VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Beschluss vom 04.09.2009 - 4 A 15/09 - asyl.net: M16050
https://www.asyl.net/rsdb/M16050
Leitsatz:
Schlagwörter: Rechtsanwaltsgebühren, Verfahrensgebühr, Geschäftsgebühr, Anrechnung
Normen: RVG § 15a; RVG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die gemäß den §§ 165, 151 VwGO zulässige Erinnerung des Klägers hat keinen Erfolg. Die im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26.08.2009 vorgenommene anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der dortigen Begründung tritt das Gericht ausdrücklich bei und verweist des Weiteren auf den Beschluss des OLG Celle vom 26.08.2009 - 2 W 240/09 -, in dem zu § 15 a RVG Folgendes ausgeführt worden ist: [...]

a) Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass durch die Vorschrift des § 15 a RVG die Anrechnungsvorschrift in der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Teil 3 VVRVG keineswegs außer Kraft gesetzt worden ist. Der mit der Anrechnungsvorschrift gesetzgeberisch verfolgte Zweck, dass ein Rechtsanwalt, der in derselben Angelegenheit bereits einmal tätig geworden ist, nicht doppelt verdienen soll (vgl. BTDrucksache 15/1971 S. 209), hat weiterhin seine Gültigkeit und wird durch die Neuregelung in § 15 a RVG auch gar nicht in Frage gestellt.

b) Die Kläger übersehen, dass die Vorschriften des RVG - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - allein das Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant betreffen. Für dieses konkrete Innenverhältnis sieht die Vorbemerkung 3 Teil 3 VVRVG vor, dass eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist, wenn der Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit bereits vorgerichtlich tätig geworden ist. Dies allein ist - wie schon der Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts zeigt (vgl. BTDrucksache a.a.O.) - der Regelungsgehalt der Vorbemerkung 3 Teil 3 VVRVG. Durch die neue Regelung in § 15 a RVG hat sich für das Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant nichts geändert.

c) Weder der damaligen Gesetzesbegründung noch dem Wortlaut der Vorbemerkung lässt sich auch nur andeutungsweise entnehmen, dass der Gesetzgeber damals beabsichtigt hatte, auch eine abschließende Regelung darüber zu treffen, ob und inwieweit ein Prozessgegner sich im Rahmen der Kostenfestsetzung, also im Außenverhältnis zwischen dem Mandanten und dem Prozessgegner, darauf berufen kann, dass der Mandant keinem Anspruch seines Rechtsanwalts auf Zahlung einer vollen Geschäftsgebühr ausgesetzt ist. Die vom Oberlandesgericht Stuttgart (a.a.O.) und von Hansens (a.a.O.) vertretene Auffassung, die Gesetzesnovelle stelle lediglich eine Klarstellung des Gesetzgebers zu den bisherigen Anrechnungsregeln dar, ist bereits deshalb abzulehnen.

Da Gegenstand der Kostenfestsetzung gerade nicht ein Gebührenanspruch des Anwalts gegen den Prozessgegner, sondern ausschließlich der seiner Partei zustehende prozessuale Kostenerstattungsanspruch ist, kam es bisher für die Frage der Kostenfestsetzung allein darauf an, ob und in welchem Umfang der Mandant einem Zahlungsanspruch seines Prozessbevollmächtigten ausgesetzt war. Dies richtete sich u.a. nach den - auch jetzt noch - anwendbaren Vorschriften der Vorbemerkung 3 Teil 3 Abs. 4 VVRVG. Wenn daher der Mandant nicht verpflichtet war, seinem Rechtsanwalt eine volle Verfahrensgebühr zu entrichten, konnte er vom Gegner auch keine entsprechenden Kosten erstattet verlangen.

Der Gesetzgeber hat, weil diese - weiterhin gültige - Anrechnungsvorschrift der Vorbemerkung 3 Teil 3 Abs. 4 VVRVG nach seiner Auffassung zu unbefriedigenden Ergebnissen führte, indem sie den Auftraggeber benachteiligte (vgl. BTDrucksache 16/12717 S. 67), den neuen § 15 a Abs. 2 RVG eingefügt. Dadurch hat er eine Vorschrift geschaffen, die nunmehr erstmals auch regelt, wann sich ein Dritter, wie z.B. der Gegner im Kostenfestsetzungsverfahren, auf eine Anrechnungsvorschrift wie diejenige der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Teil 3 Abs. 4 VVRVG berufen kann. Er hat damit eine neue und nicht nur klarstellende gesetzliche Vorschrift geschaffen, welche allein für das Außenverhältnis zwischen den Parteien eines Rechtsstreits Gültigkeit beansprucht. So heißt es in der Gesetzesbegründung auch ausdrücklich, dass die vorgeschlagene Regelung in § 15 a RVG dem Ziel dient, den mit den Anrechnungsvorschriften verfolgten Gesetzeszweck zu wahren, zugleich aber unerwünschte Auswirkungen zu "vermeiden". Von einer "Klarstellung" ist in der Gesetzesbegründung weder in Bezug auf Abs. 1 noch auf Abs. 2 des § 15 a RVG die Rede. Der Begriff der Klarstellung wird nur in Bezug auf die in Abschnitt 8 des RVG aufzunehmende Regelung, welche Angaben der beigeordnete Anwalt bei der Berechnung seiner Vergütung zu machen hat, gesprochen (siehe BTDrucksache a.a.O. S. 68). Wie bereits ausgeführt, findet sich in der Gesetzesbegründung zur Vorbemerkung 3 Teil 3 VVRVG kein Wort, dass der Gesetzgeber damals auch die Frage der Anrechnung im Kostenfestsetzungsrecht zu klären beabsichtigte.

Vielmehr wird deutlich, dass der damalige Gesetzgeber diese Frage ersichtlich nicht bedacht hatte und sich erst jetzt - auf Initiative der Rechtsanwaltschaft - veranlasst gesehen hat, tätig zu werden.

d) In den Gesetzgebungsmaterialien zu § 15 a RVG findet sich auch kein Beleg dafür, dass der Gesetzgeber die vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung unter den Hinweis auf den eindeutigen Wortlaut vertretene Auslegung (vgl. BGH vom 22. Januar 2008, Az.: VIII ZB 57/07, Rdz. 7 = NJW 2008, 1323, 1324) der Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 VVRVG für unzutreffend hält. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung allein den Zweck verfolgt, die von ihm nicht bedachten Auswirkungen der Anrechnungsvorschriften zu korrigieren. Darin liegt eine in die Zukunft wirkende Gesetzesänderung i.S. von § 60 Abs. 1 RVG. Da nach der alten bis zum 4. August 2009 geltenden Fassung des RVG eine Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren zu erfolgen hatte, die nach neuem Recht nur in enumerativ genannten Fällen in Betracht kommt, liegt eine Änderung der Rechtslage und somit eine Gesetzesänderung i.S. von § 60 Abs. 1 RVG vor. Der Gesetzgeber hat zwar ausgeführt (BTDrucksache a.a.O. S. 67 f.), das Verständnis des Bundesgerichtshofs führe zu unbefriedigenden Ergebnissen, die Konsequenzen dieser Rechtsprechung liefen unmittelbar den Absichten zuwider, die der Gesetzgeber mit dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz verfolgt habe und mit der Regelung in § 15 a RVG solle der verfolgte Gesetzeszweck gewahrt werden. Darin liegt jedoch keine bloße "Klarstellung", sondern lediglich die Begründung dafür, weshalb die erst beim Vollzug der bisherigen gesetzlichen Regelung zu Tage getretenen Unzulänglichkeiten eine Änderung des Gesetzes erfordern.

Für den Willen des Gesetzgebers kommt es überdies allein auf den Inhalt der parlamentarischen Gesetzgebungsmaterialien und nicht auf die Verlautbarung der Bundesministerin der Justiz in deren Pressemitteilung vom 5. August 2009 an, auf die das Oberlandesgericht Stuttgart zur Begründung seiner abweichenden Ansicht allein Bezug genommen hat. Unabhängig davon ergibt sich auch aus dieser Presseerklärung gerade nicht, dass es sich bei der gesetzlichen Neuregelung lediglich um eine Klarstellung handeln könnte. Vielmehr wird in dieser Presseerklärung ausdrücklich betont, dass mit dem § 15 a RVG eine "bedeutsame Änderung des anwaltlichen Vergütungsrechts in Kraft getreten" (Unterstreichung durch den Senat) sei.

e) Die gegenteilige Auffassung einer gesetzgeberischen "Klarstellung" vermag zudem auch deshalb nicht zu überzeugen, weil eine ungeprüfte Anwendung des § 15 a Abs. 2 RVG auf in der Vergangenheit liegende Tatbestände eine (unechte) Rückwirkung bedeuten würde, der aber gerade die Regelung des § 60 Abs. 1 RVG entgegensteht. Eine mit Einführung des § 15 a RGV geschaffene Regelung, die deutlich macht, dass § 60 Abs. 1 RVG keine Gültigkeit haben soll, existiert nicht. Eine Rückwirkung entgegen § 60 Abs. 1 RVG würde daher einen klaren Gesetzesverstoß darstellen.

Ungeachtet dessen würde sich im Falle einer unechten Rückwirkung auch die Frage stellen, wie weit diese Rückwirkung auf Tatbestände vor ihrem Inkrafttreten reicht. Zu klären wäre etwa, ob in allen Fällen, in denen ein Anwalt unter Beachtung der zur Anrechnungsregelung ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung die Festsetzung einer verminderten Verfahrensgebühr beantragt hat, die Nachfestsetzung möglich sein soll, und ob im Falle der erfolgten Kürzung der Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsbeschluss nur diejenigen Parteien von der Neuregelung profitieren sollen, deren Rechtsmittel gegen eine derartige Kürzung noch nicht rechtskräftig beschieden worden ist. Es erscheint abwegig, dass der Gesetzgeber mit seiner Gesetzesänderung derart folgenreiche Auswirkungen beabsichtigt haben könnte, obgleich er trotz der ihm bekannten abweichenden Regelung in § 60 Abs. 1 RVG in der Gesetzesbegründung hierzu nichts erwähnt.

f) Im Übrigen teilt der Senat schon nicht die Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart (a.a.O.), dass § 60 Abs. 1 RVG keine Anwendung finde, wenn neue Vorschriften lediglich zur Klarstellung des Gesetzes neu in den Gesetzestext eingefügt werden. Für den Begriff der Gesetzesänderung ist aus Gründen der Rechtssicherheit an formale Kriterien anzuknüpfen. Eine Gesetzesänderung liegt bereits dann vor, wenn der Text eines Gesetzes geändert oder neue Vorschriften eingefügt werden.