VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Beschluss vom 05.02.2009 - 5 B 39/09 MD - asyl.net: M14953
https://www.asyl.net/rsdb/M14953
Leitsatz:

Stopp einer Dublin-Überstellung eines eritreischen Staatsangehörigen nach Griechenland, weil der nicht aussichtslos erscheinende Asylantrag dort nicht mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit und Gründlichkeit geprüft würde.

Schlagwörter: Griechenland, Verordnung Dublin II, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Rechtsschutzbedürfnis, vorbeugender Rechtsschutz, Abschiebungsanordnung, Drittstaatenregelung, normative Vergewisserung, Eritrea
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AsylVfG § 26a; AsylVfG § 34a Abs. 2; GG Art. 1 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 2
Auszüge:

Stopp einer Dublin-Überstellung eines eritreischen Staatsangehörigen nach Griechenland, weil der nicht aussichtslos erscheinende Asylantrag dort nicht mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit und Gründlichkeit geprüft würde.

(Leitsatz der Redaktion)

[...]

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat nach Maßgabe des Entscheidungstenors Erfolg. [...]

Dem Antrag fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Zwar ist in Asylverfahren grundsätzlich nachgehender Rechtsschutz gegen belastende Maßnahmen vorgesehen, also soweit die Klage keine aufschiebende Wirkung hat der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO. Vorliegend unterliegt es aber keinem Zweifel, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller eine Abschiebung nach Griechenland androhen wird, weil er über diesen sicheren Drittstaat i.S.v. 26 a AsylVfG eingereist ist. Die Antragsgegnerin hat im Schriftsatz vom 15.01.2009 sinngemäß eine Überstellung nach Griechenland angekündigt. Sie hat nämlich ausgeführt, dass im vorliegenden Fall bestimmte Anhaltspunkt, die gegen eine Überstellung sprechen könnten, nicht ersichtlich seien. Der Antragsteller gehöre auch keiner der besonders schutzbedürftigen Personengruppen an. Von ihrem selbst Eintrittsrecht habe die Antragsgegnerin im Übrigen keinen Gebrauch gemacht (Art. 3 Abs. 2 der Verordnung [EG] Nr. 343/2003 vom 18.02.2003). Daher wäre es vorliegend eine überflüssige Förmelei, wollte man das Ergehen des Bescheides verlangen, den die Antragsgegnerin mit Rücksicht auf den Ausgang dieses Verfahrens gerade zurückstellt.

Das Gericht verkennt nicht, dass gemäß § 34 a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung in den sicheren Drittstaat nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden darf. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings schon im Urteil vom 14.05.1996 (2 BvR 1938/93) ausgeführt, dass die Drittstaatenregelung nicht ausnahmslos gelte. Vom Konzept der normativen Vergewisserung über eins Schutz für Flüchtlinge durch den Drittstaat seien danach nicht Ausnahmesituationen umfasst, in denen der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greife und dadurch selbst zum Verfolgerstaat werde. Ferner könne sich - in seltenen Ausnahmefällen - aus allgemein bekannten oder im Einzelfall offen zu Tage tretenden Umständen ergeben, dass der Drittstaat sich - etwa aus Gründen besonderer politischer Rücksichtnahme gegenüber dem Herkunftsstaat - von seinen mit dem Beitritt zu den beiden Konventionen eingegangenen und von ihm generell aus eingehaltenen Verpflichtungen löse und einen bestimmten Ausländerschutz dadurch verweigere, dass sie sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen werde. Vorliegend sieht das Gericht einen solchen Aufnahmefall. Der Antragsteller stammt aus Eritrea, einem Staat, welcher sich durch besondere Verfolgungsintensität gegen politische Abweichler auszeichnet, wie dies auch die Antragsgegnerin gerichtsbekannt in zahlreichen Entscheidungen oder durch Hinnahme rechtsmittelfähiger Entscheidungen des Verwaltungsgerichts anerkennt bzw. akzeptiert. Zum anderen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass Griechenland seinen eingegangenen Verpflichtungen im Bereich des Asylrechts nicht oder unzulänglich nachkommt. Das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) hat nämlich am 15.04.2008 die EU-Staaten aufgefordert, keine Asylsuchenden im "Dublin-System" nach Griechenland zurückzuschicken. Zwar werden die Schritte der griechischen Regierung zur Verbesserung der Asylpraxis anerkannt. Der UNHCR spricht aber auch von Hindernissen, bei denen sich "Dublin-Rückkehrer" in Griechenland gegenübersehen, nämlich automatische Abschiebungshaft, Mangel an Übersetzern, Asyl-Interviews in für den Betroffenen in fremder Sprache, ungenügende Informationen über den Verfahrensstand, äußerst niedrige Anerkennungsraten, unzureichende Qualität der Asylverfahren sowie Mangel an Unterkünften. Dem Asylsuchenden werde das Mitwirken im Verfahren oft unmöglich gemacht. Der UNHCR sei daher besorgt, dass "Dublin-Rückkehrer" vom Asylverfahren ausgeschlossen blieben. Er empfiehlt deshalb, dass die anderen Staaten von Art. 3 Abs. 2 der Dublin-Verordnung (Selbsteintrittsrecht) Gebrauch machten. Diese Erklärung besteht unverändert fort. Das Gericht sieht keine Gründe, der Stellungnahme des UNHCR zu misstrauen.

Vor dem Hintergrund der Begründung des Asylantrages durch den Antragsteller, welche sein Begehren als ernsthaft und jedenfalls nicht aussichtslos erscheinen lässt, kann es das Gericht unter Berücksichtigung der Grundrechte des Antragstellers aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG nicht verantworten, den Antragsteller schon jetzt der Gefahr auszusetzen, nach Griechenland überstellt zu werden, wo eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass sein Asylbegehren nicht mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit und Gründlichkeit geprüft wird, der Antragsteller somit in die Gefahr gerät, gegenüber einer (nicht ausgeschlossenen) Verfolgung durch den eritreischen Staat ausgesetzt zu werden.

Das Gericht ist der Auffassung, dass eine Abwägung der Interessen zu Gunsten des Antragstellers ausfällt. Es kann im Hauptsacheverfahren geprüft werden, ob die hier vertretene Auffassung des Gerichts zutreffend ist. Es kommt auch in Betracht, dass die Antragsgegnerin doch noch von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht und das Asylverfahren in Deutschland durchführen lässt. Demgegenüber wird die Allgemeinheit mit einem länger dauernden Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet - möglicherweise zu Unrecht - belastet. Angesichts der in den letzten Jahren stark zurückgegangenen Erstanträge von Asylbewerbern erscheint dem Gericht dieser Nachteil als vertretbar. [...]