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VG Chemnitz

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Zitieren als:
VG Chemnitz, Urteil vom 15.07.2008 - A 5 K 36/08 - asyl.net: M14328
https://www.asyl.net/rsdb/M14328
Leitsatz:

Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG für alleinerziehende Mutter aus dem Kosovo, die unter einer psychischen Erkrankungung leidet, da sie als Angehörige der Roma keinen Zugang zur notwendigen medizinischen Versorgung erhält.

 

Schlagwörter: Kosovo, Roma, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, medizinische Versorgung, Diskriminierung, alleinstehende Personen, alleinerziehende Frauen, Sozialhilfe, Existenzminimum, Versorgungslage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG für alleinerziehende Mutter aus dem Kosovo, die unter einer psychischen Erkrankungung leidet, da sie als Angehörige der Roma keinen Zugang zur notwendigen medizinischen Versorgung erhält.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Kläger haben keine Ansprüche auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG.

Bei einer Rückkehr der Kläger in ihre Heimatregion im Kosovo kann eine ethnische Verfolgung der Kläger wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.

Die Klägerin zu 1) hat einen Anspruch auf Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.

In einem von der Klagepartei vorgelegten Attest des Klinikum vom 03.04.2007 wurde schließlich ausgeführt, dass die Klägerin zu 1) wegen einer gravierenden psychischen Erkrankung in dem Zeitraum vom 12.02.2007 bis zum 19.02.2007 vollstationär und ab dem 20.02.2007 bis zum 02.03.2007 teilstationär behandelt worden sei. Die Klägerin zu 1) leide an depressiven Episoden mit Lebensüberdrussgedanken. Die stationäre Aufnahme der Klägerin zu 1) sei notfallmäßig aufgrund einer psychischen Dekompensation bei multiplen Belastungsfaktoren erfolgt. Eine ambulante Weiterbehandlung durch die Ärztin sei empfohlen worden. Bei diesem medizinisch nachgewiesenen erheblichen psychischen Beeinträchtigungen ist es für das Gericht nicht vorstellbar, dass die Klägerin zu 1) bei einer Rückkehr in das Kosovo in der Lage ist, sich Zugang zur staatlichen Gesundheitsfürsorge sowie zu staatlichen Sozialleistungen zu verschaffen und als Angehörige der Minderheit der Volksgruppe der Roma gegenüber den kosovarischen Behörden ihre Rechte für sich und ihre vier minderjährigen Kinder wahrzunehmen. Der Klägerin zu 1) drohen daher bei einer Rückkehr nach Serbien schwere Gefahren für Leib und Leben. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die psychische Erkrankung der Klägerin zu 1) im Kosovo grundsätzlich behandelbar ist. Für die psychisch schwer erkrankte Klägerin, deren gesamte Familie augenscheinlich der Volksgruppe der Roma angehört, dürfte es jedoch nahezu unmöglich sein, überhaupt Zugang zur staatlichen Gesundheitsfürsorge und zu anderen notwendigen Sozialleistungen wie zum Beispiel Sozialhilfe zu erhalten. Nach dem zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 15.02.2007 werden im Kosovo Angehörige der Volksgruppe der Roma nach wie vor beleidigt, diskriminiert und eingeschüchtert. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Klägerin zu 1) als alleinerziehende Mutter in besonderer Weise von Diskriminierung betroffen ist. Nach dem zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 15.02.2007 geraten alleinerziehende Frauen wegen der hohen Arbeitslosigkeit zumeist unmittelbar in Abhängigkeit von Sozialhilfe bzw. von mildtätigen Organisationen und damit in eine untergeordnete soziale Stellung. Auch nach dem zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Bericht von Karsten Lüthke "Perspektiven bei einer Rückkehr in das Kosovo, insbesondere für Angehörige ethnischer Minderheiten" vom Februar 2007 droht alleinerziehenden Frauen im Kosovo soziale und wirtschaftliche Isolation. Staatliche oder gesellschaftliche Institutionen, die dies auffangen könnten, gebe es im Kosovo praktisch nicht. Alleinstehende und insbesondere alleinerziehende Frauen hätten im Kosovo keine ausreichende Lebensbasis. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in das Kosovo von dort noch lebenden Familienangehörigen in ausreichendem Maße unterstützt werden kann. Nach der vorgenannten Stellungnahme von Karsten Lüthke leben sämtliche Angehörige der Volksgruppe der Roma im Kosovo am Rande des Existenzminimums. Angehörige der Minderheiten der Roma und der Ashkali seien vom regulären Arbeitsmarkt faktisch weitgehend ausgeschlossen. Die Arbeitslosenquote in Roma- oder Ashkali-Gemeinschaften tendiere gegen 100 %. In Pristina stoße man auf belebten Straßen und Plätzen und in den Cafés auf bettelnde Roma-Frauen und Kinder. Selbst wenn es die Klägerin, wie vorstehend ausgeführt wurde, in mehrfacher Weise diskriminiert ist, möglich wäre, Zugang zum Sozialsystem und Gesundheitssystem zu erhalten, würde die Klägerin jedenfalls aufgrund ihrer schweren psychischen Krankheit nur bedingt in der Lage sein, die niedrigen Sozialhilfeleistungen bzw. andere Unterstützungen so zu verwenden, dass der Lebensunterhalt dann auch für sie und ihre Kinder gesichert wäre.

Die Kläger zu 2) bis zu 5) haben keine Ansprüche auf Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegt.

Im Hinblick auf die Möglichkeit einer Existenzsicherung geht das Gericht zwar davon aus, dass die wirtschaftliche Lage im Kosovo weiterhin prekär ist. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist jedoch grundsätzlich gewährleistet. Bedürftige Personen erhalten Unterstützung in Form von Sozialhilfe. Die medizinische Grundversorgung ist zwar nicht an mitteleuropäischen Maßstäben zu messen, hat sich jedoch seit dem Jahre 1999 kontinuierlich verbessert. Für die Kläger zu 2) bis 5) besteht auch nicht die Gefahr, als unbegleitete Minderjährige ohne ihre Mutter in ihr Heimatland abgeschoben zu werden.