Anspruch auf Streichung einer Wohnsitzauflage bei Risikoschwangerschaft; Zustimmung der Ausländerbehörde des Zuzugsorts ist entgegen der niedersächsischen Weisungslage nicht erforderlich.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Den danach vorausgesetzten Anordnungsanspruch hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht. Es spricht Überwiegendes dafür, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf die beantragte Aufhebung der Wohnsitzauflage hat. Dafür sind folgende Überlegungen maßgeblich:
Wohnsitzauflagen können Aufenthaltstiteln als Auflagen gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 AufenthG im Wege einer Ermessensentscheidung in Form einer räumlichen Beschränkung (§ 12 Abs. 2 S. 2 AufentG) beigegeben werden. Diese sind anfechtbar (BVerwG, Urt. v. 19.03.1996 - 1 C 34.93 -, DVBl 1997, 165).
Allerdings ist die Wohnsitzauflage, die der Antragstellerin zusammen mit der Fiktionsbescheinigung vom 08. September 2005 erteilt worden ist, bestandskräftig geworden, weil die Antragstellerin sie nicht angefochten hat und die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO inzwischen abgelaufen ist. Der Antrag der Antragstellerin auf Aufhebung der Wohnsitzauflage vom 08. Januar 2009 stellt sich demnach als Antrag auf Rücknahme der Wohnsitzauflage nach § 48 Abs. 1 VwVfG (i.V.m. § 1 Nds. VwVfG) oder aber auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 VwVfG dar. Im letzteren Fall liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Wiederaufgreifen wohl vor. Denn die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, schwanger zu sein - laut des von der Antragstellerin zum Verwaltungsvorgang gereichten serologischen Berichts der Drs. ... vom 26. Januar 2009 ist der Geburtstermin auf den 21. September 2009 berechnet -, und deswegen in Konflikt mit ihren im Gebiet der Antragsgegnerin wohnenden Eltern und Geschwistern geraten zu sein; weiter hat sie durch Vorlage der Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft mit Zustimmungserklärung vor Geburt des Kindes, die durch die Urkundsperson des Jugendamtes des Beigeladenen am 14. August 2009 errichtet worden ist, glaubhaft gemacht, dass der im Gebiet des Beigeladenen wohnende Herr ... der Vater ihres ungeborenen Kindes ist; schließlich ist durch Vorlage der ärztlichen Bescheinigung der Frauenärztinnen ... und ... glaubhaft gemacht, dass eine Risikoschwangerschaft mit vorzeitigen Wehen gegeben und ein Zusammenwohnen der Antragstellerin mit dem Kindsvater medizinisch geboten ist. [...]
Aufgrund der - wie ausgeführt - glaubhaft gemachten Risikoschwangerschaft, die ein Zusammenwohnen mit dem Kindsvater medizinisch geboten erscheinen lässt, und des Umstandes, dass der Vater des ungeborenen Kindes als Geduldeter durch Wohnsitzauflage an einen Ort im Gebiet des Beigeladenen gebunden ist, und im Hinblick darauf, dass - wie die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung eingeräumt hat - wegen des Konflikts der Antragstellerin mit ihren Eltern und Geschwistern ein Familienleben der Antragstellerin mit dem Kindsvater im Gebiet der Antragsgegnerin nicht in Betracht kommen dürfte, hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass derzeit der Schutz der Gesundheit der Antragstellerin und des ungeborenen Kindes ein Zusammenleben mit dem Kindsvater an dessen Wohnort geboten erscheinen lässt. Das Gewicht dieses Schutzanspruchs dürfte den Gesichtspunkt einer gleichmäßigen Verteilung der durch die Gewährung von Sozialleistungen entstehenden Lasten vorliegend derzeit überwiegen. Die Antragstellerin hat aufgrund der geschilderten speziellen Lebenssituation ein gewichtiges Interesse i.S.d. Ziffer 12.2.1.4.3 der Nds. Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz (Nds. VV zum AufenthG) glaubhaft gemacht, außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Antragsgegnerin zu wohnen.
Andere Bestimmungen der Nds. Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz stehen der Aufhebung der Wohnsitzauflage nicht entgegen. Soweit sich die Antragsgegnerin auf die darin enthaltenen Vorgaben zu § 61 AufenthG beruft, können diese bereits deshalb greifen, weil die Antragstellerin nicht ausreisepflichtig ist.
Allerdings regelt die Ziffer 12.2.3.2 Nds. W zum AufenthG, dass eine Streichung oder Änderung der wohnsitzbeschränkenden Auflage zur Ermöglichung eines länderübergreifenden Wohnortwechsels der vorherigen Zustimmung durch die Ausländerbehörde des Zuzugsortes bedarf. Dies ist jedoch vorliegend unbeachtlich. Dabei bestehen bereits Bedenken dagegen, dass in einer Verwaltungsvorschrift eines Bundeslandes, der einen länderübergreifenden Wohnortwechsel regelt, Voraussetzungen für eine Zustimmung geregelt werden, bei deren Vorliegen die Behörde eines anderen Bundeslandes die erforderliche Zustimmung zu erteilen hat. Das dürfte mit der föderalen Kompetenzordnung nicht in Einklang zu bringen sein. Nicht mit den rechtlichen Anforderungen an eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift ist es aber jedenfalls zu vereinbaren, wenn die Entscheidung über die Aufhebung der räumlichen Beschränkung an die Zustimmung der Behörde eines anderen Bundeslandes gebunden wird, die begehrte Aufhebung aber versagt werden muss, ohne dass die Ausländerbehörde noch Ermessenserwägungen im Einzelfall anstellen darf, wenn die "erforderliche" Zustimmung versagt wird (vgl. VG Kassel, Beschl. v. 20.03.2009 - 4 L 203/09.KS -, juris, unter Hinweis auf Hess. VGH, Beschl. v. 09.06.2008 - 9 D 994/08 -). Vielmehr erfordert die gesetzliche Regelung in § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eine Ermessensentscheidung im Einzelfall unter Einbeziehung der individuellen Gründe des Ausländers (vgl. VG Hannover, Urt. v. 12.05.2009 - 7 A 3414/08 -, V.n.b.).
Aus all dem ergibt sich, dass derzeit keine Gesichtspunkte in Betracht kommen, die eine ermessensfehlerfreie Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Wohnsitzauflage rechtfertigen könnten.
Die Antragstellerin hat durch die Vorlage der frauenärztlichen Bescheinigung auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Da die Antragsgegnerin sich wegen der nach wie vor fehlenden Zustimmung des Beigeladenen an einer Entscheidung über den bereits am 08. Januar 2009 eingereichten Antrag gehindert sieht und im übrigen bereits eine ablehnende Entscheidung in Aussicht gestellt hat, ist Eilbedürftigkeit gegeben. [...]