OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.12.2008 - 15 B 1730/08.A - asyl.net: M14462
https://www.asyl.net/rsdb/M14462
Leitsatz:

Der Stopp einer Dublin-Überstellung im Wege der einstweiligen Anordnung unter Berufung auf die Rechtsprechung des BVerfG zu § 34a Abs. 2 AsylVfG ist nicht "greifbar gesetzeswidrig", so dass die Beschwerde gem. § 80 AsylVfG ausgeschlossen ist.

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Beschwerde, außerordentliche Beschwerde, Streitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Verordnung Dublin II, Griechenland, Abschiebungsanordnung, Drittstaatenregelung, Verfassungsmäßigkeit, Dublin II-VO, Dublinverfahren,
Normen: VwGO § 123; AsylVfG § 80; AsylVfG § 34a Abs. 1; AsylVfG § 34a Abs. 2; AsylVfG § 26a
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde ist nicht statthaft. Zwar ist gegen eine einstweilige Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) grundsätzlich die Beschwerde nach § 146 VwGO eröffnet. Gemäß der Sondervorschrift des § 80 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) können jedoch Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz - abgesehen von der hier nicht einschlägigen Revisionsnichtzulassungsbeschwerde - nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Hier handelt es sich um eine Entscheidung in einer Rechtsstreitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz. Die Beteiligten streiten nämlich darüber, ob die Antragstellerin nach § 34a Abs. 1 AsylVfG zur Durchführung eines Asylverfahrens nach Griechenland abgeschoben werden darf.

Der Umstand, dass in derartigen Verfahren nach § 34a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung nicht nach § 123 VwGO ausgesetzt werden darf und hier also eine vom Asylverfahrensgesetz nicht vorgesehene Entscheidung des einstweiligen Rechtsschutzes getroffen wurde, nimmt ihr nicht den Charakter, in einer Rechtsstreitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz ergangen zu sein. Zwar hat der Gesetzgeber möglicherweise bei der Regelung über den Ausschluss der Beschwerde solche nach dem System des Gesetzes nicht zulässigen Entscheidungen nicht im Blick gehabt. Jedoch erfasst sowohl der Wortlaut des gesetzlichen Beschwerdeausschlusses als auch der mit dem Ausschluss verfolgte Beschleunigungszweck Entscheidungen der vorliegenden Art. Das Begehren um einstweiligen Rechtsschutz soll nach der Konzeption des Gesetzes endgültig nur in einer Instanz entschieden werden. Dies mag man rechtspolitisch mit Stimmen in der Literatur als Ursache einer Rechtszersplitterung beklagen (vgl. Schenk, in: Hailbronner, Ausländerrecht, Loseblattsammlung (Stand: Oktober 2008), § 80 AsylVfG Rn. 4), ändert aber de lege lata nichts an der Rechtslage.

Die Beschwerde ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt greifbarer Gesetzwidrigkeit statthaft. Dabei kann offen bleiben, ob für die Eröffnung einer solchen außerordentlichen Beschwerde heute noch nach verschiedenen prozessrechtlichen Änderungen Raum ist (vgl. im verneinenden Sinne: BVerwG, Beschluss vom 8. Oktober 2007 - 5 B 190.07 -, Juris; Beschluss vom 27. März 2006 - 10 B 13.06 -, Buchholz 310 § 146 VwGO Nr. 6; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 2. Oktober 2008 - 3 Bs 182/08 -).

Denn die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist nicht greifbar gesetzwidrig. Sie stützt sich für die Zulässigkeit der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes entgegen dem Wortlaut des § 34a Abs. 2 AsylVfG auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verbringung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat im Sinne des § 26a AsylVfG, für die die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ebenfalls nach § 34a Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in verfassungskonformer Auslegung dieser Regelung des Ausschlusses einstweiligen Rechtsschutzes ausgeführt, dass grundsätzlich gegen eine Verbringung in den sicheren Drittstaat vom Asylbewerber nicht eingewandt werden könne, für ihn bestehe in diesem Land keine Sicherheit, weil dort in seinem Einzelfall - trotz normativer Vergewisserung - die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Es müsse allerdings Schutz gewährt werden, wenn Abschiebungshindernisse durch Umstände begründet würden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden könnten und damit von vornherein außerhalb der Grenzen lägen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich heraus gesetzt seien (vgl. BVerfG, Urteil vom 14 Mai 1996 - 2 BvR 1938, 2315/93 -, BVerfGE 94, 49).

Auf diese Grundsätze hat sich das Verwaltungsgericht gestützt. Damit kann nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen vorliegen, die für die außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit angenommen wurden (die Entscheidung entbehrt jeder gesetzlichen Grundlage und ist inhaltlich dem Gesetz fremd; die Entscheidung ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar, weil sie mit der Rechtsordnung schlechterdings unvereinbar oder willkürlich ist) (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 27. März 2006 - 10 B 13.06 -, Buchholz 310 § 146 VwGO Nr. 6; Beschluss vom 9. Februar 2005 - 1 VR 3.05 -, Buchholz 310 § 152 VwGO Nr. 15; Beschluss vom 5. Oktober 2004 - 2 B 90.04 -, NVwZ 2005, 232).

Die Antragsgegnerin macht zwar geltend, dass die angegriffene Entscheidung "ihrer Art nach vom Gesetz ausdrücklich und ausnahmslos untersagt" sei. Sie führt dann aber über mehr als zwei Seiten aus, dass die vom Bundesverfassungsgericht eröffnete Ausnahme des Ausschlusses des einstweiligen Rechtsschutzes hier nicht vorliege. Damit erkennt sie selbst an, dass der Ausschluss des einstweiligen Rechtsschutzes von Rechts wegen eben nicht ausnahmslos ist.

Ob die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu Recht erfolgt ist, bestimmt sich somit nicht allein nach § 34a Abs. 2 AsylVfG, sondern auch danach, ob die anerkannten Ausnahmefälle für diese Vorschrift im Einzelfall vorliegen oder nicht. Damit mag - wie die Antragsgegnerin im Einzelnen ausführt - die Entscheidung zwar Inhaltlich falsch oder in verfahrensrechtlicher Hinsicht fehlerhaft sein, sie ist aber nicht greifbar gesetzwidrig. [...]