OLG Bremen

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Zitieren als:
OLG Bremen, Beschluss vom 29.09.2008 - Ss 23/08 - asyl.net: M14396
https://www.asyl.net/rsdb/M14396
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Strafrecht, räumliche Beschränkung, Verstoß gegen räumliche Beschränkung, Strafbefehl, Anklageschrift, Duldung, Aufenthaltserlaubnis, Hinweis, Hinweispflicht, Sachaufklärungspflicht, Auslandsvertretung
Normen: AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 7; StPO § 409 Abs. 1 Nr. 3; StPO § 409 Abs. 1 Nr. 4; StPO § 265 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die statthafte (§ 335 StPO), form- und fristgerecht eingelegte (§ 341 StPO) und begründete (§ 344 StPO) Revision des Angeklagten führt aufgrund der Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.

Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat in ihrer Stellungnahme vom 07.09.2008 zur Zulässigkeit und Begründetheit der Revision folgendes ausgeführt:

"I. Die Revision des Angeklagten ... ist statthaft (§ 335 Abs. 1 StPO). [...]

II. Sie erweist sich auch als begründet. [...]

1 a) Entgegen den Ausführungen des Angeklagten in seiner Revisionsschrift vom 04.10.2007 (55/62) fehlt es nicht an der Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Anklageschrift. [...]

Gemäß § 409 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StPO muss zwar der Strafbefehl die Bezeichnung der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat, Zeit und Ort ihrer Begehung, die Bezeichnung der gesetzlichen Merkmale der Straftat sowie die angewendeten Vorschriften nach Paragraf, Absatz, Nummer, Buchstabe und mit der Bezeichnung des Gesetzes enthalten. Hierbei werden die Tat und ihre gesetzlichen Merkmale (§ 409 Abs. 1 Nr. 3 StPO) schon im Strafbefehlsantrag ebenso dargestellt wie im Anklagesatz (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO), den er ersetzt (Meyer-Goßner, a.a.O., § 409 Rn. 4 m.w.N.). Denn nach dem Einspruch muss sich aus ihr der verlesbare Anklagesatz ergeben (Meyer-Goßner a.a.O.).

Danach sind die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zelt und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs dargestellt ist und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; vor allem muss sich die Tat von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (BGH 4 StR 244/96 vom 08.08.1996; Meyer-Goßner, a a.O., § 409 Rn. 4, § 200 Rn. 28; LR-Gössel, a.a.O., § 409 Rn. 9, 10); fehlt es daran, ist im Falle der Einlegung eines Einspruchs das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen (Meyer-Goßner, a.a.O., § 409 Rn. 4 m.w N; LR-Gössel, a.a.O., § 409 Rn. 12).

Diese Vorgaben sind vorliegend erfüllt. Die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat ist in dem antragsgemäß erlassenen Strafbefehl nach Tatzeit, Tatort und Art und Weise ihrer Begehung unverwechselbar geschildert worden. Dabei wurde deutlich gemacht, dass das Verlassen des Landes Bremen dem Angeklagten deswegen als strafbar zur Last gelegt wurde, weil er eine aus seinem ausländerrechtlichen Status herrührende räumliche Beschränkung nicht beachtet hatte; dass der ausländerrechtliche Status hierbei rechtlich fehlerhaft bezeichnet wurde, ist für die Wahrung der Umgrenzungsfunktion des Strafbefehlsantrages irrelevant.

Nicht zur Unwirksamkeit führt auch der Umstand, dass die genaue Tatbestandsalternative der angewendeten Strafvorschrift bei der paragrafenmäßigen Bezeichnung der Tat nicht angegeben worden ist. Der n das Fehlen der angewendeten Strafvorschriften (§ 409 Abs. 1 Nr. 4 StPO) gefährdet den Bestand des Strafbefehls nicht (Meyer-Goßner, a.a.O., § 409 Rn. 5) und ist für die Rechtswirksamkeit des Strafbefehls als Verfahrensgrundlage bedeutungslos (LR-Gössel, a.a.O., § 409 Rn. 13; Meyer-Goßner, a.a.O., § 200 Rn. 27). Mängel dieser Art können mit der Revision nicht geltend gemacht werden (BGH bei Kusch NStZ 1995, 19).

b) Auch soweit der Angeklagte die Verletzung von § 265 Abs. 1 StPO rügt, bleibt der Rüge der Erfolg versagt. Die Rüge wird damit begründet, dass das Tatgericht einen rechtlichen Hinweis, gegen welche Alternative von § 95 AufenthG der Angeklagte verstoßen habe, nicht erteilt habe, obgleich hierauf auch in dem Strafbefehl kein Hinweis enthalten gewesen sei und nach dessen Wortlaut wegen der angenommenen Aufenthaltserlaubnis nicht ein Vergehen nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, sondern nur eines nach § 95 Abs. 1 Nr. 4, 6 oder 6a AufenthG in Betracht gekommen wäre. [...]

Der Angeklagte ist nämlich wegen desselben Sachverhalts verurteilt worden, dessen er auch angeklagt war. Wenngleich aus dem abstrakten Tatbestand des Strafbefehls ersichtlich war, dass dort von einem Verstoß gegen § 95 Abs. 1 Nr. 6a AufenthG ausgegangen worden war, später aber eine Verurteilung nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erfolgte, bedurfte es auch unter diesem Aspekt keines Hinweises nach § 265 StPO. Denn bei dem Übergang zu einer anderen gleichartigen Begehungsform desselben Straftatbestandes ist ein solcher entbehrlich (BGHSt 23, 95, 96; Meyer-Goßner, a.a.O., § 265 Rn 13 m.w.N.). Ob es sich um eine andersartige oder um eine gleichartige Erscheinungsform desselben Tatbestandes handelt, bestimmt sich nicht nach äußeren Merkmalen, sondern ausschließlich nach dem wesensmäßigen Inhalt der Begehungsform (BGH a.a.O. m.w.N.). Danach handelt es sich vorliegend um eine gleichartige Erscheinungsform des angelegten Straftatbestandes, da der Kernvorwurf - der wiederholte Verstoß gegen eine für ihn bestehende räumliche Beschränkung im Rahmen des Ausländerrechts - wesensmäßig identisch ist.

Im Übrigen ist das Fehlen eines grundsätzlich nach § 265 Abs. 1 StPO erforderlichen Hinweises dann unschädlich, wenn ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte sich gegen den geänderten Vorwurf anders und erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können (BGH 2 StR 271/91; BGHSt 23, 95, 98; BGH StV 1988, 329; OLG Stuttgart 1 Ss 770/89 vom 11.01.1990; LR-Gollwitzer, a.O.O., 265 Rn. 114). [...]

2. Auf die Sachrüge ist das angefochtene Urteil jedoch aufzuheben. Die getroffenen Feststellungen sind lückenhaft und tragen den Schuldspruch wegen eines Vergehens gegen § 95 Abs. 1 Nr. 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht.

Ein Vergehen nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG setzt den wiederholten Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 AufenthG voraus. Erforderlich ist insoweit, dass es sich mindestens um den zweiten Verstoß handelt (Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., AufenthG, § 95 Rn. 20; Erbs/Kohlhaas/Senge § 95 AufenthG Rn. 39).

Einen solchen wiederholten Verstoß hat das Tatgericht nicht festgestellt. Ausweislich der Urteilsfeststellungen wurde der Angeklagte am 05.03.2007. In Luckenwalde und damit außerhalb des Geltungsbereichs seiner räumlichen Beschränkung festgestellt. Darüber hinaus hat das Tatgericht lediglich ausgeführt hat, dass der Angeklagte sich gegenüber dem Polizeibeamten ... dahingehend eingelassen habe, dass er am Freitag, den 02.03.2007, die Botschaft von Sierra Leone in Berlin aufsuchen habe wollen, da er Unterlagen für eine anstehende Heirat benötige. Die Botschaft sei jedoch geschlossen gewesen. Am Montag, den 05.03.2007, habe er erneut aus denselben Gründen die Botschaft aufsuchen wollen. Zu diesem Zwecke habe er in Luckenwalde genächtigt.

Es ist damit nicht - wie erforderlich - festgestellt worden, dass der Angeklagte mehr als einmal den Bereich der räumlichen Beschränkung verlassen hat. Vielmehr ist es nach den Urteilsfeststellungen ebenso möglich, dass er von Freitag bis Montag in der Einrichtung in Luckenwalde verblieben ist.

Feststellungen dazu, ob der Angeklagte bereits zuvor gegen die räumliche Beschränkung verstoßen hat, hat das Gericht nicht getroffen.

Nach den getroffenen Feststellungen ist zudem nicht auszuschließen, dass der Angeklagte gemäß § 12 Abs. 5 Satz 3 AufenthG berechtigt war, ohne Erlaubnis seinen beschränkten Aufenthaltsbereich zu verlassen. Danach kann ein Ausländer Termine bei Behörden und Gerichten, bei denen sein persönliches Erscheinen erforderlich ist, ohne Erlaubnis wahrnehmen. Feststellungen hierzu fehlen gänzlich, hätten sich aber aufgedrängt, da das Tatgericht ausweislich der Urteilsgründe zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen ist, dass dieser einen "triftigen Grund" für die Überschreitung der räumlichen Beschränkung hatte, da er die Botschaft von Sierra Leone aufsuchen wollte, um Unterlagen für "eine anstehende Heirat" zu besorgen (2 UA). In diesem Zusammenhang wären weitere Feststellungen dazu erforderlich gewesen, um wessen Hochzeit es sich handelte - nach den getroffenen Feststellungen zur Person war der Angeklagte selbst bereits verheiratet - und ob hierzu das persönliche Erscheinen des Anklagten in der Botschaft im Sinne der Vorschrift erforderlich gewesen wäre."

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat aufgrund eigener Prüfung vollumfänglich an.

[...]