VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Beschluss vom 25.11.2008 - A 2 K 2032/08 - asyl.net: M14708
https://www.asyl.net/rsdb/M14708
Leitsatz:

Keine Ausübung des Selbsteintrittsrechts gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung allein durch Anhörung; Stopp der Dublin-Überstellung nach Griechenland wegen Nichteinhaltung europäischer Mindeststandards.

Schlagwörter: Verordnung Dublin II, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, vorbeugender Rechtsschutz, Vorwegnahme der Hauptsache, Griechenland (A), Abschiebungsanordnung, Verfassungsmäßigkeit, Drittstaatenregelung, Genfer Flüchtlingskonvention, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, Verfahrensrichtlinie, Aufnahmebedingungen, Verfahrensrecht, Flüchtlingslager, Unterbringung, Inhaftierung, Minderjährige, Registrierung, medizinische Versorgung, Dolmetscher, Information, Rechtsbeistand, Selbsteintrittsrecht, Ermessen, Anhörung, Dublin II-VO, Dublinverfahren,
Normen: VwGO § 123; AsylVfG § 31 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4; AsylVfG § 34a Abs. 2; VO Nr. 343/2003 Art. 3 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO ist statthaft. Ein nach § 123 Abs. 5 VwGO vorrangiger Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kommt hier nicht in Betracht, da dem Antragsteller noch kein Bescheid über die Anordnung der Abschiebung nach Griechenland bekannt gegeben worden ist. In den Akten der Antragsgegnerin findet sich lediglich der Entwurf eines solchen Bescheids, der jedoch vor der Bekanntgabe keine Wirksamkeit entfaltet. Dem Antragsteller fehlt auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragsgegnerin hat ihm mit Schreiben vom 29.09.200 angekündigt, dass ein entsprechender Bescheid demnächst nach § 31 Abs. 1 AsylVfG zugestellt werde. Er kann nicht darauf verwiesen werden, zunächst diese Zustellung abzuwarten. Es ist davon auszugehen, dass diese Zustellung erst unmittelbar vor der Abschiebung und damit zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem ein effektiver Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht mehr möglich ist.

Auch § 34a Abs. 2 AsylVfG, wonach die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werde darf, führt ausnahmsweise nicht zur Unzulässigkeit des Antrags.

Dies folgt allerdings nicht - wie der Antragsteller geltend macht - schon daraus, dass Griechenland für die Durchführung des Asylverfahrens nicht mehr zuständig ist. Es ist hier nicht deshalb unzuständig geworden, weil die Antragsgegnerin von ihrem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung eingeräumten Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht hätte. Danach kann jeder Mitgliedsstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Dublin II-Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Er wird dadurch zum zuständigen Mitgliedsstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Der Auffassung des Antragstellers, dass in der Anhörung zu seinen Fluchtgründen vom 01.04.2008 bereits die Ausübung des Selbsteintrittsrechts zu sehen sei, kann nicht gefolgt werden. Eine entsprechende Absicht kann der Anhörung hier nicht entnommen werden. Das VG Sigmaringen hat diesbezüglich in seinem Beschluss vom 06.10.2008 - 2 K 1987/08 ausgeführt:

"Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts bedarf einer dahingehenden Entschließung durch die Antragsgegnerin. An die Form dieser Entscheidung werden keine bestimmten Erfordernisse gestellt. Sie kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben (Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, Stand Juni 2008, § 27a Rz 220). Der Auffassung, dass die sachlich-inhaltliche Anhörung eines Asylbewerbers bereits eine Prüfung des Asylantrags bedeutet und damit die Zuständigkeit der Antragsgegnerin gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung begründet wird (VG Hamburg, Beschluss vom 20.08.2008 - 8 AE 356/08 -), kann so nicht gefolgt werden. Es sind vielmehr die im Zusammenhang mit dieser Anhörung erkennbar an weiteren Indizien zu der damit verfolgten Absicht der Antragsgegnerin zu berücksichtigen, um ihren mutmaßlichen Willen hinsichtlich der Ausübung des Selbsteintrittsrechts zu ermitteln.

Bestehen wie hier Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates, so kann Befragung zu den Asylgründen verschiedenen Zwecken dienen. Sie kann zum einen den Zweck verfolgen, die Grundlagen für eine Entscheidung, ob von dem Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht werden soll, umfassend zu ermitteln. Dazu kann es gegebenenfalls auch gehören, die fluchtauslösenden Erlebnisse des Asylsuchenden mit einzubeziehen. Die Ausübung des Selbsteintrittrechts ist nicht an bestimmte tatbestandliche Voraussetzungen geknüpft. Den Mitgliedstaaten ist ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt.

Es kann auch der Zweck verfolgt werden, bei noch nicht endgültig feststehender Zuständigkeit eines anderen Staates aus ökonomischen Gründen die inhaltliche Anhörung im Hinblick auf eine später eventuell notwendig werdende Entscheidung bereits in einem Termin durchzuführen. Dies kann insbesondere dann angezeigt erscheinen, wenn sich Anhaltspunkte für eine Drittzuständigkeit wie hier erst im Anhörungstermin selbst ergeben. Der Antragsteller hatte nämlich zunächst angegeben, er sei nach einem erstmaligen Aufenthalt im Bundesgebiet in den Irak zurückgekehrt und von dort wieder eingereist. Eine zeitnahe Abklärung seiner Daten hat er dadurch verhindert, dass die erkennungsdienstliche Behandlung mehrfach durchgeführt werden musste, nachdem er ausweislich der vorliegenden Akten wiederholt die Finger manipuliert hatte. Dies hatte zur Unverwertbarkeit der vor der Anhörung genommenen Abdrücke geführt.

Gerade in Fällen, in denen sich erst im Anhörungstermin Hinweise darauf ergeben, dass ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union für das Asylbegehren zuständig sein könnte, erscheint es wenig naheliegend, dass ohne weitere Abklärung und ohne konkreten Anlass eine eigene Zuständigkeit übernommen werden soll. Im konkreten Fall gab es vor der Anhörung zu den Asylgründen allein wegen der Angaben des Antragstellers, zuvor in Schweden ein für ihn negativ verlaufenes Asylverfahren durchgeführt zu haben, keinen erkennbaren Anlass, umgehend eine eigene Zuständigkeit zu begründen. Der Antragsteller hatte zunächst bei der Anhörung sogar noch erklärt, bisher keinen Bescheid bekommen zu haben. Erst auf Nachfrage behauptete er dann, eine Ablehnung erhalten zu haben. Entsprechende Unterlagen konnte er auf Nachhaken nicht vorlegen. Es bestand daher Klärungsbedarf hinsichtlich eines noch offenen Verfahrens in der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaates. Bei dieser Sachlage spricht mehr dafür, dass zunächst die Situation des Antragstellers - auch unter Berücksichtigung seiner fluchtauslösenden Erlebnisse - ermittelt werden sollte. Dem Hinweis, dass er nunmehr zu seinen Asylgründen gehört werde, lässt sich dagegen nicht eindeutig entnehmen, dass bereits die Absicht bestand, auch sachlich darüber zu entscheiden. Ein solcher Schluss kann hier auch nicht aus der Intensität der Befragung zu den eigentlichen Fluchtgründen gezogen werden. Soweit vom Antragsteller Wissen zu Einzelheiten der Religionsgemeinschaft der Yeziden erfragt wurde, mag dies im Hinblick auf die Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit erfolgt sein, um eventuell von einer weiteren Anhörung absehen zu können, sofern sich herausstellen sollte, dass Schweden den Antragsteller nicht zurücknimmt. Mehr kann daraus nach Auffassung des Gerichts nicht abgeleitet werden. Gegen die Absicht, dass mit der Anhörung bereits die eigene Zuständigkeit begründet werden sollte, spricht deutlich, dass der Sachbearbeiter, der die Anhörung durchgeführt hatte, den Vorgang noch am selben Tag unter Hinweis auf eine mögliche Zuständigkeit Schwedens an das Dublinreferat zur weiteren Prüfung abzugeben beabsichtigte. Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände finden sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass bereits eine eigene Zuständigkeit der Antragsgegnerin begründet werden sollte. Eine entsprechende Entscheidung lässt sich nicht feststellen."

Diese Ausführungen, die sich das erkennende Gericht zu eigen macht, geltend für das vorliegende Verfahren entsprechend.

Die Vorschrift des § 34a AsylVfG ist jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Drittstaatenregelung (Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 -, BVerfGE 94, 49, Juris) verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass sie entgegen ihrem Wortlaut die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Zusammenhang mit geplanten Abschiebungen in den sicheren Drittstaat nicht generell verbietet, sondern derartiger Rechtsschutz in Ausnahmefällen nach den allgemeinen Regeln möglich bleibt. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften gelten als sicher kraft Entscheidung der Verfassung (Art. 16a Abs. 1 Satz 1 GG). Art. 16a Abs. 2 GG verfolgt das Konzept einer normativen Vergewisserung über die Sicherheit im Drittstaat. Diese normative Vergewisserung bezieht sich darauf, dass der Drittstaat einem Betroffenen, der sein Gebiet als Flüchtling erreicht hat, den nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gebotenen Schutz vor politischer Verfolgung und anderen ihm im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit oder seiner Freiheit gewährt. Eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer jedoch dann erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist, wobei an die Darlegung eines Sonderfalles strenge Anforderungen zu stellen sind: Der Antragsteller hat einen solchen Sonderfall dargelegt. Er hat ausführlich unter Berufung auf verschiedene Erkenntnismittel seine Befürchtung dargelegt, ihm drohe im Falle der Abschiebung nach Griechenland ein menschenrechtswidriges und europäisches Recht verletzendes Verfahren.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch begründet. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass er derzeit in Griechenland gravierenden Schwierigkeiten hinsichtlich des Zugangs zum Asylverfahren, dessen Durchführung und der Sicherung seines Lebensunterhaltes ausgesetzt wäre. Insbesondere wäre die Erfüllung der Anforderungen hinsichtlich der Aufnahme bzw. Registrierung des Asylantrags gemäß Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2005/85/EG, der Erteilung von Informationen gemäß Art. 5 der Richtlinie 2003/9/EG und Art. 23 der Richtlinie 2005/85/EG, der Hinzuziehung eines Dolmetschers Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG bzw. eines Rechtsbeistands gemäß Art. 15, 16 der Richtlinie 2005/85/EG und Art. 21 der Richtlinie 2003/9/EG, und insbesondere hinsichtlich der Unterbringung sowie medizinischen und sozialen Versorgung gemäß Art. 23 GFK und Art. 13 bis 15 der Richtlinie 2003/9/EG nicht hinreichend sicher gewährleistet. Wegen dieser Defizite besteht zudem die erhebliche Gefahr einer weiteren Abschiebung des Antragstellers ohne sachliche Prüfung seines Schutzbegehrens. Der Antragsteller hat damit einen Sonderfall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassunsgerichts glaubhaft gemacht, so dass 34a AsylVfG in verfassungskonformer Auslegung dem Erfolg des Antrags nicht entgegensteht (vgl. auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 06.11.2008 - 13 L 1645/08.A -; VG Karlsruhe, Beschluss vom 23.06.2008 - A 3 K 1412/08 - VG Weimar, Beschluss vom 24.07.2008 - 5 E 20094/08 -). Das VG Gießen hat diesbezüglich in seinem Beschluss vom 25.04.2008 - 2 L 201/08.GI.A - ausgeführt: [...]

Der Hinweis der Antragsgegnerin auf die zwischenzeitlichen Verbesserungen im griechischen Asylsystem führen nicht zu einer anderen Einschätzung. Die von der Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang angeführte Umsetzung der sog. Aufnahmerichtlinie Ende 2007 durch Präsidialerlass und die Äußerungen des griechischen Innenministers Mitte April 2008 sagen nichts über die tatsächliche Situation Asylsuchender in Griechenland (vgl. VG Düsseldorf, a.a.O.). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich auch die tatsächliche Situation grundlegend verbessert hat.

Der UNHCR hat in seinem Positionspapier vom 15. April 2008 die von der griechischen Regierung unternommenen Schritte zur Stärkung des Asylsystems zwar begrüßt. Nichtsdestotrotz bestünden aber Schwierigkeiten in Bezug auf den Zugang sowie die Qualität des griechischen Asylverfahrens und unterschritten die Aufnahmebedingungen internationale und europäische Standards. Im Ergebnis seien Asylsuchende, einschließlich "Dublin-Rückkehrern", weiterhin übermäßigen Härten ausgesetzt, was die Anhörung und die angemessene Bearbeitung ihrer Anträge betreffe.

Im Einzelnen hat der UNHCR insbesondere zu der Situation von Personen, die gemäß der Dublin-II-VO nach Griechenland überstellt werden, folgende Feststellungen getroffen: Zwar sollten nach griechischem Recht alle Asylsuchenden, auch "Dublin-Rückkehrer", unabhängig davon, ob sie zum ersten Mal in Griechenland Asyl beantragen oder ob ein Asylverfahren bereits in der ersten Instanz anhängig ist, Zugang zu einer Asylanhörung am Flughafen haben. Personen, deren Asylanträge in erster Instanz abgelehnt würden und die die Rechtsmittelfrist nicht versäumt hätten, sollten direkt zur Zentralen Asylabteilung (Central Police Asylum Department), der zuständigen Instanz zur Registrierung ihres Rechtsmittels, weitergeleitet werden. In der Praxis stießen "Dublin-Rückkehrer" jedoch auf verschiedene Hindernisse, wenn sie versuchten, bei der Ankunft am Flughafen in Athen einen Asylantrag zu stellen. Aufgrund des Fehlens von Personal im Asylbereich, mit dem die sofortige Identifizierung, Registrierung der Asylsuchenden und die rasche Bearbeitung der Asylanträge sichergestellt werden könnte, würden "Dublin-Rückkehrer" automatisch inhaftiert, bis ihr Status geklärt und eine Entscheidung getroffen worden sei, die Asylsuchenden entweder anzuhören oder sie zur Zentralen Asylabteilung weiterzuleiten. Aufgrund des Fehlens von Übersetzungsdiensten und Rechtsberatung würden Asylsuchende oft in einer Sprache angehört, die sie nicht verstünden, und nicht über ihre Rechte im Asylverfahren beraten oder belehrt. "Dublin-Rückkehrer" begegneten auch Hindernissen, wenn sie vom Flughafen zur Zentralen Asylabteilung weiterverwiesen würden. Sie würden üblicherweise aufgefordert, bei der Abteilung vorstellig zu werden, ohne dass sie zusätzliche Informationen zum Status ihres Antrags, dem zu beachtenden Verfahren und zu den diesbezüglichen Fristen erhielten. Besonders benachteiligt seien jene "Dublin-Rückkehrer", die bei Ankunft in Griechenland keine Adresse angeben könnten und die von den griechischen Behörden im Wege des "Verfahrens zur Benachrichtigung von Personen mit unbekanntem Wohnsitz" über den Stand ihres Asylverfahrens (durch öffentliche Bekanntmachung) informiert würden. Das Fehlen eines alternativen Benachrichtigungsmechanismus führe dazu, dass einige "Dublin-Rückkehrer" nicht in der Lage seien, ihre Rechtsmittel weiterzuverfolgen. Zusätzlich werde der Zugang zum Asylverfahren durch das Fehlen von Personal erschwert, da weiterhin die Zahl der Asylanträge die Bearbeitungskapazitäten übersteige. Im Ergebnis sähen sich Asylsuchende (einschließlich "Dublin-Rückkehrern") langen Wartezeiten ausgesetzt und hätten oft erst Zugang zu einem Asylsachbearbeiter, nachdem die Rechtsmittelfrist abgelaufen sei oder, im Falle, dass sie ein Rechtsmittel hätten einlegen können, wenn der vom Beratenden Asylausschuss (Consultative Asylum Committee) angesetzte Anhörungstermin bereits verstrichen sei. In diesem angespannten Umfeld sei die effiziente und zeitnahe Bearbeitung von Asylanträgen, Rechtsmitteln und Anträgen zur Ausstellung von Identitätsdokumenten von "Dublin-Rückkehrern" nicht gewährleistet. Im Lichte der oben genannten Schwierigkeiten befürchte der UNHCR, dass sich "Dublin-Rückkehrer" in einer Situation wiederfinden könnten, in der sie vom Asylverfahren ausgeschlossen seien.

Darüber hinaus hat der UNHCR deutliche Bedenken in Bezug auf die Qualität der Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft geäußert und mit Blick auf die Lebensbedingungen von Asylsuchenden in Griechenland erhebliche Defizite ausgemacht. Der UNHCR befürchtet, dass alle diese Faktoren in ihrer Gesamtheit möglicherweise zum Risiko der Abschiebung in den Verfolgerstaat führen könnten. Entsprechend empfiehlt der UNHCR weiterhin, bis auf Weiteres von der Überstellung von Asylsuchenden nach Griechenland nach der Dublin-II-VO abzusehen. Zudem rät der UNHCR nunmehr, Artikel 3 Absatz 2 Dublin-II-VO anzuwenden, wohingegen er vorher nur geraten hatte, großzügig von dem dort eingeräumten Ermessen Gebrauch zu machen.

Das Gericht ist daher der Auffassung, dass trotz gewisser Verbesserungen in Griechenland die Voraussetzungen für einen Sonderfall immer noch vorliegen.

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass Griechenland seit April 2008 den Zustimmungen zu deutschen Übernahmeersuchen den Zusatz beifügt, dass der Überstellte, wenn es seinem Wunsch entspricht, Zugang zum Asylverfahren enthält. Diese generell verwendete Erklärung besagt nichts darüber, ob dieser Zugang auch in der Praxis realisiert wird. Hieran bestehen aber aus den oben im Einzelnen dargelegten Gründen erhebliche Zweifel (vgl. VG Düsseldorf, a.a.O.). Eine individuelle Zusicherung, im Einzelfall durch konkret bezeichnete Maßnahmen den effektiven Zugang zum Asylverfahren zu gewährleisten, liegt nicht vor.

Dass die Antragsgegnerin in Einzelfällen bei nach ihrer Einschätzung besonders schutzbedürftigen Personen von einer Überstellung nach Griechenland absieht, ist für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung, da der Antragsteller diesem Personenkreis nicht zugeordnet worden ist. Aus den vorliegenden Berichten ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die beschriebenen grundlegenden Defizite in den Bereichen Zugang zum Asylverfahren, Durchführung und Lebensbedingungen Asylsuchender in Griechenland nur die von der Antragsgegnerin angeführten Gruppen treffen. Nach den vorliegenden Erkenntnissen sind hiervon vielmehr grundsätzlich alle Asylsuchenden betroffenen. Dass es - wie die Antragsgegnerin ausführt - von den konkreten Umständen des Einzelfalles, etwa der Wendigkeit, den Sprachkenntnissen und den Kontakten des Asylsuchenden, abhängt, ob sich die bestehenden Risiken für ihn verwirklichen, rechtfertigt nicht den Schluss, dass es nur in Einzelfällen zu persönlichen Härten und Schwierigkeiten kommen könne; vielmehr führt dies umgekehrt zu der Schlussfolgerung, dass hiervon regelmäßig alle Asylsuchenden betroffen sind und nur in Einzelfällen konkrete Umstände vorliegen können, die zu einer abweichenden Risikoeinschätzung führen (vgl. VG Düsseldorf, a.a.O., m.w.N.).

Durch die vorliegend befristet erlassene Anordnung erhält die Antragsgegnerin die Möglichkeit, entweder konkrete Garantien Griechenlands für den Antragsteller zu erwirken, dass diesem bei einer Überstellung eine Registrierung seines Asylantrags sowie Informationen unter Hinzuziehung eines anerkannten Dolmetschers und Rechtsbeistand ermöglicht werden, er in einer angemessenen Unterkunft untergebracht wird und im Bedarfsfall Zugang zu medizinischer und sozialer Versorgung erhält, oder aber von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen.

[...]