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VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 09.12.2008 - 10 K 1468/08.A - asyl.net: M14931
https://www.asyl.net/rsdb/M14931
Leitsatz:

Zwar kein generelles Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG für alleinstehende Frauen nach Kamerun, aber wenn besondere Umstände gegeben sind, die eine Sicherung des Existenzminimums mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausschließen (hier: fortgeschrittenes Alter und mehrere Erkrankungen).

 

Schlagwörter: Kamerun, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Frauen, alleinstehende Frauen, Versorgungslage, Existenzminimum, Krankheit, Alter, Herzerkrankung, Augenerkrankung, Gehstörung, Boyo
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Zwar kein generelles Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG für alleinstehende Frauen nach Kamerun, aber wenn besondere Umstände gegeben sind, die eine Sicherung des Existenzminimums mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausschließen (hier: fortgeschrittenes Alter und mehrere Erkrankungen).

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass für sie ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG in Bezug auf Kamerun festgestellt wird. [...]

Dies ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass die Lebenssituation alleinstehender Frauen in den westafrikanischen Ländern - einschließlich der Republik Kamerun - problematisch ist. Zwar ist es für diesen Personenkreis durchaus schwierig, sich eine berufliche und wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Dies gilt in Kamerun insbesondere für ländliche Gebiete, in denen vielfach noch Konfliktlösungsmechanismen - vor allem in Form von Rechtsprechung durch traditionelle Herrscher - existieren, die auf Stammes- und Gewohnheitsrecht beruhen und Frauen stark benachteiligen. Etwas besser stellen sich die beruflichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten für Frauen jedoch den größeren Städten des Landes dar. Es erscheint mithin keineswegs ausgeschlossen, dass eine alleinstehende Frau dort ihren Lebensunterhalt ggf. auch ohne Unterstützung ihrer Familie oder ihrer ethnischen Gruppe sichern kann (vgl. dazu den Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun vom 19. Dezember 2007 (Stand: Oktober 2007) sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 3 1 . Oktober 2003 - 1 K 2129/01.A - (zu den sich ähnlich darstellenden Verhältnissen in Nigeria).

Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass die Klägerin aufgrund der im vorliegenden Einzelfall gegebenen besonderen Umstände nicht in der Lage sein wird, die in Kamerun prinzipiell auch für alleinstehende Frauen gegebenen Möglichkeiten zum Aufbau einer wirtschaftlichen Existenzgrundlage zu nutzen. Die Klägerin wird aufgrund ihres - gerade auch unter Berücksichtigung der in Kamerun herrschenden Lebenserwartung von lediglich 45,7 Jahren - fortgeschrittenen Alters von 66 Jahren und ihres schlechten Gesundheitszustandes ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft sicherstellen können und deshalb mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit innerhalb kürzester Zeit schwerste körperliche Schäden erleiden. Die Klägerin leidet nach den im Klageverfahren vorgelegten ärztlichen Berichten an einer Herzerkrankung, verschiedenen Augenerkrankungen, die bereits zu einer fast vollständigen Erblindung des linken Auges geführt haben, Funktionsstörungen im rechten Unterschenkel, die das Gehen deutlich erschweren, und Beschwerden im Bereich der Handgelenke. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen, insbesondere die Berichte des Dr. ... vom 13. August 2008 und der Kardiologischen Praxis ... vom 26. Juni 2008, Bezug genommen. Es ist zudem nicht erkennbar, dass die Klägerin in Kamerun noch über tragfähige verwandtschaftliche Beziehungen verfügt. Auch hat sie in Kamerun eigenen durchaus glaubhaften Bekundungen zufolge in der Landwirtschaft gearbeitet und wird diese Tätigkeit angesichts ihres Gesundheitszustandes und ihres fortgeschrittenen Alters wohl nicht mehr in der Weise ausüben können, dass hierdurch der eigene Lebensunterhalt sichergestellt werden könnte. Ferner wird die Klägerin, die offenbar aus einer ländlichen Region im Bezirk Boyo (Nordwest-Provinz Kameruns) stammt, kaum in der Lage sein, noch einen anderen Beruf zu ergreifen, zumal sie hierzu wahrscheinlich zunächst in eine größere Stadt ziehen und dort Fuß fassen müsste. Vor dem Hintergrund dieser deutlichen Erschwerungen wird es der Klägerin in Kamerun in einem äußerst schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Umfeld, in dem alleinstehende Frauen ohnehin nur unter Schwierigkeiten selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen können, weder möglich sein, eine (neue) wirtschaftliche Existenz aufzubauen, noch wird sie dort die auch weiterhin notwendigen ärztlichen Behandlungen erlangen können, deren Kosten in Kamerun grundsätzlich nicht durch soziale Sicherungssysteme getragen werden, sondern in der Regel von dem Betroffenen bzw. seiner Familie aufgebracht werden müssen (vgl. wiederum den Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun vom 19. Dezember 2007. [...]