VG Dessau-Roßlau

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Zitieren als:
VG Dessau-Roßlau, Urteil vom 20.11.2008 - 3 A 115/08 DE - asyl.net: M15118
https://www.asyl.net/rsdb/M15118
Leitsatz:

Die Einweisung eines Ausländers in eine Gemeinschaftsunterkunft durch eine Wohnsitzauflage zur Duldung setzt einzelfallbezogene Ermessenserwägungen voraus; die Maßnahme darf sich nicht als reine Sanktion möglichen Fehlverhaltens darstellen, sondern muss erkennen lassen, in welcher Weise die Unterbringung die Ausreise fördern soll; das Fehlen einer anderweitigen Unterbringungsmöglichkeit rechtfertigt nicht die Wohnsitzauflage.

 

Schlagwörter: D (A), Duldung, abgelehnte Asylbewerber, Wohnsitzauflage, Ausreiseeinreichtung, Gemeinschaftsunterkünfte, Begründung, Heilung, Widerspruchsverfahren, räumliche Beschränkung, Verhältnismäßigkeit, Mitwirkungspflichten, Ermessen, Asylbewerberleistungsgesetz, Aufnahmegesetz
Normen: AufenthG § 46 Abs. 1; AufenthG § 61 Abs. 1 S. 2; VwVfG § 45 Abs. 1 Nr. 2; AufenthG § 82; AsylbLG § 3 Abs. 1; AufnG § 1 Abs. 5
Auszüge:

Die Einweisung eines Ausländers in eine Gemeinschaftsunterkunft durch eine Wohnsitzauflage zur Duldung setzt einzelfallbezogene Ermessenserwägungen voraus; die Maßnahme darf sich nicht als reine Sanktion möglichen Fehlverhaltens darstellen, sondern muss erkennen lassen, in welcher Weise die Unterbringung die Ausreise fördern soll; das Fehlen einer anderweitigen Unterbringungsmöglichkeit rechtfertigt nicht die Wohnsitzauflage.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die erhobene Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) ist zulässig und begründet.

Die gegenüber den Klägern erlassenen Wohnsitzauflagen sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Als Rechtsgrundlage für die Wohnsitzauflagen, bei denen es sich um eigenständige Verwaltungsakte handelt (so OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 9. Mai 2007 - 2 0 68107 - m.w.N.), kommen § 46 Abs. 1 AufenthG sowie § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Betracht. [...]

Die formellen Voraussetzungen für den Erlass der Auflagen sind zwar erfüllt. Das Fehlen einer möglicherweise erforderlichen Begründung ist gern. § 1 VwVfG LSA i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG durch den Erlass des Widerspruchsbescheides geheilt worden.

Jedoch sind die im Rahmen der Anordnung der Wohnsitzauflagen angestellten Ermessenserwägungen nicht fehlerfrei erfolgt. Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hat dazu in dem Beschluss vom 9. Mai 2007 (- 2 O 68/07 -) ausgeführt: [...]

Zwar ist danach die Verpflichtung zur Wohnsitznahme in einer Gemeinschaftsunterkunft im Einzelfall unter anderem zulässig, wenn dadurch die Ausreise gefördert werden kann (vgl. VGH Bayern, Beschl. v. 21. Dezember 2006 - 24 CS 06.2958 -; VG München, Beschl. v. 12. März 2007 - M 4 S 07.557 -, jeweils zit. nach JURIS). Soweit das Landesverwaltungsamt in dem Widerspruchsbescheid darauf abstellt, die Kläger seien ihrer Mitwirkungspflicht gem. § 82 AufenthG nicht in ausreichendem Maße nachgekommen und ihr Verhalten lasse vermuten, sie wollten ihre wahre Identität und Herkunft verschleiern, bleibt aber offen, in welcher Weise die Unterbringung in der Gemeinschaftseinrichtung dem entgegen wirken soll bzw. welchen konkreten Zweck die Auflage insoweit erfüllen soll. Auch in der Klageerwiderung und in der mündlichen Verhandlung ist nicht einmal ansatzweise dargelegt bzw. gem. § 114 Satz 2 VwGO ergänzt worden, in welcher Weise die Unterbringung der Kläger in der Gemeinschaftsunterkunft ihre Ausreise fördern soll. Eine Wohnsitznahme in einer Gemeinschaftsunterkunft ist gerade nicht von vornherein geeignet, die Mitwirkungsbereitschaft der Betroffenen zu erhöhen; eine solche Maßnahme darf auch keine reine Sanktion eines (möglichen) Fehlverhaltens darstellen (so auch VGH Bayern, Beschl. v. 21. Dezember 2006, a.a.O.).

Aus der Begründung des Widerspruchsbescheides und den Ausführungen des Beklagten in der Klagebegründung und der mündlichen Verhandlung lässt sich vielmehr schließen, dass die Widerspruchsbehörde und der Beklagte es für rechtmäßig halten bzw. der Beklagte sich sogar dazu verpflichtet sieht, sämtlichen ehemaligen Asylbewerber, die ausreisepflichtig und im Besitz einer Duldung sind, ohne Einzelfallprüfung eine Auflage zur Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft Möhlau zu erteilen. Wie schon von dem Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt in dem Beschluss vom 9. Mai 2007 jedoch angesprochen, ist eine pauschale, vom Einzelfall losgelöste Anordnung einer über § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG hinaus gehenden räumlichen Beschränkung in mehr oder weniger allen Fällen vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer unzulässig. Der Gesetzgeber hat sich gerade dafür entschieden, solche Beschränkungen von einer Einzelfallprüfung abhängig zu machen, in der die Ausländerbehörde die für und gegen weitergehende räumliche Beschränkungen sprechenden Gesichtspunkte in einer Ermessensentscheidung abwägt.

Die vom Beklagten dagegen erhobenen Einwendungen sind nicht durchgreifend. Soweit er geltend macht, er sei zur Unterbringung dieses Personenkreises verpflichtet, es gebe keine anderweitigen Unterbringungsmöglichkeiten und ein Anspruch auf die Finanzierung einer Wohnung bestehe nicht, werden in unzulässiger Weise ausländerrechtliche Maßnahmen gem. § 46 Abs. 1 bzw. § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG mit der Frage des Leistungsanspruches von geduldeten Ausländern vermischt. Seiner Verpflichtung zur Unterbringung kommt der Beklagte schon dadurch nach, dass er eine ausreichende Unterbringungsmöglichkeit in der Gemeinschaftsunterkunft zur Verfügung stellt. Falls die Auflage der Wohnsitznahme in der Gemeinschaftsunterkunft rechtswidrig wäre, würde daraus noch nicht folgen, dass ein Anspruch der Kläger darauf bestünde, in einer anderen Unterkunft, insbesondere einer Mietwohnung, untergebracht zu werden, bzw. dass sie einen entsprechenden Kostenerstattungsanspruch hätten. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG wird bei nach § 60a AufenthG geduldeten Ausländern (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG) der notwendige Bedarf u.a. an Unterkunft und Heizung durch Sachleistungen gedeckt. Selbst in den Fällen der entsprechenden Anwendbarkeit der Regelungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (§ 2 Abs. 1 AsylbLG) ist eine Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft gem. § 2 Abs. 2 AsylbLG zulässig. Weiterhin dürfte grundsätzlich § 1 Abs. 5 Satz 1 des Aufnahmegesetzes Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 1998 (GVBl. LSA 1998, 10) einschlägig sein. Danach soll u.a. für die Personengruppe der ehemaligen Asylbewerber, die auf Grund rechtlicher oder tatsächlicher Unmöglichkeit nicht abgeschoben werden können, nach Möglichkeit der Unterbringung in kleineren Gemeinschaftsunterkünften der Vorzug gegeben werden. Allerdings folgt aus einem fehlenden Leistungsanspruch der Kläger wiederum nicht, dass damit eine entsprechende ausländerrechtliche Auflage gerechtfertigt werden kann.

Dass - wie von den Vertreterinnen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung geschildert - ohne eine solche zentrale Unterbringung sämtlicher vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer "chaotische" Umstände entstehen würden, weil davon auszugehen sei, dass diese woanders unterkommen würden und sie für den Beklagten nicht "greifbar" seien, ist nicht anzunehmen. Diese Personengruppe dürfte schon angesichts der fast immer fehlenden finanziellen Mittel auf die vom Beklagten gestellte Unterbringung angewiesen sein. Zudem bestünde die Möglichkeit, den genannten Gefahren durch die Auflage der Wohnsitznahme im Bezirk des Beklagten sowie weitere Informations- und Meldeauflagen entgegen zu wirken. Im Einzelfall ist schließlich nach entsprechender Prüfung auch durchaus die Auflage der Wohnsitznahme in der Gemeinschaftsunterkunft erlaubt, um solche Folgen zu verhindern. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass - wie der Kammer aus anderen ausländerrechtlichen Verfahren bekannt ist - auch die Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft des Beklagten die Erreichbarkeit nicht völlig sicher stellt. So kommt es immer wieder vor, dass derart untergebrachte Ausländer in anderen Bundesländern aufgegriffen werden. [...]