VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 12.01.2009 - 19 C 08.3012 - asyl.net: M15522
https://www.asyl.net/rsdb/M15522
Leitsatz:

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entscheidung eines Prozesskostenhilfeantrags ist dessen Entscheidungsreife, so dass das Gericht nicht das Ergebnis der mündlichen Verhandlung einschließlich einer etwaigen Beweisaufnahme abwarten darf, um die Prozesskostenhilfe im Lichte der dort gewonnenen Erkenntnisse abzulehnen.

Schlagwörter: D (A), Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Beurteilungszeitpunkt, Entscheidungszeitpunkt, Beweisaufnahme
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114
Auszüge:

[...]

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren versagt.

1. Nach § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

2. Hiervon ausgehend hätte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht verweigert werden dürfen. Vielmehr war das Verwaltungsgericht gehalten, über den am 15. Juli 2008 erneut gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfe unverzüglich vor Fortsetzung der mündlichen Verhandlung in der Hauptsache, insbesondere aber vor Eintritt in die Beweisaufnahme zu entscheiden (vgl. BayVGH, Beschluss v. 6.8.1996 - 7 C 96.1262 -, NVwZ-RR 1997, 501; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 13.12.1990 - 2 E 12010/90 -, DVBl 1991, 1322).

a) Die Gewährung von Prozesskostenhilfe unterliegt mit Blick auf ihre Funktion, dem Antragsteller alsbald die erforderliche Klarheit zu verschaffen, ob seine Mittellosigkeit als Hindernis der beabsichtigten Rechtsverfolgung ausgeräumt wird, einem besonderen Beschleunigungsgebot (vgl. Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., 2006, § 166 RdNr. 36). Über einen Prozesskostenhilfeantrag ist deshalb zu entscheiden, sobald der Antrag vollständig vorliegt und der Gegner dazu gehört wurde (vgl. OVG Greifswald, Beschluss v. 7.11.1995 - 3 O 5/95 -, NVwZ-RR 1996, 621 [622]).

Verzögert das Gericht die Entscheidung, so kann dies nicht zu Lasten der den Antrag stellenden Partei ergehen. Der Mittellose darf durch die Säumigkeit des Gerichts weder benachteiligt noch um die beantragte Prozesskostenhilfe gebracht oder in seiner Rechtsverfolgung behindert werden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 13.12.1990 - 2 E 12010/90 -, DVBl 1991, 1322 f.). Trägt ein Gericht, das über einen Prozesskostenhilfeantrag zu entscheiden hat, dem Beschleunigungsgebot - aus welchen Gründen auch immer - nicht hinreichend Rechnung, so kann es keinen sachlichen Grund geben, den Anspruch des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu schmälern oder ihn schlechter zu stellen als im Falle einer rechtzeitigen Entscheidung über sein Gesuch.

Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung ist daher nicht der Erkenntnisstand der (verspäteten) gerichtlichen Entscheidung, sondern derjenige, der bei Eintritt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags gegeben war, zugrundezulegen (vgl. BayVGH, Beschluss v. 6.8.1996 - 7 C 96/1262 -, NVwZ-RR 1997, 501 [502]; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 13.12.1990 - 2 E 12010/90 -, DVBI 1991, 1322 [1323]; OVG Greifswald, Beschluss v. 7.11.1995 - 3 O 5/95 -, NVwZ-RR 1996, 621 [622 f.]). Dies lässt sich nicht zuletzt daraus ableiten, dass eine einmal bewilligte Prozesskostenhilfe grundsätzlich für den gesamten Rechtszug erhalten bleibt (Ausnahmen sind in § 124 ZPO abschließend geregelt), ohne dass es etwa darauf ankommen würde, ob sich die Einschätzung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung durch das Gericht nachträglich ändert (vgl. BayVGH, Beschluss v. 6.8.1996 - 7 C 96/1262 -, NVwZ-RR 1997, 501 [502]; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 13.12.1990 - 2 E 12010/90 -, DVBl 1991, 1322 [1323]).

Es wäre mit Sinn und Zweck des Rechtsinstituts der Prozesskostenhilfe nicht zu vereinbaren, wenn ein Gericht das Ergebnis der mündlichen Verhandlung in der Hauptsache einschließlich einer etwaigen Beweisaufnahme abwarten dürfte, um den Antrag auf Prozesskostenhilfe im Lichte der dort gewonnenen Erkenntnisse mangels Aussicht auf Erfolg zeitgleich mit der Hauptsachentscheidung abzulehnen. Ein solches Vorgehen würde das Rechtsinstitut der Prozesskostenhilfe seiner Wirkungen berauben.

b) Legt man die Sach- und Rechtslage im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife am 15. August 2008 - an diesem Tage lagen die Antragsunterlagen vollständig vor - zugrunde, so ist eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage zu bejahen.

aa) Hinreichende Erfolgsaussicht über die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Sinne von § 114 ZPO besteht stets dann, wenn das Gericht den Standpunkt des Antragstellers aufgrund dessen eigener Sachdarstellung und der von ihm gegebenenfalls eingereichten Unterlagen für zutreffend oder zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 13.12.1990 - 2 E 12010/90 -, DVBl 1991, 1322; OVG Greifswald, Beschluss v. 7.11.1995 - 3 O 5/95 -, NVwZ-RR 1996, 621 [622]). Letzteres ist vor allem dann anzunehmen, wenn zur Klärung des Sachverhalts eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird (vgl. BVerfG, Beschluss v. 1.12.1993 - 2 BvR 1584/92, Juris; OVG Greifswald, Beschluss v. 7.11.1995 - 3 O 5/95 -, NVwZ-RR 1996, 621 [622]; BayVGH, Beschluss v. 6.8.1996 - 7 C 96.1262 -, NVwZ-RR 1997, 501 [502]). In einem solchen Fall läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens keine Prozesskostenhilfe zu gewähren (BVerfG, Beschluss v. 1.12.1993 - 2 BvR 1584/92, Juris).

bb) Vorliegend ging das Verwaltungsgericht zunächst davon aus, dass von einer Ausübung der elterlichen Sorge seitens des Klägers offenkundig nicht die Rede sein könne (vgl. Bl. 42 der Gerichtsakte). Folgerichtig wurde der erste Prozesskostenhilfeantrag des Klägers mit Beschluss vom 12. Februar 2008 abgelehnt. In der mündlichen Verhandlung in der Hauptsache gab der Kläger ausweislich der Niederschrift vom 6. Mai 2008 dann aber zu Protokoll, dass das polizeiliche Kontaktverbot nicht mehr bestehe und er sein Kind zwei- bis dreimal wöchentlich sehe (vgl. Bl. 64 der Gerichtsakte). Daraufhin stellte das Verwaltungsgericht fest, dass der nunmehr vorgetragene Sachverhalt ermittelt werden müsse. [...]

cc) Dieser Ablauf zeigt, dass das Verwaltungsgericht die Sachdarstellung des Klägers spätestens ab dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 6. Mai 2008 als zumindest denkbar und möglich ansah. [...] Unter diesen Umständen war die vom Verwaltungsgericht veranlasste Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht zu ziehen. Letzteres hätte dem Verwaltungsgericht Anlass geben müssen, die beantragte Prozesskostenhilfe spätestens vor Anordnung der Beweiserhebung zu bewilligen. Die rechtskräftige Ablehnung des ersten Antrags stand dem zweiten aufgrund der geänderten Sachlage nicht entgegen. Das Gericht durfte deshalb das bereits anhängige Hauptsacheverfahren nicht durch eine kostenträchtige Beweisaufnahme fördern, ohne zuvor über das Prozesskostenhilfegesuch entschieden zu haben (vgl. Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., 2006, § 166 RdNr. 38).

Stattdessen hat das Verwaltungsgericht die Entscheidung über den Antrag aufgeschoben und dessen jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidungsreife gegebene Erfolgsaussichten im Lichte der erst im Rahmen der Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnisse verneint. Dies zeigen nicht zuletzt die Ausführungen in der am selben Tage getroffenen Hauptsacheentscheidung. Auf Seite 9 der Urteilsgründe stellt das Verwaltungsgericht fest, der Umgang von Kläger und Kindesmutter sei, wie sich in der mündlichen Verhandlung gezeigt habe, von Misstrauen und Vorwürfen geprägt. Es lasse sich deshalb auch für die Zukunft absehen, dass eine Beistandsgemeinschaft zwischen dem Kläger und seinem Kind nicht aufgenommen werde.

Ein solches Vorgehen ist, wie bereits eingangs aufgezeigt, mit Sinn und Zweck des Rechtsinstituts der Prozesskostenhilfe nicht vereinbar. Der mittellose Antragsteller darf insoweit nicht um die beantragte Prozesskostenhilfe gebracht und so in seiner Rechtsverfolgung behindert werden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 13.12.1990 - 2 E 12010/90 -, DVBl 1991, 1322 [1323]). [...]