VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 20.04.2009 - 6 A 929/08.Z.A - asyl.net: M15505
https://www.asyl.net/rsdb/M15505
Leitsatz:

Es liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, wenn das Verwaltungsgericht einen Beweisantrag auf Zeugenvernehmung zur Frage der Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts wegen Wahrunterstellung ablehnt, in der Entscheidung aber maßgeblich auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Glaubenswechsels abstellt.

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Berufungszulassungsantrag, rechtliches Gehör, Beweisantrag, Zeugen, Konversion, Apostasie, Glaubwürdigkeit, Wahrunterstellung
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; VwGO § 138 Nr. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der gem. § 78 Abs. 4 AsylVfG statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag der Klägerin hat Erfolg und führt zur Zulassung der Berufung gegen das im Tenor bezeichnete Urteil.

Die Berufung ist zuzulassen, weil das erstinstanzliche Urteil unter Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin zu Stande gekommen ist (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO). [...]

Die Klägerin bezieht sich zur Begründung ihres Antrags auf Zulassung der Berufung u.a. auf den von ihrem Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag, die präsenten Zeugen ... und ... zu der Behauptung zu vernehmen, die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas führe vor der Aufnahme einer Person eine Prüfung der Ernsthaftigkeit durch und dies sei auch bei der Klägerin erfolgt. Den Antrag habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt, die unter Beweis gestellte Tatsache werde als wahr unterstellt bzw. sei nicht entscheidungserheblich. Die Fehlerhaftigkeit der Ablehnung folge daraus, dass das Gericht bei seiner Entscheidung vor allem darauf abgestellt habe, ob es dem Konvertierten mit dem Übertritt ernst sei. Nur in diesem Fall bestehe nach der vom Verwaltungsgericht vertretenen Ansicht die Möglichkeit, dass dem jeweiligen Asylsuchenden im Fall einer Rückkehr in den Iran wegen der Aufgabe der islamischen Religion Gefahr für Leib und Leben drohe. Bei der Urteilsfindung sei das Verwaltungsgericht auf Basis dieser Ansicht sodann davon ausgegangen, die Ernsthaftigkeit der Lösung vom Islam sei im Fall der Klägerin nicht gegeben. Diese Feststellung beruhe jedoch allein auf den Kenntnissen des Gerichts bzw. den entsprechenden Anhörungen, bezöge aber gerade nicht die Argumente für einen ernsthaften Übertritt zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas ein, die die Klägerin detailliert vorgetragen und unter Nennung der Zeugen unter Beweis gestellt habe.

Diesen Ausführungen kann sich der erkennende Senat nicht verschließen. Es erscheint plausibel, dass die von der Klägerin angeregte Vernehmung der Zeugen es dem Verwaltungsgericht ermöglicht hätte, die seiner Entscheidung nach maßgeblichen Umstände des Glaubensübertritts der Klägerin anhand der vorgetragenen näheren Umstände zu erforschen und zu berücksichtigen. Über den rein formalen Teil des Beweisantrags (etwa die unstreitige Tatsache der Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft) hinaus war ersichtlich, dass die Klägerin auch und gerade die Umstände des Glaubenswechsels durch das Zeugnis der drei genannten Personen dem Gericht darzustellen beabsichtigte. Es bestand folglich zumindest die Möglichkeit, dass aufgrund der Beweisaufnahme sich (auch) Erkenntnisse zu der vom Verwaltungsgericht als wesentlich angesehenen Frage der Ernsthaftigkeit der Entscheidung ergeben würden. Daher durfte der Beweisantrag jedenfalls nicht als unerheblich zurückgewiesen werden. [...]