VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 04.12.2008 - A 4 K 3602/08 - asyl.net: M15282
https://www.asyl.net/rsdb/M15282
Leitsatz:

Glaubensgebundende Ahmadis sind Verfolgung wegen ihrer Religion ausgesetzt (im Anschluss an VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.5.2008 - A 10 S 72/08 - ASYLMAGAZIN 7–8/2008, S. 15).

 

Schlagwörter: Pakistan, Ahmadiyya, Gruppenverfolgung, Verfolgungsdichte, Strafverfolgung, Strafrecht, Missionierung, faires Verfahren, Rabwah, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Übergriffe, Anerkennungsrichtlinie, Glaubwürdigkeit, Religion, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Religionsfreiheit, Glaubwürdigkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b; IPbpR Art. 18; EMRK Art. 9; RL 2004/83/EG Art. 9; RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4; RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 3
Auszüge:

Glaubensgebundende Ahmadis sind Verfolgung wegen ihrer Religion ausgesetzt (im Anschluss an VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.5.2008 - A 10 S 72/08 - ASYLMAGAZIN 7–8/2008, S. 15).

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die zulässige Klage ist in dem sich aus dem Tenor der Entscheidung ergebenden Umfang begründet. Der Kläger hat in dem nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, der insoweit entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 15.09.2008 und die darin enthaltende Abschiebungsandrohung unter Ziffer 4 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5, Abs. 1 VwGO. [...]

Aufgrund des Eindrucks, den das Gericht vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, kann dem Kläger die behauptete individuelle Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure - nur eine solche kommt nach dem Vortrag des Klägers in Betracht - nicht als glaubhaft abgenommen werden. [...]

Die Voraussetzungen für eine Gruppenverfolgung liegen ebenfalls nicht vor. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (vgl. u.a. Urteile vom 20.11.2007 - A 10 S 70/06 - und vom 20.05.2008 - A 10 S 72/08 -), der sich die Kammer anschließt, droht Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya keine asylerhebliche Gruppenverfolgung, noch wird dadurch die Flüchtlingseigenschaft nach der Qualifikationsrichtlinie begründet. In der Entscheidung vom 20.05.2008 hat sich der VGH Baden-Württemberg darüber hinaus ausführlich mit dem Verständnis der maßgeblichen Qualifikationsrichtlinie sowie mit der Lage der Ahmadis in Pakistan beschäftigt und hierzu u.a. ausgeführt: [...]

Diese Ausführungen und Grundsätze legt auch das Gericht seiner Entscheidung zugrunde. Aufgrund der ausführlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung ist das Gericht entgegen der Ansicht der Beklagten davon überzeugt, dass der Kläger Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ist. Aus dem Umstand, dass er - wie das Bundesamt ausführt - nur 3 von 700 Schriften der Gemeinschaft genau bezeichnen konnte, folgt nichts anderes. Der Kläger konnte sowohl beim Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung die Fragen zu seinen Glaubensgemeinschaft beantworten und zeigte damit, dass er mit den Grundlagen seinen Glaubens vertraut ist. Der Kläger ist nach dem Eindruck, den das Gericht von seiner Person gewinnen konnte, eng mit seinem Glauben verbunden, hat diesen in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt und praktiziert ihn auch gegenwärtig in einer Weise, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der in der Entscheidung des Verwaltungshofs Baden-Württemberg beschriebenen Situation betroffen wäre.

Der Kläger hat ausführlich dargelegt, dass und wie er seinen Glauben in Pakistan gelebt hat. Er hat geschildert, dass er nach Möglichkeit versucht hat, von den täglich vorgeschriebenen fünf Gebeten drei zusammen mit seinen Glaubensbrüdern in seiner Heimatstadt zusammen zu beten, die anderen Gebete hat er zu Hause verrichtet. Die Erfüllung der religiösen Pflichten seiner Gemeinde, z.B. auch das Almosengeben, war für ihn selbstverständlich. Auf die Frage des Gerichts, ob die Gemeinde in ihrer Religionsausübung beschränkt gewesen sei, antwortete der Kläger sehr emotional, dass er sich sehr eingeschränkt gefühlt habe, denn sie dürften sich in der Öffentlichkeit ja nicht als Moslems zeigen und hätten bei ihren Aktivitäten immer äußerst vorsichtig sein müssen, um nicht aufzufallen. Zudem hat der Kläger in Pakistan in seiner Gemeinde auch die Funktion des Kassenverwalters ausgeübt und damit auch innerhalb der Gemeinde Verantwortung übernommen. Das Gericht hat auch insoweit keine Zweifel an den vom Klägern geschilderten Tätigkeiten, auch wenn dem Kläger nicht abgenommen wird, allein oder zusammen mit anderen aktiv für die Ahmadi in Pakistan missioniert zu haben. Die Einlassung hierzu, wie das aktive Missionieren ausgesehen habe, ist zu simpel und die behauptete Vorgehensweise so unwahrscheinlich, dass hierauf nicht näher eingegangen zu werden braucht. Die unabhängig davon bestehende enge Verbundenheit- mit seinem Glauben lebt und praktiziert der Kläger auch im Bundesgebiet weiter. Er ist Mitglied seiner Gemeinde in Böblingen und engagiert sich aktiv in der Gemeinde in der religiösen Unterrichtung der Kinder, außerdem nimmt er an Veranstaltungen der Ahmadiyya-Gemeinschaft im Bundesgebiet teil. Ende August 2008 war er als Ordner in Mannheim eingesetzt, im Oktober 2008 war er zu einer Einladung einer neuen Moschee in Berlin eingeladen, der Kläger hat die Einladung in der mündlichen Verhandlung und seine Erlaubnis, dorthin zu fahren, in der mündlichen Verhandlung gezeigt. Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass sein Engagement in der Gemeinde in Böblingen der tiefen religiösen Überzeugung des Klägers zu seinem Glauben entspringt und es ein Bedürfnis des Klägers ist, seine Religion auch aktiv zu leben. [...]