VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 13.10.2008 - 13 L 1645/08.A - asyl.net: M14088
https://www.asyl.net/rsdb/M14088
Leitsatz:

Stopp einer Dublin-Überstellung im Wege eines "Schiebebeschlusses" bis zur Stellungnahme des Bundesamtes, wenn ein Sonderfall glaubhaft gemacht wird, der ausnahmsweise die Aussetzung der Abschiebung trotz § 34 a Abs. 2 AsylVfG erlaubt (hier: Gefahr der Obdachlosigkeit in Griechenland).

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Griechenland (A), Verordnung Dublin II, Abschiebung, Drittstaatenregelung, normative Vergewisserung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Schiebebeschluss, Rechtsweggarantie, Aufnahmebedingungen, Dublin II-VO, Dublinverfahren,
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4; AsylVfG § 34a Abs. 2
Auszüge:

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann eine einstweilige Anordnung zur Sicherung eines Rechts des Antragstellers nur getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO) das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.

Sind der Sachverhalt und/oder die entscheidungserheblichen Fragen zunächst noch nicht hinreichend überschaubar oder hatte der Antragsgegner noch keine Gelegenheit zur Stellungnahme und besteht deshalb für das Gericht noch keine Möglichkeit zum sofortigen Erlass einer einstweiligen Anordnung, ist aber eine rasche Entscheidung zur Sicherung der Effektivität des Rechtsschutzes zwingend geboten, kann und muss das Gericht eine zeitlich begrenzte Zwischenregelung treffen, wenn dem keine im Moment der Entscheidung für das Gericht ersichtlichen überwiegenden öffentlichen Interessen oder Interessen Dritter entgegenstehen. Die Befugnis hieraus folgt unmittelbar aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) (Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl., § 123 Rdn. 29).

Nach diesen Maßstäben war der Erlass der einstweiligen Anordnung in dem im Tenor genannten Umfang als Zwischenregelung bis zum Abschluss des vorliegenden Eilverfahrens geboten. Da die Antragsgegnerin noch keine Gelegenheit hatte, zu dem Antrag Stellung zu nehmen, und dem Gericht auch die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin noch nicht vorliegen, war eine das Eilverfahren abschließende Entscheidung noch nicht möglich. Andererseits war eine die Verbringung der Antragstellerin nach Griechenland gegenwärtig verhindernde Entscheidung geboten, da anderenfalls nicht sichergestellt wäre, dass sie ihre Rechte im vorliegenden Verfahren in einer Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Weise geltend machen kann. Zwar ist die Antragstellerin anwaltlich vertreten; angesichts der von ihr vorgetragenen Situation in Griechenland und insbesondere der geltend gemachten Gefahr der Obdachlosigkeit kann sie jedoch nicht darauf verwiesen werden, ihre Rechte von Griechenland aus geltend zu machen.

Dem steht auch schließlich § 34a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) nicht entgegen. Zwar darf hiernach die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. Jedoch kommt die vorläufige Untersagung der Abschiebung nach § 123 VwGO in verfassungskonformer Auslegung dieser Bestimmung dann in Betracht, wenn eine die konkrete Schutzgewährung in Zweifel ziehende Sachlage im für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gegeben ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 - BVerfGE 94, 49).

Hiernach ist die Vorschrift des § 34a AsylVfG verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass sie entgegen ihrem Wortlaut die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Zusammenhang mit geplanten Abschiebungen in den sicheren Drittstaat nicht generell verbietet, sondern derartiger Rechtsschutz in Ausnahmefällen nach den allgemeinen Regeln möglich bleibt. Davon ausgehend, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i.S.d. Art. 16a Abs. 2 GG bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist zwar aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden normativen Vergewisserungskonzepts davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist. Zudem beruht die Dublin II-VO wie jede auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK sowie der EMRK in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und 12 der Dublin II-VO und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EGV). Eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer danach jedoch dann erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist, wobei an die Darlegung eines Sonderfalles strenge Anforderungen zu stellen sind (BVerfG, a.a.O.).

Dass ein derartiger Sonderfall vorliegt, hat die Antragstellerin substantiiert geltend gemacht. Ob damit die genannten Voraussetzungen erfüllt sind, wird im Eilverfahren zu klären sein.