VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Beschluss vom 14.09.2009 - 3 B 2350/09 - asyl.net: M16114
https://www.asyl.net/rsdb/M16114
Leitsatz:

In einem Asylfolgeverfahren besteht die aufschiebende Wirkung fort, wenn im Erstverfahren das Gericht die Abschiebungsandrohung nicht aufgehoben hatte.

Schlagwörter: vorläufiger Rechtsschutz, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung, Asylfolgeantrag, Suspensiveffekt, Syrien, staatenlos, Kurden
Normen: VwGO § 80 Abs. 5, AsylVfG § 75 S. 1, AsylVfG § 38 Abs. 1, AsylVfG § 29, AsylVfG § 30
Auszüge:

[...]

Gemäß § 75 Satz 1 AsylVfG haben Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz - vorbehaltlich der (hier nicht einschlägigen) Bestimmung des § 75 Satz 2 AsylVfG - u.a. in den Fällen des § 38 Abs. 1 AsylVfG aufschiebende Wirkung. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Das Bundesamt hatte mit Bescheid vom 18. Juni 2001 den Asylantrag des Antragstellers, bei dem es sich nicht um einen unbeachtlichen Asylantrag gemäß § 29 AsylVfG gehandelt hat, als "schlicht" unbegründet, also nicht gemäß § 30 AsylVfG als "offensichtlich unbegründet", abgelehnt. In solchen Fällen einer "sonstigen Ablehnung", d.h. einer nicht nach §§ 29 oder 30 AsyIVfG erfolgenden Ablehnung, richtet sich die mit der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (§ 34 AsylVfG) zu setzende Ausreisefrist nach § 38 Abs. 1 AsylVfG. Danach beträgt die Ausreisefrist einen Monat (§ 38 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Dem entspricht auch der Tenor des angefochtenen Bescheides.

Allerdings war der Antragsteller bereits mit dem Bescheid des Bundesamtes vom 18. Juni 2001 gemäß §§ 38 Abs. 1 i.V.m. 34 AsylVfG unter Androhung der Abschiebung zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieser Entscheidung aufgefordert worden (Ziffer 4 der dortigen Entscheidung). Einer erneuten Abschiebungsandrohung dieses Inhaltes, wie sie mit dem jetzigen Bescheid vom 12. August 2009 erfolgt ist, hätte es daher gar nicht bedurft. Insbesondere war zum einen die frühere Abschiebungsandrohung durch das seinerzeitige Urteil des erkennenden Gerichts vom 6. November 2002 (11 A 2162/01) nicht aufgehoben worden. Zum anderen war sie insoweit, als darin Syrien als Abschiebezielstaat bezeichnet worden war, auch nicht etwa deshalb rechtlich gegenstandslos, also unwirksam (vgl. § 43 VwVfG), weil nach seinerzeitigem Sachstand einer Abschiebung des Antragstellers nach Syrien auf unabsehbare Zeit ein Wiedereinreiseverbot entgegenstand. Diese Annahme könnte zwar durch die Gründe des genannten Urteils nahegelegt worden sein, soweit es dort heißt, die Abschiebungsandrohung sei hinsichtlich der Bezeichnung Syriens als Abschiebezielstaat "faktisch gegenstandslos". Dieser Hinweis wäre indessen, sollte es tatsächlich die Absicht des Gerichts gewesen sein festzustellen, die Abschiebungsandrohung sei unwirksam, nicht zutreffend gewesen. Dies folgt aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, das in seinem Urteil vom 10. Juli 2003 (- 1 C 21.02 -, BVerwGE 118, 308 ff. = InfAuslR 2004, 43 ff.) zunächst ausgeführt hat, das Bundesamt sei auch in Fällen, in denen aus tatsächlichen Gründen wenig oder keine Aussicht bestehe, den Ausländer in absehbarer Zeit abschieben zu können, ermächtigt und regelmäßig gehalten, eine "Vorratsentscheidung" zu § 53 und in der Abschiebungsandrohung zu treffen, um sodann aber mit Blick auf die (damalige) Wiedereinreiseverweigerung Syriens gegenüber von dorther ausgereisten Staatenlosen hervorzuheben: "Unter diesen Umständen wäre es weder verfahrensökonomisch noch entspräche es dem Ziel einer auf alsbaldige Durchsetzung der Ausreisepflicht gerichteten Abschiebungsandrohung, wenn das Gericht gleichwohl gezwungen wäre, das Gerichtsverfahren zur Klärung der praktisch bedeutungslosen, rein theoretischen Frage fortzuführen, ob einer auf unabsehbare Zeit undurchführbaren Abschiebung des Ausländers in den betreffenden Zielstaat zwingende Hindernisse im Sinne des § 53 AuslG entgegenstehen. Bei einer derartigen Verfahrenskonstellation kann das Gericht diese Prüfung durchführen und ggf. die Rechtmäßigkeit der negativen Entscheidung des Bundesamtes zu § 53 AuslG sowie der dann unbedenklichen Abschiebungsandrohung feststellen. Es darf aber auch die Abschiebungsandrohung hinsichtlich eines bestimmten Zielstaats als rechtswidrig aufheben, wenn - wie hier - aufgrund der Prüfung des Asylbegehrens zweifelsfrei feststeht, dass eine Androhung auf Vorrat den vom Gesetzgeber verfolgten Ermächtigungszweck ausnahmsweise verfehlt, weil eine zwangsweise Abschiebung und eine freiwillige Rückkehr in diesen Staat praktisch auf unabsehbarere Zeit unmöglich erschienen." Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes in dem Bescheid vom 18. Juni 2001 nach damaliger Sach- und Rechtslage (allenfalls) rechtswidrig, jedenfalls aber nicht unwirksam gewesen ist und somit - weil auch durch das Urteil vom 6. November 2002 nicht aufgehoben - fortbestanden hat.

Dies bedeutet indessen nicht, dass nunmehr, mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 12. August 2009, eine weitere, zu der bestandskräftig gewordenen früheren noch hinzugetretene Abschiebungsandrohung vorläge. Vielmehr handelt es sich bei dem Bescheid vom 12. August 2009 um einen sog. Zweitbescheid, durch den die Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 18. Juni 2001 - wenn auch ohne erkennbaren rechtlichen Grund - ersetzt worden ist, d.h. die frühere Abschiebungsandrohung ist durch den Bescheid vom 12. August 2009 bei gleichzeitigem Erlass einer neuen Abschiebungsandrohung aufgehoben worden. Ob diese Vorgehensweise des Bundesamtes mit § 34 Abs. 2 AsylVfG in Einklang steht, ist zweifelhaft, kann im Ergebnis jedoch dahingestellt bleiben. Nach § 34 Abs. 2 AsylVfG soll eine Abschiebungsandrohung mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Dies bedeutet zwar im Umkehrschluss, dass ein von der Entscheidung über den Asylantrag (hier durch Bescheid vom 18. Juni 2001) losgelöster, späterer Erlass der Abschiebungsandrohung zumindest in Ausnahmefällen möglich bleibt. Gegen die Annahme, dass eine solche, vom Gesetzgeber also grundsätzlich für zulässig gehaltene Ausnahme hier gegeben war, bestehen jedoch zumindest Bedenken. Hierauf kommt es aber letztlich nicht an, weil der Antragsteller durch die Ersetzung der alten durch eine neue Abschiebungsandrohung im Ergebnis nicht beschwert, sondern vielmehr sogar insofern bessergestellt worden ist, als damit insoweit der an sich durch den Eintritt der Rechtskraft des Urteils des erkennenden Gerichtes vom 6. November 2002 bereits erschöpfte Rechtsweg erneut eröffnet wird.

Ergänzend weist das Gericht noch darauf hin, dass entgegen dem dahingehenden Hinweis in der Begründung des angefochtenen Bescheides hier auch nicht etwa ein Fall des § 39 Abs. 1 AsylVfG (was allerdings gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG eine aufschiebende Wirkung der Klage ausschlösse und damit den vorliegenden Antrag statthaft erscheinen ließe) gegeben ist. § 39 Abs. 1 AsylVfG regelt nur den späteren Erlass einer Abschiebungsandrohung in denjenigen Fällen, in denen eine frühere Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem gerichtlichen Verfahren aufgehoben worden war. Im Falle des Antragstellers ist indessen nicht etwa eine frühere An- oder Zuerkennungsentscheidung des Bundesamtes, sondern vielmehr eine von ihm - dem Bundesamt - schon erlassene - die mit dem Ablehnungsbescheid (Ablehnung des Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigter und Flüchtling sowie auf Feststellung von Abschiebungshindernissen durch Bescheid vom 18. Juni 2001) verbunden gewesene - Abschiebungsandrohung (soweit sie den Abschiebungszielstaat Syrien betraf) aufgehoben worden, dies zudem nicht durch gerichtliche Entscheidung, sondern durch den Erlass des Zweitbescheides vom 18. Juni 2001, also durch das Bundesamt selbst. Für eine analoge Anwendung des § 39 Abs. 1 AsylVfG in einem solchen Falle ist weder Raum noch Anlass gegeben.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist nach alledem nicht statthaft. [...]