VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 30.09.2009 - A 3 K 310/09 - asyl.net: M16213
https://www.asyl.net/rsdb/M16213
Leitsatz:

Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, da für Kleinkinder und alleinerziehende Mütter ohne familiären Rückhalt in der Demokratischen Republik Kongo eine extreme Gefährdungslage anzunehmen ist.

Schlagwörter: Zustellung, Postzustellungsurkunde, Klagefrist, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Kleinkind, extreme Gefahrenlage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, ZPO § 178 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Kleinkinder im Alter der Klägerin, die in Deutschland geboren sind, geraten, wenn ihre Ausreise in die Demokratische Republik Kongo gemeinsam mit Familienangehörigen erzwungen wird, - auch in der Hauptstadt Kinshasa - in Lebensgefahr. Bei Kindern bis zu fünf Jahren ist die Sterblichkeit durch Atemwegs- und Durchfallerkrankungen sowie Malaria stark erhöht. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen nach dem insoweit glaubhaften Vorbringen der Mutter der Klägerin unterstellt werden muss, dass sie als alleinerziehende Mutter ohne sicheren familiären Rückhalt unter sehr schwierigen Bedingungen am Rande der Existenzmöglichkeit für sich und das Kind Überlebenschancen wahrnehmen müsste, ist jedenfalls eine extreme Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzunehmen. Der Einzelrichter schließt sich insoweit nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen der Rechtsprechung an, auf die sich auch der Klägervertreter bezieht (z.B.: OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 12.07.2006 - 3 Q 45/05 -, juris, und vom 11.07.2007 - 3 Q 160/06 -, juris; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 16.04.2002 - 4 L 39/02 -, juris; nicht abschließend zu in Deutschland geborenen Kleinkindern: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.07.2003 - A 6 S 971/01 -, juris; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 17.10.2006 - 1 B 3/06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff AufenthG Nr. 22).

Die schier aussichtslose Lage alleinstehender Mütter mit Kleinkindern hat sich seit den zitierten Entscheidungen nicht verbessert. Dass karitative Einrichtungen einen wesentlichen Beitrag zur Existenzsicherung leisten können, erscheint nicht gewährleistet. Das Auswärtige Amt weist in seiner Auskunft vom 14.04.2005 an das OVG Nordrhein-Westfalen darauf hin, dass die Frage, ob eine alleinstehende Mutter mit einem Kleinkind in Kinshasa existieren kann, nicht allgemein beantwortet werden kann. Im Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 01.02.2008 heißt es, ohne familiäre Bindung oder sonstige Unterstützung könne die Sicherung einer Existenzgrundlage für Rückkehrer schwierig bis unmöglich sein. Diesen Aussagen kann entnommen werden, dass eine alleinstehende Mutter mit einem Kleinkind zur Existenzsicherung ein Mindestmaß an stützenden Faktoren benötigt, um auf sich gestellt im Großraum Kinshasa überleben zu können. Diese Bedingungen sind wohl nicht gegeben (vgl. dazu VG Stuttgart, Urteil vom 24.04.2009 - A 3 K 749/08 -). Bei der einjährigen in Deutschland geborenen Klägerin kommt hinzu, dass sie eine noch höhere Infektionsanfälligkeit als im Lande geborene Kinder hat. Sie träfe auf ein desolates Gesundheitssystem in der Demokratischen Republik Kongo, das sich zuletzt sogar noch verschlechtert hat (siehe Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 09.05.2005, 05.09.2006, 01.02.2008 und insbesondere vom 14.05.2009). Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg tendiert wegen des jüngsten Lageberichts des Auswärtigen Amtes inzwischen zur Annahme eines Abschiebungsverbots für Familien mit Kleinkindern (Beschluss vom 25.09.2009 - 13 S 1887/09 -). [...]