VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 20.11.2008 - 16 K 563/07.A - asyl.net: M14913
https://www.asyl.net/rsdb/M14913
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Folgeantrag, Verschulden, Rücküberstellung, Kenntnis, Drei-Monats-Frist, exilpolitische Betätigung, Überwachung im Aufnahmeland, Veranstaltungen, Demonstrationen, Oppositionelle, Mitglieder, PDKI, Kurden, Situation bei Rückkehr
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 3; VwVfG § 51 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Klage ist unbegründet. [...]

Auf Umstände, die aus Vorfluchtgründen nunmehr eine positive Entscheidung nach Art. 16 a GG rechtfertigen könnten, kann sich der Kläger mit Erfolg nicht berufen.

Zwar teilt das Gericht nicht die Auffassung des Bundesamtes, dass der Antrag bereits an der Zulässigkeitsvoraussetzung des § 51 Abs. 3 VwVfG scheitere, da der Kläger den Folgeantrag erst mehr als drei Monate, nachdem er von dem Grund des Wiederaufgreifens Kenntnis erlangt habe, gestellt habe. Das Vorbringen des Klägers, er habe nicht gewusst, dass er in Deutschland einen neuen Asylantrag stellen musste, ist insoweit glaubwürdig. Es lässt sich den Verwaltungsvorgängen des Bundesamtes nicht entnehmen, dass der Kläger darauf hingewiesen worden ist, dass sein in Norwegen gestellter Asylantrag in Deutschland nicht weiter bearbeitet wird.

Die Würdigung der Vorfluchtgründe des Klägers scheitert jedoch an der Zulässigkeitsvoraussetzung des § 51 Abs. 2 VwVfG. Der Kläger beruft sich nämlich insoweit auf Vorgänge, die er bereits im Verlaufe seines ersten Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland hätte darlegen können. Der Kläger hat sein erstes Asylverfahren am 12.12.2005 freiwillig zurückgenommen und hierdurch zum Ausdruck gebracht, dass er an der Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland nicht interessiert war.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung des § 60 Abs. 1 AufenthG, soweit er im Bundesgebiet exilpolitisch tätig ist.

Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (vgl. zuletzt Lagebericht vom 18.03.2008) und des Bundesamtes für Verfassungsschutz (vgl. Auskunft an das VG Ansbach vom 02.07.1999) werden die Aktivitäten der im Ausland auftretenden iranischen Oppositionsgruppen von iranischen Stellen genau beobachtet. Hierbei sieht der Iran nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz grundsätzlich alle oppositionellen Gruppen und regimekritische Einzelpersonen im Exil als potentielle Bedrohung an. Anhänger dieser Gruppen seien Ziel einer permanenten Ausspähung und Verfolgung durch den iranischen Nachrichtendienst. Derartige Maßnahmen erfolgten in der Absicht, die Aktivitäten der Regimegegner zu kontrollieren, sie zu schwächen und ggf. ganz auszuschalten. Auch amnesty international geht davon aus, dass die politischen Aktivitäten iranischer Staatsangehöriger in Deutschland von iranischen Geheimdiensten beobachtet werden. Dies betreffe vor allem öffentliche Aktionen, könne sich aber auch auf Interna der Exilorganisationen erstrecken (vgl. Auskunft an das VG Münster vom 06.07.1999).

Allerdings führt diese Beobachtungs- und Überwachungstätigkeit nach insoweit übereinstimmender Auskunftslage nicht dazu, dass jedwede exilpolitische Aktivität, die iranischen Stellen in Deutschland bekannt wird, bei der Rückkehr in den Iran Repressalien zur Folge hätte. Vielmehr kann nach der Auskunft des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 02. Juli 1999 festgestellt werden, dass die in der Vergangenheit eingesetzten Methoden subtileren Formen der Ausspähung gewichen sind und die bisherigen aggressiven Formen der Behandlung von Exiliranern zunehmend in den Hintergrund treten. Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz wissen iranische Stellen bei der Beurteilung oppositioneller Kräfte genau zwischen echten Regimefeinden und Wirtschaftsflüchtlingen zu unterscheiden, die angesichts etwaiger Aufenthaltsprobleme versuchen, durch vorgetäuschte Oppositionsaktivitäten (formale Mitgliedschaft in einer hiesigen oppositionellen Gruppierung, Teilnahme an Demonstrationen vor offiziellen iranischen Vertretungen etc.) ein Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland zu erwirken. Opfer von Verfolgungsmaßnahmen können hiernach Führungspersonen von Oppositionsgruppen oder Einzelpersonen mit Außenwirkung werden. Entscheidend ist hiernach ein Hervortreten in der Öffentlichkeit, das bei iranischen Steilen den Eindruck erweckt, der Betreffende sei allein oder im Zusammenwirken mit anderen eine Gefahr für den Bestand des herrschenden Regimes. Maßgebend zur Beurteilung dieser Frage ist neben der Persönlichkeit des Betreffenden die Form des Auftritts und der Inhalt der abgegebenen Erklärungen. Weder die Asylantragstellung in Verbindung mit dem längeren Aufenthalt in Deutschland noch die Mitgliedschaft in einer Exilorganisation der im Iran verbotenen Parteien oder die Teilnahme an verschiedenen Veranstaltungen reichen vor diesem Hintergrund allein aus, die Prognose beachtlicher Gefahr politischer Verfolgung zu rechtfertigen. Erforderlich ist eine "exponierte" Stellung des Betreffenden. Ob eine solche anzunehmen ist, bestimmt sich nach den konkret-individuellen Umständen des Einzelfalles (OVG NW, Beschluss vom 10.02.2000 - 9 A 229/99.A - und Beschluss vom 16.04.1999 - 9 A 5338/98.A - mit weiteren Nachweisen; VG Bremen, Urteil vom 27.05.1999 - 3 K 1519/98.A -; VG Koblenz, Urteil vom 26.11.1999 - 8 K 3448/98.KO -).

Der Kläger ist diesem Personenkreis nicht zuzurechnen. Der Kläger hat durch seine Teilnahme an gegen das iranische Regime gerichteten Veranstaltungen keine asylrechtlich relevante Verfolgung zu besorgen. Die Aktivitäten bei den Veranstaltungen der PDKI genügen nicht, um sein Engagement als "exponiert" i.S. der genannten Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, der das Gericht folgt, zu qualifizieren. Nach dieser Rechtsprechung ist es gerade ausgeschlossen, der - üblichen - Mitgliedschaft iranischer Asylsuchender in Exilorganisationen, der Teilnahme an Veranstaltungen dieser Organisationen, der Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen und das hierbei übliche Tragen von Plakaten sowie Rufen von Parolen, der Teilnahme an sonstigen regimekritischen Veranstaltungen, dem - ebenfalls typischen - Verteilen von lnformations-/Propagandamaterial bzw. der Anwerbung neuer Mitglieder eine Bedeutung für die Feststellung einer Verfolgungsgefahr beizumessen. Hieran ändert auch die mehrfache Teilnahme an Demonstrationen/ Veranstaltungen oder aber die Verteilung von Flugblättern nichts, da die Erhöhung der Quantität niedrig profilierter Tätigkeiten allein nicht zu einer Qualitätsänderung der Gesamtaktivität führt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.04.1999 - 9 A 5338/98.A - S. 12 des Entscheidungsumdrucks m.w.N.). [...]

An dieser Einschätzung, dass der Kläger wegen seiner exilpolitischen Tätigkeiten bei einer Rückkehr in den Iran keine politische Verfolgung zu besorgen hat, ändert auch nichts die Tatsache, dass der Kläger kurdischer Volkszugehöriger ist. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Situation der Kurden im Iran heute grundlegend neu beurteilt werden müsste, hat das Gericht nicht. Angesichts der Inhalte der gutachterlichen Stellungnahmen von GIGA (ehemals Deutsches Orient-Institut) vom 06.03.2007, von amnesty international vom 29.05.2007 und des Auswärtigen Amtes vom 19.06.2007 sieht sich das Gericht in seiner Auffassung bestärkt, dass in der Person des Klägers gegenwärtig keine Umstände verwirklicht sind, die es mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit rechtfertigen könnten, ihn aufgrund seiner nur niedrigprofilierten exilpolitischen Aktivitäten als eine im Falle einer Rückkehr in den Iran ernsthaft gefährdete Person anzusehen. Zwar haben ausweislich der eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen in der Vergangenheit Durchsuchungswellen gegen die kurdische Bevölkerung stattgefunden. Hierbei ist es auch zu Toten und zahlreichen Festnahmen gekommen. Der Schwerpunkt dieser Verhaftungswellen ist ausweislich der Stellungnahmen von amnesty international und des Auswärtigen Amtes jedoch im Jahre 2005 und 2006 erfolgt. Die von amnesty international geschilderten Verhaftungen kurdischer Volkszugehöriger im Jahre 2007 erfolgten demgegenüber gezielt gegen Oppositionelle, die herausragend politisch aktiv gewesen sind. [...]