VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 20.10.2009 - A 3 K 2399/09 [= ASYLMAGAZIN 12/2009, S. 29 f.] - asyl.net: M16156
https://www.asyl.net/rsdb/M16156
Leitsatz:

Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen einen Dublin-Bescheid nach erfolgter Überstellung (Abschiebung) nach Griechenland, weshalb unverzüglich die Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu ermöglichen ist.

Schlagwörter: Dublinverfahren, Dublin II-VO, Griechenland, vorläufiger Rechtsschutz, Folgenbeseitigungsanspruch,
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AsylVfG § 36 Abs. 3; AsylVfG § 27a; AsylVfG § 34a Abs. 2;
Auszüge:

[Anmerkung der Redaktion: Ein Abänderungsantrag des BAMF gegen diesen Beschluss lehnte das VG Karlsruhe mit Beschluss vom 3.12.09 (A 3 K 3199/09) ab.]

[...]

Am 26. März 2009 richtete die Antragsgegnerin an Griechenland ein unbeantwortet gebliebenes Rückübernahmeersuchen und gab formularmäßig an, dass der Antragsteller erklärt habe, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen zu haben. Mit Schreiben seiner Rechtsanwältin vom 5. Juni 2009 legte der Antragsteller einen am 23. April 2008 - nach seinen Angaben ihm persönlich im Irak ausgestellten - irakischen Personalausweis mit der Nummer ... vor. Unter dem 17. August 2009 entschied das Bundesamt, dass der vom Antragsteller gestellte Asylantrag unzulässig sei, und ordnete die Abschiebung nach Griechenland an. In den Gründen des Bescheides wurde maßgeblich darauf abgestellt, dass der vorgelegte Personalausweis eine Totalfälschung sei und somit den Nachweis einer Rückkehr in den Irak nicht erbringen könne. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 7. September 2009, dem Tage seiner Abschiebung auf dem Luftwege nach Athen, ausgehändigt. Demgegenüber ist in einem Vermerk "über die durchgeführte Voruntersuchung" der vom Antragsteller vorgelegten ID-Karte durch Ankreuzen festgehalten, dass das Dokument unbewertet blieb. Der Vermerk wurde weiter mit dem Zusatz versehen: "Sofern die Überstellung an den Aufnahmestaat nicht erfolgreich durchgeführt wird, muss das Dokument in einem Urkundenlabor abschließend auf Echtheit untersucht werden." [...]

Des Weiteren ist das Gericht nicht durch die Bestimmung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG an einer Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gehindert. Denn vorliegend ist in tatsächlicher Hinsicht streitig, ob der Antragsteller über Griechenland in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Der Ausschluss vorläufigen Rechtsschutzes durch Art. 16 a Abs. 2 Satz 3, § 34 a Abs. 2 AsylVfG greift aber nur, soweit ein die Asylzuständigkeit i.S. von § 27 a AsylVfG begründender Voraufenthalt in einem EU-Mitgliedsstaat feststeht. Wird dies vom Asylsuchenden substantiiert in Frage gestellt, darf ihm jedenfalls insoweit die Inanspruchnahme von Eilrechtsschutz nicht abgeschnitten sein (Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 34a RdNrn 65 f.; Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, § 34 a AsylVfG RdNr. 9; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 u.a. -, BVerfGE 94, 49 = EuGRZ 1996, 237 = NJW 1996, 1665 = DVBl 1996, 753 = NVwZ 1996, 700, VI C I, juris RdNm. 153 f.).

Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg. Das Gericht hat ernstliche Zweifel (vgl. §§ 36 Abs. 4 S. 1 i.V. mit 71 Abs. 4 AsylVfG) an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides und hält es daher für geboten, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers anzuordnen, soweit diese sich gegen die unter Nr. 2 des angefochtenen Bescheids verfügten Abschiebungsanordnung richtet.

Die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung ergeben sich für das Gericht daraus, dass der Antragsteller substantiiert vorgetragen hat, er sei nach einem Aufenthalt in Griechenland Ende 2007 in den Irak zurückgekehrt, habe sich dort am 23. April 2008 einen Personalausweis ausstellen lassen, und sei dann im Januar 2009 erneut ausgereist. Hierzu hat er im Klageverfahren noch eine Eidesstattliche Erklärung des seit September 2008 in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Zeugen ... von 21. September 2009 vorgelegt, in welcher bezeugt wird, dass sich der Antragsteller im Jahre 2008 in .../Mosul aufgehalten habe. Diesem Vorbringen hat die Antragsgegnerin zwar in den Gründen ihres Bescheides entgegengehalten, dass der vom Antragsteller vorgelegte Ausweis eine Totalfälschung sei. Diese tatsächliche Annahme findet in den dem Gericht in Kopie vorgelegten Akten allerdings keine Stütze; vielmehr wurde in einem Vermerk vom 12. August 2009 festgehalten, dass das Dokument nicht bewertet wurde. Hierauf ist in der Antragsbegründung maßgeblich abgestellt worden; außerdem wurde die o.g. eidesstattliche Erklärung vorgelegt. Die Antragsgegnerin hat auf beide substantiierten Einwendungen - trotz erneuter Aufforderung am 15. Oktober 2009 - nicht substantiiert erwidert. Damit geht das Gericht jedenfalls für das vorliegende Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO davon aus, dass eine Zuständigkeit von Griechenland für das vom Antragsteller betriebene Asylverfahren nicht begründbar und daher die Bundesrepublik Deutschland in Anwendung von Art. 13 VO (EG) 343/2003 zur Entscheidung über das Asylbegehren des Antragstellers berufen ist.

Das Gericht hält es schließlich gestützt auf § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO im vorliegenden Fall für geboten, die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen und der Antragsgegnerin aufzuerlegen, die Folgen der am 7. September 2009 erfolgten Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland wieder rückgängig zu machen, indem sie ihm unter Übernahme der Kosten die Wiedereinreise ermöglicht. Denn sie war für die von ihr veranlasste Abschiebung verantwortlich, nachdem sie die Abschiebungsanordnung erlassen und dem mit der Abschiebung befassten Regierungspräsidium Karlsruhe mitgeteilt hatte. Zwar wurde die Abschiebung damit von einer Behörde des am Verfahren nicht beteiligten Landes Baden-Württemberg durchgeführt. Abschiebungen abgelehnter und ausreisepflichtiger Asylbewerber durch die Vollzugsbehörde des Landes erfolgen jedoch aufgrund zwingenden Rechts, ohne dass eine Prüfungskompetenz in Bezug auf das Vorliegen von Abschiebungshindernissen gegeben wäre; nur wegen der Art und Weise und des Zeitpunktes von Abschiebungen steht den Abschiebebehörden ein Ermessen zur Seite (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 16. Dezember 1993 - A 13 S 2115/93; Beschl. d. erk. Gerichts v. 28. Januar 1994 - A 12 K 10262/94 -). Somit fällt die auf Veranlassung der Antragsgegnerin erfolgte Abschiebung in deren Verantwortungsbereich. Die Antragsgegnerin ist auch rechtlich in der Lage, dem Antragsteller die Wiedereinreise zu ermöglichen, ohne dass es hierzu der Mitwirkung von Behörden des Landes bedürfte, denn die hierbei zu beteiligenden Stellen (Botschaft in Athen, Bundesgrenzschutzdirektion, Bundesverwaltungsamt für das Ausländerzentralregister) sind sämtlich Behörden des Bundes und damit der Antragsgegnerin. [...]