VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 18.03.2009 - A 12 K 514/08 - asyl.net: M15520
https://www.asyl.net/rsdb/M15520
Leitsatz:

Kein Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG (bzw. § 53 Abs. 4 AuslG) für eine Deserteurin aus Eritrea wegen der Ausstellung eines Passes durch das eritreische Generalkonsulat; die Umdeutung eines rechtswidrigen Widerrufs in eine Rücknahme ist ausgeschlossen, wenn der Verwaltungsakt aufgrund eines Verpflichtungsurteils ergangen ist.

Schlagwörter: Eritrea, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, menschenrechtswidrige Behandlung, Widerruf, Deserteure, Nationaler Dienst, Situation bei Rückkehr, Folter, Strafverfahren, Änderung der Sachlage, Passausstellung, Auslandsvertretung, Rücknahme, Umdeutung, Rechtskraft, Bindungswirkung, Verpflichtungsurteil
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 5; VwGO § 121
Auszüge:

[...]

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 28.01.2008 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach § 73 Abs. 3 AsylVfG ist die Entscheidung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 des AufenthG vorliegen, zurückzunehmen, wenn sie fehlerhaft ist, und zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Dies gilt entsprechend für die Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG. Die vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 22.07.2004 getroffene Feststellung, dass im Falle der Klägerin Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich Eritrea vorliegen, entspricht der Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG.

Im Falle der Klägerin kann nicht festgestellt werden, dass es, bezogen auf den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26.05.2004 bzw. der diesen Beschluss umsetzenden Entscheidung des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 22.07.2004, zu einer nachträglichen Veränderung der Sachlage gekommen ist, so dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 AuslG nicht mehr vorliegen. Für den Widerruf der Feststellung nach § 53 Abs. 4 AuslG reicht es nicht aus, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die für die Feststellung entscheidungserheblichen Umstände auf der Grundlage einer unveränderten Tatsachenbasis nunmehr anders bewertet oder dass sich insofern nachträglich lediglich die Erkenntnislage geändert hat. Es bedarf vielmehr einer entscheidungserheblichen nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage, die dazu führt, dass die Voraussetzungen des Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG nicht mehr gegeben sind. Der erfolgte Widerruf kann sonach nicht damit begründet werden, dass aufgrund der erfolgten Passausstellung durch das eritreische Generalkonsulat davon auszugehen sei, dass die Klägerin - im Gegensatz zu ihren Angaben im früheren Asylverfahren - keine in Eritrea gesuchte Deserteurin sei. Denn damit würdigt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den ursprünglichen Sachverhalt aufgrund eines nachträglich eingetretenen, ihm bekannt gewordenen Umstandes lediglich anders als es der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 26.05.2004 getan hat.

Im Übrigen hat sich im Hinblick auf den Tatbestand der Fahnenflucht (Desertion) keine entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage seit der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bzw. des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ergeben. Hiervon geht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im angefochtenen Bescheid selbst aus (vgl. Seite 4 des Bescheids). Der Klägerin droht nach den Feststellungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (a.a.O.), bei einer Einreise die Festnahme, wobei ihr anschließend Folter und unmenschliche Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs steht für die Fälle der Flucht aus dem Wehrdienst bzw. aus dem sogenannten nationalen Dienst in Eritrea in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der erkennenden Kammer (vgl. hierzu die Urteile des erkennenden Gerichts vom 30.01.2007, Az.: A 17 K 888/06 sowie v. 16.01.2008, Az.: A 12 K 4055/07). Hiernach sind - auch noch zum gegenwärtigen Zeitpunkt - aus der Sicht der staatlichen Behörden Eritreas Deserteure sowie all diejenigen, die im rekrutierungsfähigen Alter sind (18-45 Jahre alt) und Eritrea illegal verlassen, Verräter der nationalen Sache und werden bei einer Rückkehr nach Eritrea übermäßig hart bestraft (vgl. den Dienstreisebericht des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements - Schweiz - vom 11.07.2006, Nr. 263 der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel zu Eritrea). Eine übermäßig harte Bestrafung von Rückkehrern, die beschuldigt werden, sich dem nationalen Dienst entzogen zu haben, ergibt sich auch aus dem Gutachten des Instituts für Afrika-Kunde vom 27.10.2005 an das Verwaltungsgericht Bayreuth sowie aus der Stellungnahme von amnesty international vom 04.05.2005 an das Verwaltungsgericht Freiburg (auch diese Unterlagen sind zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden).

Eine Änderung der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (a.a.O.) festgestellten und fortbestehenden Bedrohungslage im Hinblick auf die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art. 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK) ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass der Klägerin vom eritreischen Generalkonsulat im September 2005 ein Pass ausgestellt worden ist. Im Hinblick auf die - hier nicht einschlägige - Erlöschensvorschrift des § 72 AsylVfG hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.10.1996 - 13 S 3392/95 -) festgestellt, dass dem Umstand, dass dem Asylberechtigten vom Generalkonsulat des Herkunftslandes ein Reisepass ausgestellt wird, lediglich eine Indizwirkung dahingehend zukommt, dass sich der Betreffende wieder unter den Schutz seines Heimatstaates stellen will. Daraus allein kann sonach der Tatbestand der Unterschutzstellung i.S.d. § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG nicht erschlossen werden. Nach dem VGH Baden-Württemberg (a.a.O.) ist auch ein Aufenthalt von vier Wochen im Heimatland, der zur Erfüllung einer sittlichen Pflicht erfolgt, noch kein Unterschutzstellen im Heimatland i.S.d. § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG. Abgesehen davon, dass es auf den Tatbestand des Unterschutzstellens nur im Hinblick auf die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ankommt (vgl. § 72 Abs. 1 AsylVfG), kann aus der von der Klägerin veranlassten Passausstellung schon rein faktisch nicht auf den Fortfall der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG geschlossen werden. Aus dem Tatbestand der Passausstellung ergibt sich kein verlässlicher Rückschluss, dass die eritreischen Behörden eine Strafverfolgung der Klägerin nicht mehr beabsichtigen. Ausweislich der Begründung des Bescheides vom 28.01.2008 zieht wohl auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diesen Schluss nicht, sondern folgert aus der Tatsache der Passausstellung, dass der von der Klägerin zur Begründung ihres Asylbegehrens bzw. des Abschiebungsverbotes vorgetragene Sachverhalt in Wirklichkeit nicht vorlag.

Der - unzulässige - Widerruf kann auch nicht in eine - zulässige - Rücknahme umgedeutet werden. Einer Rücknahme wegen fehlerhafter Entscheidung, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 AuslG bzw. des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen, steht die Rechtskraft des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26.05.2004 (a.a.O.) entgegen. Aus der Rechtskraft des Beschlusses gemäß § 121 VwGO folgt, dass eine Rücknahme nicht allein deshalb in Betracht kommt, weil die Behörde nunmehr aufgrund geänderter Erkenntnislage die Fehlerhaftigkeit ihrer Entscheidung erkennt. Im Übrigen lässt sich weder aus der Passausstellung als solcher noch aus den von der Ausländerbehörde festgestellten Umständen dieser Passausstellung (vgl. hierzu die vom Amt für öffentliche Ordnung der Landeshauptstadt Stuttgart angefertigten Aktennotizen) mit hinreichender Verlässlichkeit der Schluss ziehen, dass der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof seinem Beschluss zugrunde gelegte Sachverhalt bzw. das damalige Vorbringen der Klägerin in wesentlicher Beziehung unrichtig waren. Es ist eine bloße, nicht abgesicherte Vermutung der Beklagten, dass nicht anzunehmen sei, dass der eritreische Staat, dem ausdrücklich eine hohe Ausforschungskompetenz zugeschrieben werde, eine Deserteurin mit der Ausstellung eines Nationalpasses begünstige. [...]