VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 10.02.2009 - 1 A 3287/07 - asyl.net: M15506
https://www.asyl.net/rsdb/M15506
Leitsatz:
Schlagwörter: Russland, Mafia, Inhaftierung, Erpressung, interne Fluchtalternative, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

Die auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 bis 7 AufenthG beschränkte Klage ist zulässig, kann jedoch keinen Erfolg haben. [...]

Die Kläger haben nicht glaubhaft gemacht, dass sie vor ihrer Ausreise einer staatlichen Verfolgung aus den in § 60 Abs. 1 AufenthG aufgeführten Gründen ausgesetzt waren. Ihr Vortrag gibt dazu auch nichts her. Die erwachsenen Kläger waren weder politisch tätig noch wurden ihnen politische oppositionelle Tätigkeit oder Gesinnung unterstellt. Wenn man ihren Vortrag zu Grunde legt, so ist der Kläger zu 3) mehr oder weniger zufällig in den Zugriff staatlicher Organe gekommen. Er wollte bei den Strafverfolgungs- oder Ordndungsbehörden anzeigen, dass er von Angehörigen der organisierten Kriminalität unter Druck gesetzt worden war. Seinem Vortrag nach waren gerade die Personen, die ihn bedroht hatten, im Büro der Sicherheitsorgane. Er sei für einige Tage festgehalten und erheblich misshandelt worden. Mit diesem Vortrag lässt sich ein Anspruch auf Schutz vor Verfolgung durch den Staat oder seine Organe nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht begründen.

Zwar kann Verfolgungsschutz nach § 60 Abs. 1 Satz 4 b und c AufenthG auch dann gewährt werden, wenn die Verfolgung nicht vom Staat, sondern von Parteien oder Organisationen oder sonstigen nichtstaatlichen Akteuren ausgeht. Voraussetzung für einen derartigen Verfolgungsschutz ist jedoch eine Verfolgungsmacht dieser Akteure, die der Staatsgewalt nahe kommt oder sie in bestimmten Bereichen schon ersetzt hat. Derartige Parteien oder Organisationen, die nach § 60 Abs. 1 Satz 4 b AufenthG relevante Verfolgung ausüben können, behaupten auch die Kläger nicht. Nichtstaatliche Akteure, vor deren Verfolgung gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG Schutz gewährt werden kann, sind auch nach Vortrag der Kläger nicht anzunehmen.

Die Kläger machen zwar einen durchaus glaubhaften Eindruck. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 3) so verfolgt worden sind, wie sie behaupten. Es mag sein, dass der Kläger zu 3) als Angehöriger eines technischen Betriebes mit Verbindungen zum Militär für die organisierte Kriminalität von Bedeutung sein konnte. Da der Kläger zu 3) seine Arbeit jedoch aufgegeben hat, war er für die organisierte Kriminalität nicht mehr von besonderem Interesse. Über ihn können sie keinen Einfluss mehr auf den Betrieb nehmen. Auch sein Wissen war nicht mehr von besonderer Bedeutung. Es war dem Kläger zu 3) und seiner Familie deshalb zuzumuten, sich außerhalb seiner Heimatstadt und der näheren Umgebung anderweitig in der Russischen Föderation niederzulassen. Selbst wenn es anhand der Melderegister, über deren Zuverlässigkeit dem Gericht nichts Ausreichendes bekannt ist, möglich sein sollte, den Aufenthalt der Kläger in der Russischen Föderation in Erfahrung zu bringen, so würde dieser Aufwand nur betrieben werden, wenn der Kläger zu 3) so wichtig wäre, dass die ihn verfolgende organisierte Kriminalität nicht nur in Wolgograd, sondern in der gesamten Russischen Föderation ein Interesse daran hätte, seiner habhaft zu werden, um sich seiner Dienste zu versichern oder von seinem Wissen zu profitieren. Nach zur Verfügung stehenden Unterlagen und Erkenntnismitteln hat die organisierte Kriminalität in Teilen der Russischen Föderation zwar erheblichen Einfluss, aber auch der Vortrag der Kläger und ihres Prozessbevollmächtigten haben nicht belegen können, dass dieser Einfluss inzwischen so stark ist, dass der Kläger befürchten müsste, überall in der Russischen Föderation aufgefunden zu werden. [...]

Auch Schutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 kann den Klägern nicht gewährt werden. Dieser Schutz kommt nach § 60 Abs. 2 AufenthG in Betracht, wenn eine Verfolgung droht, die zwar keine politische im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG ist, jedoch zu unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung führen würde. Selbst wenn man unterstellt, dass der Kläger zu 3) bei seinem Aufenthalt in der Aufnahmeeinrichtung kurz nach seiner Anhörung zum Asylverfahren auch von einem Bediensteten der Auslandsaufklärung befragt worden sein sollte, kann daraus für den Kläger zu 3) nichts gewonnen werden. Ein Nachfluchtgrund lässt sich daraus nicht herleiten. Der Kläger zu 3) war seinen Angaben nach kein besonderer Geheimnisträger, sondern hat lediglich in einem Betrieb gearbeitet, der auch für die Rüstungsindustrie tätig war. Wegen der Verflechtung des militärisch wirtschaftlichen Komplexes in der Russischen Föderation sind solche Verbindungen nicht selten, so dass auch von Seiten der Russischen Behörden davon ausgegangen wird, dass Angehörige solcher Betrieb im Ausland möglicherweise befragt werden. Insoweit stellt sich die Situation des Klägers nicht als außergewöhnlich dar. Abgesehen davon haben die deutschen Behörden ein Interesse, die Kooperation des Klägers zu 3) nicht bekannt werden zu lassen (vergl. auch VG Augsburg, U. v. 21.09.1999, 3 K 98.30469). Allein schon der Umstand, dass ihm ein Reisepass ausgestellt worden ist, belegt, dass er kein besonders wichtiger Geheimnisträger war.

Auch aus § 60 Abs. 7 AufenthG können die Kläger keinen Anspruch auf Entscheidung über Verfolgungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland herleiten. Wie bereits oben ausgeführt haben sie weder von staatlicher Seite noch von nichtstaatlichen Akteuren oder Organisationen eine Verfolgung zu erwarten, vor der Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zu gewähren wäre. Besondere Umstände, die nicht bereits nach § 60 Abs. 1 bis 6 AufenthG zu berücksichtigen wären und deshalb ausschließlich bei der Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG zum tragen kommen, sind nicht ersichtlich. [...]