VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 27.08.2009 - 8 K 2510/08.A - asyl.net: M16064
https://www.asyl.net/rsdb/M16064
Leitsatz:

Rückkehrer ohne familiäre oder soziale Bindungen in Angola sowie alleinstehende und alleinerziehende Frauen sind einer extremen allgemeinen Gefahrenlage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG ausgesetzt.

 

Schlagwörter: Angola, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Situation bei Rückkehr, alleinstehende Frauen, Versorgungslage, Familienangehörige, soziale Bindungen, alleinstehende Personen, alleinerziehende Frauen, Kleinkinder
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Rückkehrer ohne familiäre oder soziale Bindungen in Angola sowie alleinstehende und alleinerziehende Frauen sind einer extremen allgemeinen Gefahrenlage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG ausgesetzt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die als Untätigkeitsklage erhobene Klage ist zulässig und hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. [...]

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind in der Person der Klägerin erfüllt. [...]

Schutz vor Abschiebung ist in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG - und damit über den nach Satz 3 der Vorschrift begrenzten Anwendungsbereich hinaus - zu gewähren. Die Klägerin wäre im Falle ihrer Abschiebung nach Angola auf Grund der dort herrschenden allgemeinen Lebensbedingungen (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG) derzeit mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefährdungslage ausgesetzt. Nach übereinstimmender Auskunftslage ist zurzeit ein Überleben in Angola jedenfalls in der Regel nur zu sichern, wenn der Rückkehrer auf familiäre oder soziale Bindungen zurückgreifen kann (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 26. Juni 2007; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update Juli 2006 zu Angola, www.fluechtlingshilfe.ch; amnesty international an VG Wiesbaden vom 22. Juni 2009).

Die Klägerin könnte im Falle ihrer Rückkehr nach Angola nicht mit der für ihr Überleben notwendigen Unterstützung aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis rechnen. Sie hat in Angola niemanden, auf den sie zurückgreifen könnte. Sie verfügt dort über kein soziales Netz mehr, in dem sie aufgefangen werden könnte. Sie hat vor ihrer Einreise nach Deutschland nach ihren insoweit glaubhaften Angaben nicht in Angola, sondern mindestens vier Jahre in der Demokratischen Republik Kongo gelebt. Sie hält sich zudem seit knapp zwei Jahren in der Bundesrepublik Deutschland auf, so dass sie seit fast sechs Jahren keine Kontakte mehr zu ihrem Heimatland hat und dementsprechend aktuell nicht über soziale Bindungen in Angola verfügt. Sie hat auch keine Beziehungen mehr zu ihrer Herkunftsfamilie. Der Verbleib ihrer Mutter und ihrer beiden weiteren Kinder ist ihr nicht bekannt; zu ihnen besteht seit einigen Jahren kein Kontakt mehr. Ihr Vater ist verstorben. Weitere Verwandte hat sie in Angola nicht.

Es tritt noch ein weiterer Umstand hinzu, der es rechtfertigt, die Klägerin zu dem Kreis der besonders schutzbedürftigen Personen zuzurechnen, deren Abschiebung nach Angola derzeit unzulässig ist. Sie würde - jedenfalls zurzeit - als alleinstehende Frau (mit Kleinkind) nach Angola abgeschoben. Es ist nicht wahrscheinlich, dass es ihr gelingen könnte, für sich (und ihr Kleinkind) für den notwendigen Lebensunterhalt zu sorgen. Denn insbesondere für alleinstehende Frauen ist die Lebenssituation in Angola schwierig; sie werden nicht akzeptiert und können sich nur unter extremen Bedingungen eine Lebensgrundlage schaffen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O. und amnesty international a.a.O.). [...]