VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 31.08.2009 - 5 K 7406/08.A - asyl.net: M16062
https://www.asyl.net/rsdb/M16062
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen drohender Todesstrafe im Iran nach Konversion zum Christentum; § 28 Abs. 2 AsylVfG steht der Flüchtlingsanerkennung nicht entgegen, wenn der Asylbewerber gute Gründe dafür anführt, dass er den Nachfluchtgrund nicht deshalb geschaffen hat, um zu einem dauerhaften Aufenthalt zu gelangen (hier: ernsthafte Konversion).

Schlagwörter: Iran, religiös motivierte Verfolgung, Religion, Christen, Apostasie, Konversion, Strafrecht, Todesstrafe, Hadd-Strafe, Rückwirkung, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, atypischer Ausnahmefall
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2; AsylVfG § 71 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Soweit es um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geht, ist der angefochtene Bescheid des Bundesamtes indes rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO). Denn der Kläger hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Dem Kläger steht wegen seiner Konversion vom muslimischen zum christlichen Glauben ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu. [...]

Stellt ein Herkunftsstaat schon eine bestimmte private religiöse Betätigung oder Meinungsäußerung als solche diskriminierend, d.h. abweichend von seiner Haltung gegenüber anderen Glaubensüberzeugungen, unter Strafe, so ist bei Anwendung dieser Maßstäbe der Ausländer, der sich entsprechend seiner diskriminierten Glaubensüberzeugung bei Rückkehr in diesen Staat religiös betätigen will, von politischer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG bedroht.

So liegt der Fall hier. Ein Konvertit, der vom muslimischen Glauben abfällt, muss nämlich künftig im Iran ernstlich mit schwerer politischer Verfolgung wegen seiner Religion im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG rechnen. Denn nach dem Bericht der Deutschen Botschaft in Teheran vom 6. Oktober 2008 ist am 9. September 2008 in das iranische Parlament ein Gesetzentwurf der Regierung zur Änderung des iranischen Strafgesetzbuches (iStGB-Entwurf) eingebracht und an die Ausschüsse zur Beratung weitergeleitet worden, der erstmals die Kodifizierung des Straftatbestandes der "Apostasie" (Abfall vom (muslimischen) Glauben) im staatlichen Gesetzbuch mit dem Strafmaß der Todesstrafe vorsieht; für Frauen ist eine Höchststrafe von 10 Jahren Haft vorgesehen. Die Apostasie könnte bei Inkrafttreten der Strafbestimmungen als "Hadd"-Delikt, d.h. als - im Sinne des iranisch-muslimischen Rechtsverständnisses - "Verstoß gegen göttliches Recht" auch rückwirkend bestraft werden. Nach Einschätzung der Botschaft ist angesichts der Zusammensetzung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane nicht zu erwarten, dass der Entwurf im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens im Sinne der Menschenrechte "verbessert" werden könnte. Es ist daher mit der Verabschiedung der neuen Strafvorschriften zur Apostasie ernstlich zu rechnen. Mit Blick auf die rückwirkende Geltung eines solchen Gesetzes, mit dessen Inkrafttreten in absehbarer Zeit ernstlich gerechnet werden muss, und die Schwere der Strafdrohung, ist ein Konvertit, dem die Rückkehr in den Iran angesonnen wird, schon jetzt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer politischen Verfolgung wegen seiner religiösen Überzeugungen ausgesetzt.

Auch der nach den im Asylerstverfahren getroffenen Feststellungen unverfolgt ausgereiste Kläger muss bei Rückkehr in den Iran mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit mit einer solchen Verfolgung rechnen.

Nach Art. 225 - 1 iStGB-Entwurf ist Apostat jeder Muslim, der eindeutig verkündet, dass er oder sie den Islam verlassen hat und sich zum Unglauben bekennt. Allerdings sieht Art. 225 - 2 iStGB-Entwurf vor, dass ein Beschuldigter u.a. dann nicht als Apostat eingeschätzt wird, wenn er behauptet, dass seine eigentliche Intention etwas anderes gewesen ist (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft in Teheran vom 6. Oktober 2008).

Das bedeutet, dass Personen, die nicht ernsthaft, sondern zum Schein "konvertieren", um ihre Aussichten auf den Erwerb einer sonst nicht erlangbaren Aufenthaltsmöglichkeit im Ausland asyltaktisch zu verbessern, sich auf diese Regelung berufen können und wegen ihrer "eigentlichen", nicht auf den Abfall vom muslimischen Glauben gerichteten Intention bei der "Scheinkonversion" nicht mit einer Verurteilung als Apostat rechnen müssen. Denn die Berücksichtigung asyltaktischer Handlungsweisen bei der Bewertung des Verhaltens ihrer Staatsbürger im westlichen Ausland ist den iranischen Behörden nicht fremd (vgl. in diesem Sinne für die entsprechende Bewertung etwa einer Asylantragstellung durch iranische Stellen: Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Aachen vom 31. März 2005 (Az.: 508-516.80/43432), oder exilpolitischer Aktivitäten: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. Juli 2007 (S. 26)).

Nach Überzeugung des Gerichtes ist der Kläger allerdings ein ernsthafter Apostat in dem soeben angesprochenen Sinne, so dass ihr seiner Rückkehr in den Iran eine Bestrafung nach den im Entstehen begriffenen Normen des iStGB droht. Denn ihm kann als überzeugtem Christen nach den Schutzintentionen des § 60 Abs. 1 AufenthG für den Fall der Rückkehr in den Iran nicht angesonnen werden, unter Verleugnung seines neuen Glaubens vorzugeben, er habe den Glaubenswechsel nicht ernstlich vollzogen.

Für eine wirkliche Abkehr des Klägers vom muslimischen Glauben und für eine Hinwendung zum christlichen Glauben, d.h. für ein ernsthaftes "Bekenntnis zum Unglauben" im Sinne des Art 225 1 iStGB Entwurf, für das Vorliegen einer christlichen Glaubensüberzeugung und gegen einen nur asylverfahrenstaktischen Einsatz der Taufe sprechen folgende Gründe:

Der Kläger hat sich in der umfassenden Befragung der mündlichen Verhandlung zu den Gründen und Auslösern der Hinwendung zum christlichen Glauben, zu den Inhalten des christlichen Glaubens und vor allem zu der Bedeutung des christlichen Glaubens für ihn selbst und sein Leben frei, ausführlich, detailliert, plastisch und mit nachvollziehbarer emotionaler Beteiligung eingelassen. Er hat dem Gericht dadurch die Überzeugung zu vermitteln vermocht, dass er eine ernste und dauerhafte Glaubensentscheidung getroffen hat, als er Christ wurde.

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist auch nicht nach § 28 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift kann im Folgeverfahren die Flüchtlingseigenschaft in der Regel nicht zuerkannt werden, wenn sich der Schutzsuchende auf Umstände stützt, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Asylantrags selbst geschaffen hat. Der Gesetzgeber hat in dieser Regelung Nachfluchtgründe, die nach Abschluss des ersten Asylverfahrens von dem Betreffenden selbst geschaffen wurden, unter Missbrauchsverdacht gestellt. Dabei handelt es sich um eine Regelvermutung, die widerlegt werden kann. Es ist Sache des Asylbewerbers gute Gründe dafür anzuführen, dass er die neuen Nachfluchtgründe nicht deshalb geschaffen hat, um damit zu einem dauerhaften Aufenthalt zu gelangen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2008 - 10 C 27.07 -).

Solche Gründe hat der Kläger dargetan. Er hat in der mündlichen Verhandlung vom 31. August 2009 plausibel und nachvollziehbar den Weg seiner Überzeugungsfindung dargestellt, der bereits vor seinem ersten Asylverfahren begann. [...]