VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 22.08.2008 - 2 A 138.07 - asyl.net: M14482
https://www.asyl.net/rsdb/M14482
Leitsatz:

[Aufgehoben durch BVerwG, Urt. v. 29.10.09 (7 C 21.08) und Zurückverweisung der Sache an das VG Berlin.]

Kein Anspruch auf Zugang zum Leitfaden Sprachnachweis des Goethe-Instituts nach dem Informationsfreiheitsgesetz, da dieser als "VS – Nur für den Dienstgebrauch" eingestuft ist.

Schlagwörter: D (A), Visumsverfahren, Sprachkenntnisse, Ehegattennachzug, Verfahrensrecht, Informationsfreiheitsgesetz, VS - Nur für den Dienstgebrauch, Verschlusssache, VS-Anweisung, Auswärtiges Amt, Visumshandbuch, Leitfaden Sprachnachweis, Goethe-Institut
Normen: IFG § 1 Abs. 1; IFG § 3 Nr. 4; SÜG § 4 Abs. 1; VSA § 4 Abs. 2; VSA § 8 Abs. 1
Auszüge:

Kein Anspruch auf Zugang zum Leitfaden Sprachnachweis des Goethe-Instituts nach dem Informationsfreiheitsgesetz, da dieser als "VS – Nur für den Dienstgebrauch" eingestuft ist.

(Leitsatz der Redaktion)

[...]

Die Klage, über die infolge des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO der Berichterstatter hat entscheiden dürfen, ist unbegründet, weil der versagende Bescheid rechtmäßig ist (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der streitige Anspruch auf Informationszugang besteht nicht. [...]

Keiner Darlegung bedarf, dass der Leitfaden, der Teil des Visumhandbuchs des Auswärtigen Amts ist, als amtliche Information einer Behörde des Bundes Gegenstand eines Informationszugangsanspruch sein kann (§ 1 Abs. 1 Satz 1 IFG). [...]

Indes besteht nach § 3 Nr. 4 IFG der Anspruch nicht, wenn die Information einer durch Rechtsvorschrift oder durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen (VSA, in der derzeit gültigen Fassung abgedruckt in GMBl. 2006. 803) geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht oder einem Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis unterliegt. So liegt es hier infolge der Einstufung des Leitfadens als VS-NfD, weil in ihrer Folge die VSA eine Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitspflicht regelt. Bereits die Einstufung einer Information als Verschlusssache, sei es auch nur mit VS-NfD, löst für sie die Wirkung des § 3 Nr. 4 IFG aus (vgl. [nicht rechtskräftiges] Urteil der [vollen] Kammer vom 31. Mai 2007 - VG 2 A 93.06 -, Abdruck Seite 8: Verwaltungsgericht Ansbach, Urteil vom 22. Januar 2008 - AN 4 K 07.00903 u.a. - Rn. 28 zitiert nach Juris).

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist das Gericht davon überzeugt, dass der Leitfaden als Verschlusssache VS-NfD eingestuft ist. [...]

Zwar gibt es keine Rechtsvorschrift, durch deren Regelungen der Leitfaden einer Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht unterläge. Er ist zunächst kein Staatsgeheimnis im Sinne des § 93 Abs. 1 StGB, was nicht näher zu begründen ist.

Entgegen der Auffassung der Beklagten resultiert die Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht nicht unmittelbar aus § 4 Abs. 1 SOG. Dessen Satz 1 definiert den Begriff der Verschlusssache nur und zwar in der Weise, dass es im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse sind. Die Norm/Rechtsvorschrift regelt die Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht nicht selbst, sondern setzt die Geheimhaltungsbedürftigkeit voraus. Für die nicht begründete Auffassung, die Norm ordne allgemein eine Geheimhaltungspflicht für näher Bestimmtes an, findet sich bei Berger/Roth/Scheel, IFG, § 3 Rn. 114, und auch sonst keine Begründung. Doch ist die den Anspruch auf Informationszugang ausschließende Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht durch die VSA geregelt. § 4 Abs. 1 Satz 2 SÜG bestimmt, dass die Verschlusssachen entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung in die durch § 4 Abs. 2 SÜG definierten Kategorien eingestuft werden. Erst mit dieser Einstufung ergeben sich Folgen, insbesondere für den Umgang mit der Information. Nach § 4 Abs. 2 VSA trägt jeder, dem eine Verschlusssache anvertraut oder zugänglich gemacht worden ist, die persönliche Verantwortung auch für die Geheimhaltung ihres Inhalts gemäß den Bestimmungen der VSA. § 13 Abs. 1 Satz 1 VSA präzisiert die Verschwiegenheitspflicht dahin, dass Erörterungen über Verschlusssachen in Gegenwart Unbefugter und in der Öffentlichkeit zu unterlassen sind. Damit wird - wie es der Wortlaut des § 3 Nr. 4 IFG verlangt - durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift (VSA) für die klassifizierten Informationen eine Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht geregelt. Die Einstufung einer Information als Verschlusssache in eine der Kategorien des § 4 Abs. 2 SÜG regelt für sie eine Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht und sperrt so über § 3 Nr. 4 IFG den Zugang zu ihr (was den für Berger/Roth/Scheel, aaO, Rn. 121, unerfindlichen Anwendungsbereich der Norm beschreibt; s.a. Rossi, IFG, § 3 Rn. 50).

Andere Auslegungsansätze widerstreiten diesem aus dem Wortlaut des § 3 Nr. 4 IFG abgeleitetem Ergebnis nicht.

Der systematische Einwand des Klägers (Vergleich mit den anderen Varianten des § 3 Nr. 4 IFG) überzeugt nicht. Die VSA enthalten keine über § 4 SÜG hinausgehenden materiellen Kriterien für die Bestimmung einer Verschlusssache, sondern knüpfen an die Einstufung Folgen für den Umgang mit der Information (während das Gesetz [SÜG] die Überprüfung der mit ihr Umgehenden regelt). Ihre Erwähnung in § 3 Nr. 4 IFG spricht eher für das hier vertretene Verständnis. Denn wenn es nur auf die Kriterien des § 4 Abs. 2 SÜG ankäme, bedürfte es des Verweises auf die Allgemeine Verwaltungsvorschrift (VSA) nicht. Diesem Merkmal käme dann keine eigene Bedeutung zu.

Auch wenn man mit dem Kläger die Tragfähigkeit von Erwägungen aus den Gesetzesmaterialien gering ansetzte, kommt man nicht umhin zu bemerken, dass die Entwurfsbegründung davon spricht, dass die Einstufung einen Informationszugangsanspruch ausschließt und das auch für die Einstufung VS-NfD gelte (Deutscher Bundestag, Drucksache 15/4493, Seite 11 zu Nr. 4). Dieser Umstand stärkt die hier vertretene Position, er ist kein Argument gegen sie.

Die ebenfalls aus der Entwurfsbegründung zitierten Erwägungen (aaO, Seite 6 A.I.) über die Zielsetzung des Gesetzes widerstreiten dem hier vertretenen Verständnis nicht. Dass der Zugang zur Information und die Transparenz behördlicher Entscheidungen eine wichtige Voraussetzung für die effektive Wahrnehmung von Bürgerrechten sei, besagt nicht, dass Zugang zu jeder Information zu schaffen ist. Das Gesetz verlangt vielmehr immer wieder die Abwägung zwischen Informations- und Geheimhaltungsinteresse und gestaltet den Zugangsanspruch jeweils in Bezug auf die konkrete Information. Vollständige Verfehlung des Zwecks des Gesetzes ist nicht die Folge des hier vertretenen Verständnisses von § 3 Nr. 4 IFG. Wie auch dieser Fall (mit erfüllten Auskunftsbegehren) zeigt, bleiben Informationen von Interesse übrig, zu denen Zugang verschafft werden kann.

Die von Berger/Roth/Scheel, aaO, Rn. 124, besorgte Folge des hier vertretenen Verständnisses, dass die Einstufung VS-NfD ein unbürokratisches Mittel eröffne, unerwünschte Informationszugangsanträge abzuweisen, erscheint nur denkbar, aber nicht praktisch relevant. Zwar dürfte - anders als Jastrow/Schlatmann, IFG, § 3 Rn. 81, meinen - gegen die Einstufung nach § 4 SÜG kein Rechtsschutz möglich sein (weil sie kein Verwaltungsakt ist), doch darf man nach aller Erfahrung mit den gerichtlicherseits in den verschiedensten Rechtsgebieten beigezogenen Verwaltungsvorgängen annehmen, dass auch nach Inkrafttreten des IFG von einer Einstufung als Verschlusssache nur der notwendige, nämlich der sachlich begründbare Gebrauch gemacht wird (§ 8 Abs. 1 Satz 2 VSA). Selbst wenn sich aber im Zuge der durch § 14 IFG vorgesehenen Evaluierung herausstellen sollte, dass diese wohl auch im Gesetzgebungsverfahren geteilte Erwartung trügt, hätte daraus der Gesetzgeber eine Konsequenz zu ziehen.

Bei dieser Sachlage ist der Beweisantrag auch insoweit abzulehnen gewesen, als er auf die im Leitfaden enthaltenen Informationen bezogen gewesen ist. Nach der hier vertretenen Auffassung kommt es für den Ausschlussgrund des § 3 Nr. 4 IFG nicht darauf an, ob sich die Einstufung mit den Kriterien des § 4 Abs. 2 SÜG rechtfertigen lässt. [...]