VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 09.04.2009 - AN 5 K 08.01853 - asyl.net: M15684
https://www.asyl.net/rsdb/M15684
Leitsatz:

Die Ausländerbehörde darf für den Nachweis der erforderlichen Deutschkenntnisse gem. § 104 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG nicht die Vorlage einer Bescheinigung einer Ausbildungseinrichtung verlangen, sondern muss ggf. selbst die Sprachkenntnisse prüfen; Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen gem. § 104 a Abs. 1 S. 1 Nr. 5 AufenthG liegen nur vor, wenn der Ausländer sich durch entsprechende Handlungen oder durch hinreichend eindeutige Verlautbarungen in diesem Sinne nach außen zu erkennen gegeben hat; die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist nur dann gem. § 104 a Abs. 1 S. 1 Nr. 5 AufenthG ausgeschlossen, wenn die Bezüge im entscheidungserheblichen Zeitpunkt noch bestehen.

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Altfallregelung, Sprachkenntnisse, Nachweis, Sachaufklärungspflicht, Erlasslage, Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen, Unterstützung, Beurteilungszeitpunkt, Ansar al-Islam, Islamisches Zentrum Nürnberg
Normen: AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 2; AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 5
Auszüge:

[...] Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). [...]

1.3. Der Kläger verfügt zum maßgeblichen Zeitpunkt über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne der Stufe A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (§ 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Nach Auffassung der Kammer ist insoweit nicht entscheidungserheblich, ob der Kläger spätestens zum 1. Juli 2008 über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im oben genannten Sinne verfügte (so aber VG Ansbach, Urteil vom 20.1.2009, AN 19 K 08.01644). Im Ergebnis kann es heute vielmehr dahinstehen, welche Sprachkenntnisse der Kläger zu diesem Zeitpunkt hatte. Aus der Formulierung des Gesetzes in § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ergibt sich lediglich, dass vor diesem Stichtag vom Vorliegen der Sprachkenntnisse abgesehen werden konnte. Im Umkehrschluss daraus ergibt sich nur, dass nach diesem Stichtag davon nicht mehr abgesehen werden darf. Das Gericht hält die vom Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung als generelle Handlungsweise bezeichnete Praxis der Beklagten, dass sie als Nachweis für das Vorliegen der erforderlichen Deutschkenntnisse nur eine A2-Bescheinigung einer Ausbildungseinrichtung anerkennt, für rechtswidrig. Dies gilt zumindest solange, wie es keine Bildungseinrichtung gibt (die Beklagte konnte keine nennen, Recherchen des Gerichts haben ebenfalls zu keinem positiven Ergebnis geführt), bei der man eine Prüfung über die ausschließlich erforderlichen mündlichen Sprachkenntnisse ablegen kann, ohne davor einen kostenpflichtigen Sprachkurs besucht haben zu müssen. Die Auffassung, dass ein Nachweis der Sprachkenntnisse auch ohne förmliche Bescheinigung erfolgen kann, wird bestärkt durch Ziffer II. 4.3 der Bayerischen Bestimmungen zur Umsetzung des Bleiberechtsbeschlusses der IMK vom 17. November 2006 (die zwar keine unmittelbare Bedeutung für die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 104 a AufenthG haben, aber im Hinblick auf die entsprechende gleichlautende Bestimmung im Bleiberechtsbeschluss als Anwendungsempfehlung für die Verwaltung durchaus auch hier herangezogen werden kann), in denen zum einen ausgeführt ist, unter welchen Voraussetzungen diese Sprachkenntnisse als nachgewiesen gelten (z.B. erfolgreiche Abschluss von Integrationskurs, Hauptschulabschlusses usw.) und zum anderen darauf hingewiesen wird, dass dann, wenn die erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache an Hand dieser Kriterien nicht oder nicht hinreichend nachgewiesen sind, das persönliche Erscheinen des Ausländers zur Überprüfung der Sprachkenntnisse anzuordnen sei. Die Ausländerbehörde solle in diesem Fall mit dem Ausländer ein kurzes Integrationsgespräch führen und feststellen, ob er sich in einfachen, routinemäßigen Situationen verständigen könne, in denen es um einen unkomplizierten und direkten Austausch von Informationen und um vertraute Themen und Tätigkeiten gehe. Diese Ermittlung wurde von der Beklagten offensichtlich nicht durchgeführt. [...]

Das Gericht hat deshalb in der mündlichen Verhandlung, an der ein Dolmetscher für die Kläger auf deren Wunsch nicht teilgenommen hat, mit dem Kläger und seiner Frau in deutscher Sprache gesprochen und sich dabei davon überzeugt, dass der Kläger und seine Frau die o.g. Anforderungen ausreichend erfüllen. Damit steht für das Gericht fest, dass der Kläger und auch seine Ehefrau, ebenso im übrigen auch wie die älteren drei Kinder des Klägers, die die Schule beziehungsweise den Kindergarten besuchen, zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen.

1.4. Der Kläger hat ferner nach Überzeugung des Gerichts keine Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen und unterstützt diese auch nicht (§ 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG). Im Hinblick darauf, dass es sich bei der Regelung des § 104 a AufenthG um eine in Gesetzesform gegossene Altfallregelung handelt, mit der der Gesetzgeber für einen überschaubaren Zeitraum, d.h. bis zum 31. Dezember 2009, bis zu dem längstens eine erstmalige Aufenthaltserlaubnis erteilt werden darf (§ 104 a Abs. 5 Satz 1 AufenthG), eine relativ großzügige Möglichkeit für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen geschaffen hat, ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass, soweit die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist, die Anforderungen strenger als in den übrigen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes geregelt sind. Die Kammer folgt dabei nicht der Auffassung von Funke-Kaiser, der bezüglich der Begriffe der "Bezüge" sowie der "extremistischen Organisation" meint, dass diese Vorschrift von einer Weite und Konturlosigkeit sei, die rechtsstaatlich kaum noch akzeptabel erscheine und geeignet sei, Willkür Tür und Tor zu öffnen (Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar, RdNr. 45.1 zu § 104 a AufenthG). Entscheidend ist vielmehr, für die Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe grundrechtskonforme Kriterien heranzuziehen, die jedenfalls nicht willkürlich sind. Insoweit folgt die Kammer der vorgeschlagenen Auslegung des Begriffs "Bezüge" von Funke-Kaiser (a.a.O. RdNr. 46), wonach von Bezügen nur dann gesprochen werden könne, "wenn zu der Organisation, ggf. auch nur vermittelt durch deren Mitglieder und nahe stehende Sympathisanten, nachweisbar (und nicht nur vermutet) Beziehungen hergestellt bzw. (nachdem der Charakter der Organisation erkannt wurde) aufrecht erhalten werden, die einen wohl begründeten und nahe liegenden (nicht nur spekulativen, d.h. nicht durch konkrete Tatsachen gestützten) Schluss darauf zulassen, dass die Betreffenden gerade deren (extremistische) Ziele zumindest weitgehend billigen, wenn nicht gar unterstützen. Anders formuliert: Bezüge liegen nicht vor, wenn keine ausreichenden Anhaltspunkte der vorbeschriebenen Art dafür bestehen, dass die Beziehungen namentlich zu bestimmten Personen überwiegend von Sympathie für die Ziele getragen werden, sondern etwa aus verwandtschaftlichen oder kollegialen Gründen bestehen bzw. aufrechterhalten werden. Bezüge setzen demnach voraus, dass die hier zu beurteilenden Personen sich durch entsprechende Handlungen oder aber zumindest durch entsprechende hinreichend eindeutige Verlautbarungen in diesem Sinne nach außen zu erkennen gegeben haben." Auch Hailbronner (Ausländerrecht, RdNr. 12 zu § 104 a AufenthG) geht zutreffend davon aus, dass bei Bezügen zu terroristischen Organisationen Verbindungen, wie z.B. die regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen terroristischer Organisationen, geschäftliche Verbindungen mit terroristischen Organisationen, die über bloße Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen, Mitgliedschaft in Organisationen, die mit terroristischen Organisationen zusammenarbeiten, Teilnahme an Trainingslagern im Ausland usw. gegeben sein müssen, also alles Handlungen, die an ein aktives und nachvollziehbares Handeln des Ausländers anknüpfen. Aus der Verwendung des Präsens in dieser Bestimmung ergibt sich ferner, dass diese Bezüge zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt noch bestehen müssen.

Die Kammer hat keinen Zweifel daran, dass es sich bei den von der Beklagten im angefochtenen Bescheid genannten Personen ... und ... um Unterstützer der Ansar al-Islam handelt und dass der Kläger Kontakte zu diesen Menschen hatte. Die Zuziehung von Herrn ..., einer, wie die Kammer aus eigener Anschauung weiß, sehr gut Deutsch sprechenden Person als Dolmetscher bei Gesprächen mit der Beklagten und der sicherheitsrechtlichen Befragung vom 26. März 2003 kann aber nicht zulasten des Klägers Verwendung finden. Es ist davon auszugehen, dass der Beklagten die Beziehung von Herrn ... zur Ansar al-Islam zum damaligen Zeitpunkt nicht bekannt war, da sie ihn sonst wohl als Dolmetscher, gerade bei Sicherheitsgesprächen, nicht zugelassen hätte. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger insoweit weitergehende Kenntnisse hatte, sind nicht ersichtlich. Dies gilt auch für seine Beziehungen zu Herrn ..., in dessen Bäckerei der Kläger längere Zeit gearbeitet hat. Selbst wenn es auffällig erscheinen mag, dass der Kläger in einer Bäckerei gearbeitet hat, deren Chef ebenso wie einer seiner dortigen Arbeitskollegen (...), den er sich aber offensichtlich nicht aussuchen konnte, Unterstützer der Ansar al-Islam sind, ergibt sich daraus nicht zwangsläufig, dass der Kläger sich mit diesen Menschen über die Ansar al-Islam oder andere extremistische Organisationen unterhalten hat und sich die dabei möglicherweise zur Kenntnis genommenen Ausführungen zu eigen gemacht hat. Um von Bezügen im oben genannten Sinne ausgehen zu können, wäre es erforderlich gewesen, dass der Kläger durch irgendwelche Handlungen oder Äußerungen zu erkennen gegeben hat, dass er die Auffassungen einer dieser drei genannten Unterstützer der Ansar al-Islam auch nur für gut befindet. Derartige Anhaltspunkte gibt es offensichtlich nicht. [...]