Bei der Entscheidung über die Aufhebung einer wohnsitzbeschränkenden Auflage ist eine tatsächlich gelebte familiäre Lebensgemeinschaft zu berücksichtigen, auch wenn keine standesamtliche Eheschließung bzw. keine leibliche oder rechtliche Elternschaft besteht (hier: religiöse Eheschließung).
Bei der Entscheidung über die Aufhebung einer wohnsitzbeschränkenden Auflage ist eine tatsächlich gelebte familiäre Lebensgemeinschaft zu berücksichtigen, auch wenn keine standesamtliche Eheschließung bzw. keine leibliche oder rechtliche Elternschaft besteht (hier: religiöse Eheschließung).
(Leitsatz der Redaktion)
Die zulässige Klage ist begründet. Weil die mit Bescheid vom 05.05.2006 getroffene Regelung den Kläger in seinen Rechten verletzt, hat er Anspruch auf deren Aufhebung.
Die Beklagte hat die verfügte Wohnsitznahme im Freistaat Sachsen auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gestützt, nach dem Aufenthaltserlaubnisse auch nachträglich mit Auflagen, insbesondere der räumlichen Beschränkung, verbunden werden können. Ausdrücklich beruft sie sich des weiteren auf Ziff. 12.2.3.5 Vorl. Nds. VV-AufenthG. Darin ist zunächst der Grundsatz verankert, dass die Ausländerbehörde des bisherigen Wohnortes wohnsitzbeschränkende Auflagen erst dann streichen darf, wenn die Zustimmung der Ausländerbehörde des Zuzugsortes vorliegt. Gegen diese zwischen den Bundesländern abgestimmte Regelung hat die Ausländerbehörde des LK Sächsische Schweiz verstoßen, indem sie dem Kläger am 27.04.2005 eine Aufenthaltserlaubnis ohne wohnsitzbeschränkende Auflage erteilt hat. Denn sie hatte zuvor zwar das Zustimmungsverfahren mit der Beklagten durchgeführt. Die Beklagte hat am 25.10.2004 die Erteilung der Zustimmung zum Zuzug des Klägers in ihren Zuständigkeitsbereich aber abgelehnt.
Diesen Fall regelt Ziff. 12.2.3.5 Satz 2 Vorl. Nds. VV-AufenthG, die vorsieht, dass dann, wenn eine wohnsitzbeschränkende Auflage ohne die vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde des Zuzugsortes gestrichen oder geändert wurde und innerhalb von sechs Monaten am Zuzugsort Bedürftigkeit nach dem SGB II oder XII oder dem AsylbLG eintritt, die Wohnsitznahme erneut auf das Land des vorherigen Wohnorts zu beschränken ist, es sei denn, es ist einer der in Ziff. 12.2.3.4 Vorl. Nds. W-AufenthG genannten Gründe gegeben. Hier liegen zwar die Voraussetzungen der fehlenden Zustimmung, der Beklagten zur Streichung der wohnsitzbeschränkenden Auflage und die Bedürftigkeit des Klägers im Sinne dieser Vorschrift vor. Gleichzeitig besteht aber auch ein Hinderungsgrund i.S.d. Ziff. 12.2.3.4 Vorl. Nds. VV-AufenthG: Danach ist die Zustimmung unabhängig von der Sicherung des Lebensunterhalts u.a. dann zu erteilen, wenn der Umzug der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft zwischen Ehepartnern sowie Eltern und ihren minderjährigen Kindern dient, die über eine Aufenthaltserlaubnis nach Kapitel 2 Abschnitt 5 verfügen.
Die Regelung ist erkennbar Ausfluss des besonderen Schutzes von Ehe und Familie durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Die Beklagte hat insoweit auch zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger mit Frau ... nur nach religiösem Ritus und nicht staatlich verheiratet sowie nur Onkel, aber nicht Vater der Kinder von Frau ... ist. Zur Überzeugung des Gerichts unterfällt die Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger, Frau ... und deren Kindern aber gleichwohl dem Schutzbereich von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK. Auch wenn insoweit zunächst regelmäßig von einer staatlich-standesamtlich geschlossenen Ehe bzw. dem Bestehen eines leiblichen Kindschaftsverhältnisses auszugehen ist, vermag das ausschließlich formale Bestehen einer Ehe ebenso wenig wie die bloße biologische Vaterschaft einen auf Art. 6 GG gestützten ausländerrechtlichen Anspruch zu begründen. Zusätzlich ist vielmehr ein weiteres qualitatives Merkmal zu verlangen, nämlich ein tatsächlich gelebtes Näheverhältnis zwischen den Familienmitgliedern, das entsprechend dem Gewicht der bestehenden Bindungen auch bei ausländerrechtlichen Entscheidungen in die Erwägung einzustellen ist (vgl. BVerfG, B. v. 22.12.2003 - 2 BvR 2108/00 - u. B. v. 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -). Die Ausländerbehörde hat die jeweils bestehenden Bindungen bei ihrer Ermessensentscheidung mithin pflichtgemäß zur Geltung zu bringen. Während danach eine nur "formale" Stellung nicht ausreichen kann, wird eine solche darüber hinaus teilweise nicht einmal vorausgesetzt. Es wird u.a. anerkannt, dass der Familienschutz des Art. 6 GG das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern auch dann erfasst, wenn die Eltern einander nicht in Einehe, sondern in Mehrehe verbunden sind (vgl. BVerwG, U. v. 30.04.1985 - 1 C 33/81 -), oder auch eine Einehe nur nach islamischem Ritus geschlossenen wurde (vgl. Nds. OVG, B. v. 17.05.2001 - 4 MA 911/01 -). Schließlich ist auch die Wertung des Gesetzgebers in § 1685 Abs. 1 und Abs. 2 BGB zu beachten, der auch Großeltern, Geschwistern und sonstigen engen Bezugspersonen ein Umgangsrecht einräumt, die für das Kind tatsächlich Verantwortung tragen. Nach § 1685 Abs. 2 Satz 2 BGB spricht es in der Regel für die Übernahme tatsächlicher Verantwortung, wenn die betroffene Person mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammen gelebt hat.
Diese Voraussetzung ist beim Kläger im Verhältnis zu den Kindern von Frau ... gegeben.
Der Kläger muss sich auch nicht darauf verweisen lassen, in die Sächsische Schweiz zurückzukehren und zu hoffen, dass Frau ... ihm nachfolgt. Frau ... ist es als leiblicher Mutter von acht Kindern nämlich nicht zuzumuten, den örtlichen Einzugsbereich zu verlassen, in dem sich ihre Kinder wie sie selbst rechtmäßig aufhalten. Drei Kinder leben noch mit Frau ... und dem Kläger gemeinsam in einer Wohnung. Die Älteren, bereits ausgezogenen Kinder leben und arbeiten mit Schwerpunkt im Raum Hannover, nämlich in Lehrte, Peine und Sehnde; zwei Kinder sind in Magdeburg verheiratet.
Auch wenn die Beklagte zu Recht beanstandet, dass das Landratsamt Sächsische Schweiz ihre Nichtzustimmung zum Zuzug des Klägers in die Region Hannover ignoriert und ihm eine Aufenthaltserlaubnis ohne wohnsitzbeschränkende Auflage erteilt hat, darf der entstandene Konflikt bei der gebotenen Beachtung des besonderen Schutzes von Ehe und Familie nicht zu Lasten des Klägers gelöst werden.