das Vaterschaftanerkenntnis - bislang nicht angefochten - zu einem gesetzlich missbilligten Zweck abgegeben wurde. Abgesehen davon, dass der Antragsgegnerin ein tiefer gehendes Eindringen in die verwandtschaftlichen Beziehungen und Lebensverhältnisse durch Art. 6 GG versagt ist, hat sie heute auch die Vielgestaltigkeit der Ausgestaltung verwandtschaftlicher Lebensverhältnisse und Familienbeziehungen zu akzeptieren.

2.4. Unter diesen Umständen hat die Antragsgegnerin auch dafür zu sorgen, dass sich die Antragstellerinnen innerhalb der EU frei bewegen und unbehelligt aufhalten können Nach dem Urteil das EuGH v. 25.7.2001 - C-127/05 - ist EU-Bürgern in Anwendung der Richtlinie über die Freizügigkeit der Unionsbürger (Nr. 2004/38 EG) nämlich das Recht einzuräumen, sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates frei zu bewegen und aufzuhalten. Das gilt nach dem gen. Urteil des EuGH ausdrücklich auch für Familienangehörige eines EU-Bürgers. Die Richtlinie verlangt nicht, dass bereits eine Familie gegründet worden ist. Demgemäß ist den Antragstellerinnen Freizügigkeit zu gewähren.