VG Oldenburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Oldenburg, Beschluss vom 09.11.2009 - 3 B 2837/09 [= ASYLMAGAZIN 12/2009, S. 28 f.] - asyl.net: M16234
https://www.asyl.net/rsdb/M16234
Leitsatz:

Da angesichts der Zustellungspraxis des BAMF in Dublin-Verfahren die rechtzeitige Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes für den Ausländers jedenfalls erheblich erschwert wird, wird das BAMF verpflichtet, im Falle des Erlasses einer Abschiebungsanordnung sicherzustellen, dass die Abschiebung nicht vor Ablauf einer Frist von einer Woche nach Zustellung des Dublin-Bescheids an den Antragsteller und Zuleitung eines Abdrucks des Bescheids an die Bevollmächtigten durchgeführt wird.

Der Beschluss enthält ferner ausführliche rechtliche Ausführungen zur Zustellungspraxis des BAMF in Dublin-Verfahren, insbesondere zur wirksamen Zustellung von Dublin-Bescheiden (§ 31 Abs. 1 S. 4 AsylVfG).

Schlagwörter: Dublinverfahren, Dublin II-VO, vorläufiger Rechtsschutz, Zustellung
Normen: VwGO § 123 Abs. 1, AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, AsylVfG § 31 Abs. 1 Satz 4, VwZG § 8, VwZG § 5 Abs. 5
Auszüge:

1. Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist unzulässig, weil ein derartiger Antrag die Existenz eines Verwaltungsakts voraussetzt (vgl. Kopp/Schenke, VWGO, Komm., 14. Aufl. 2005, § 80 Rdnr. 130), dieser aber bisher nicht wirksam erlassen worden ist. Der oben genannte - selbst nach dem Vorbringen des Antragstellers noch nicht zugestellte - Bescheid befindet sich zwar als Ausdruck im Verwaltungsvorgang des Bundesamtes. Außerdem erhielten die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers Kenntnis von diesem Entwurf, nachdem ihnen mit Schreiben des Bundesamtes vom 12. Oktober 2009 ein kompletter Ausdruck der elektronischen Akte zum Verbleib übersandt worden war. Dies ist im vorliegenden Fall für eine wirksame Bekanntgabe aber nicht ausreichend.

Wird der Asylantrag nur nach § 26 a oder § 27 a AsylVfG abgelehnt, ist die Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG dem Ausländer selbst zuzustellen (§ 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG). Im Übrigen richtet sich die Zustellung nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG), soweit sich aus § 10 AsylVfG nichts anderes ergibt. Die wirksame Zustellung des Bescheides ist Voraussetzung für den Eintritt der Wirksamkeit des Bescheides gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), sofern nicht eine Heilung nach § 8 VwZG erfolgt, da im Übrigen für die Wirksamkeit des Verwaltungsakts die Wirksamkeit der Bekanntgabe erforderlich ist (vgl. U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Auflage 2008, § 41 Rdnr, 200), Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird, und nach § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, wobei Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Zustellung gemäß § 41 Abs. 5 VwVfG unberührt bleiben.

hiervon ausgehend ist der Bescheid dem Antragsteller selbst noch gemäß § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG zuzustellen (und damit bekanntzugeben), weil im Bescheid(-Entwurf) ausgeführt wird, der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig. § 8 VwZG findet keine Anwendung. Danach gilt ein Dokument, wenn sich dessen formgerechte Zustellung nicht nachweisen lässt oder es unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist, im Fall des § 5 Abs. 5 VwZG in dem Zeitpunkt, in dem der Empfänger das Empfangsbekenntnis zurückgesendet hat. Wegen der Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG sind die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers insoweit nicht Empfangsberechtigte i.S.v. § 8 VwZG. Dementsprechend soll, wenn der Ausländer durch einen Bevollmächtigten vertreten wird oder er einen Empfangsberechtigten benannt hat, diesem gemäß § 31 Abs. 1 Satz 6 AsylVfG lediglich ein Abdruck der Entscheidung zugeleitet werden. Selbst wenn man unterstellt, dass die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers diesem eine Kopie des ausgedruckten Bescheides ausgehändigt haben, ist § 8 VwZG nicht anwendbar, weil die Heilung von Zustellungsmängeln voraussetzt, dass die Behörde den Willen hatte, eine Zustellung vorzunehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2006 - 6 B 65/05 -, juris, Rn. 7, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf NVwZ 2006, 943). Diese Voraussetzung ist hier ebenfalls nicht erfüllt, und zwar auch dann nicht, wenn man der Auffassung ist, der erforderliche Zustellungswille müsse sich nur auf die Übermittlung des Schriftstücks als solche, nicht aber darüber hinaus auch auf dessen Bekanntgabe in den besonderen Formen des Verwaltungszustellungsrechts beziehen (vgl. zum Zustellungswillen: BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2006. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesamt, als es den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers einen kompletten Ausdruck der elektronischen Akte - einschließlich des Bescheides - zum Verbleib zusandte, den Willen hatte, den Bescheid damit dem Antragsteller zuzuleiten. So trägt auch die Antragsgegnerin vor, der Bescheid sei noch nicht formell zugestellt worden.

2. Der nach § 123 Abs. 1 VwGG zu beurteilende Hilfsantrag des Antragstellers ist dagegen zulässig (a) und in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet (b).

a) Dem Antragsteller fehlt für den nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaften Antrag nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Dem steht nicht entgegen, dass ihm die Überstellung nach Griechenland bislang nach nicht konkret in Aussicht gestellt worden ist. Ihm ist gleichwohl nicht zuzumuten, zunächst die Mitteilung des Termins der Zurückschiebung oder gar die Zustellung des Bescheides vom 6. August 2009 nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG abzuwarten. Diese Einschätzung beruht auf der dem Gericht bekannten Praxis der Antragsgegnerin sowie der zuständigen Ausländerbehörde (ZAAB), die Zustellung der Abschiebungsanordnung an den Ausländer sowie, bei bestehender Vertretung durch einen Bevollmächtigten, die Übersendung eines Abdrucks der Entscheidung an diesen im Hinblick auf den (schon vorher festgelegten) Abschiebetermin so weit hinauszuschieben, dass eine noch rechtzeitige Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Ausländer jedenfalls erheblich erschwert wird. Der Antragserwiderung ist zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin trotz des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 8. September 2009 (- 2 BvQ 56/09 -, juris, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf DVBl. 2009, 1304 = NVwZ 2009, 1281) keinen Anlass sieht, Überstellungen nach Griechenland generell auszusetzen. Das Bundesamt halte vielmehr an seiner bestehenden Verwaltungspraxis fest, die Abschiebung während eines laufenden Eilverfahrens nicht zu vollziehen und von der Ausübung des Selbsteintrittsrechts bei besonders schutzbedürftigen Personen großzügig Gebrauch zu machen (siehe auch die Antwort der Bundesregierung vom 22. Oktober 2009 - BT-Drucksache 16/14149 -, auf eine kleine Anfrage). Schließlich hat die Antragsgegnerin bisher nicht erklärt, von einer Zurückschiebung (derzeit) unabhängig von einem anhängigen Eilverfahren absehen zu wollen. Es besteht auch noch ausreichend Zeit, die erforderlichen Vorbereitungen für eine Überstellung nach Griechenland zu treffen, weil die Verpflichtung Griechenlands zur Übernahme des Antragstellers erst mit Ablauf des 3. Dezember 2009 enden dürfte. [...]