OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07.07.2008 - 12 N 187.07 - asyl.net: M14060
https://www.asyl.net/rsdb/M14060
Leitsatz:

An einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankte Personen stellen keine Bevölkerungsgruppe i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG dar.

 

Schlagwörter: Kosovo, Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, allgemeine Gefahr, Bevölkerungsgruppe
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

An einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankte Personen stellen keine Bevölkerungsgruppe i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG dar.

(Leitsatz der Redaktion)

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) zuzulassen.

a) Die für grundsätzlich bedeutsam erachtete rechtliche und tatsächliche Frage, ob die "Traumatisierten im Kosovo" eine Gruppe darstellen, die die Voraussetzungen für das Eingreifen der Sperrwirkung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erfüllen, zeigt einen Klärungsbedarf im vorstehenden Sinne nicht auf. Soweit sich die Fragestellung auf die rechtlichen Anforderungen bezieht, die an den Begriff der Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu stellen sind, sind diese - wie auch die Klägerin nicht verkennt - durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt (vgl. Urteil vom 12. Juli 2001, BVerwGE 115, 1; Urteil vom 25. November 1997, BVerwGE 105, 383 m.w.N.). Soweit die Klägerin auf der Ebene der Rechtsanwendung in tatsächlicher Hinsicht geklärt wissen, ob die "Traumatisierten im Kosovo" eine Bevölkerungsgruppe im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darstellen, bedarf es zur Klärung nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens. Ein für die Grundsatzrüge erforderlicher berufungsgerichtlicher Klärungsbedarf ist nicht nur dann zu verneinen, wenn die aufgeworfene Frage durch die Rechtsprechung schon hinreichend geklärt ist, sondern auch dann, wenn sich die Beantwortung der Frage unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder sonst von vornherein außer Zweifel steht (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 78 AsylVfG Rn. 64; Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, Band 3, Stand: Dezember 2007, § 78 Rn. 112). So liegt der Fall hier. Die im Zulassungsantrag formulierte Frage ist nach Auffassung des Senats eindeutig zu verneinen.

Das Krankheitsbild einer bürgerkriegsbedingten posttraumatischen Belastungsstörung weist sowohl hinsichtlich der Faktoren seiner Entstehung, des Ausprägungsgrades der Krankheitssymptome als auch der Therapieerfordernisse vielfältige Unterschiede auf. Das Ausmaß und der Grad der Manifestation der psychischen Störung hängen nicht nur von der Schwere, dem Zeitpunkt und der Dauer des erlebten belastenden Ereignisses ab, sondern auch von den individuellen Persönlichkeitsfaktoren des Betroffenen. Der Individualität der Krankheitsentstehung und des Schweregrades der Erkrankung entsprechend sind die Art und der notwendige Umfang der jeweils erforderlichen Behandlung, wie die Klägerin selbst vorträgt, von Fall zu Fall höchst unterschiedlich. Schon angesichts dieser erheblichen Unterschiede kann nicht davon ausgegangen werden, dass grundsätzlich jedem Betroffenen aus dem Kosovo, bei dem eine bürgerkriegsbedingte posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wird, aufgrund der Verhältnisse in seinem Heimatland in gleicher Weise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben droht. Auch die Frage der Verfügbarkeit einer notwendigen Behandlung und Therapie sowie deren Erreichbarkeit hängen jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Für die Annahme, bei den in Folge individueller Kriegserlebnisse psychisch traumatisierten Personen aus dem Kosovo handele es sich um eine Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die einer allgemeinen Gefahrenlage ausgesetzt sei, ist danach kein Raum (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 16. Februar 2004 - 14 A 548/04.A -; VGH Kassel, Beschluss vom 28. November 2005 - 7 ZU 153/05.A - jeweils zitiert nach juris).

b) Aus den vorstehenden Gründen kommt auch der weiteren Frage, ob das Vorliegen des komplexen psychiatrischen Beschwerdebildes der posttraumatischen Belastungsstörung grundsätzlich geeignet ist, die hiervon betroffenen Personen als Gruppe im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zusammenzufassen, kein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Klärungsbedarf zu. Die erheblichen individuellen Unterschiede, die dem Krankheitsbild einer posttraumatischen Belastungsstörung immanent sind, betreffen nicht nur den Personenkreis der Ausländer aus dem Kosovo, auf den die Fragestellung zu 1. abstellt. Die aufgezeigten Besonderheiten, die sich daraus hinsichtlich der Beurteilung einer aus einer posttraumatischen Belastungsstörung erwachsenden Gefahrenlage ergeben, gelten vielmehr allgemein in den Fällen, in denen die Diagnose eine Vielzahl von Personen betrifft. Auch insoweit steht angesichts der von der Klägerin selbst hervorgehobenen Komplexität des Beschwerdebildes mithin außer Frage, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer allgemeinen Gefahr für eine Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht erfüllt sind, ohne dass es einer weitergehenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedürfte.