SG Oldenburg

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Zitieren als:
SG Oldenburg, Urteil vom 24.04.2009 - S 49 AS 172/09 - asyl.net: M16297
https://www.asyl.net/rsdb/M16297
Leitsatz:

Die Kürzung des SGB II-Regelsatzes ist rechtswidrig, da der Kläger in Bedarfsgemeinschaft mit einer Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG lebt und andernfalls mittelbar von den niedrigeren AsylbLG-Leistungen betroffen wäre. § 20 Abs. 3 SGB II ist in derartigen "gemischten Bedarfsgemeinschaften" daher nicht anwendbar. Die Berufung wird zugelassen, da diese Rechtsfrage noch nicht abschließend geklärt ist.

Schlagwörter: Asylbewerberleistungsgesetz, Regelleistung, gemischte Bedarfsgemeinschaft, Bedarfsdeckungsgrundsatz
Normen: SGB II § 20 Abs. 2, SGB II § 20 Abs. 3, SGB II § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
Auszüge:

[....]

Gem. § 20 Abs. 3 SGB II beträgt die Regelleistung, wenn zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet haben, jeweils 90 v.H. der Regelleistung nach Absatz 2.

Der Kläger lebt zusammen mit seiner Lebensgefährtin, Frau ... in einer Bedarfsgemeinschaft. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören nach § 7 Abs. 3 Nr. 1 und 3 c) SGB II der erwerbsfähige Hilfebedürftige sowie als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Es ist unstreitig, dass der Kläger und seine Lebensgefährtin in einem Haushalt zusammenleben und den Willen haben, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Der Ausschluss der Lebensgefährtin des Klägers von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II - Frau ... ist leistungsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - hindert die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft nicht (vgl. Krauß in: Hauk/Noftz, SGB II, § 20 Rdnr. 69; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. Mai 2007 - L 18 B 472/07 AS ER - www.sozialgerichtsbarkeit.de; für Ausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II; BSG, Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 1/06 R - BSGE 97, 265; a.A.: SG Hildesheim, Urteil vom 29. Juni 2007 S 13 AS 1119/06 - V.n.b.).

Die Regelung des § 20 Abs. 3 SGB II geht jedoch ihrem Wortlaut nach nicht nur vom Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft, sondern auch von einem Leistungsbezug beider Personen nach dem SGB II aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Oktober 2007 - B 8/9b SO 2/06 R - www.sozialgerichtsbarkeit.de). Sie ist nach ihrem Sinn und Zweck zwar erweiternd auch in solchen Fällen anwendbar, in denen ein Partner Leistungen nach dem SGB II und der andere nach dem SGB XII erhält (BSG, Urteil vom 16. Oktober 2007 aaO; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. Mai 2007 aaO). Im Falle einer Bedarfsgemeinschaft mit einem Partner, der leistungsberechtigt nach dem SGB II, und einem Partner, der leistungsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ist, kommt eine solche erweiternde Auslegung der Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck nicht in Betracht. § 20 Abs. 3 SGB II bezweckt, dass der Bedarfsgemeinschaft bestehend aus zwei volljährigen Hilfebedürftigen ein Regelsatz in Höhe von insgesamt 180 v.H. des Regelsatzes nach Abs. 2 zur Verfügung steht. Mit diesem Mischregelsatz, d.h. mit der Reduzierung des Regelsatzes nach Abs. 2, soll die Ersparnis, welche aufgrund des Zusammenlebens zweier volljähriger Hilfebedürftiger entsteht, abgefangen werden (SG Hildesheim, Urteil vom 29. Juni 2007, aaO).

Eine entsprechende Anwendung des § 20 Abs. 3 SGB II im Falle des Klägers und seiner Lebensgefährtin ist nach dem Sinn und Zweck der Norm nicht geboten. Denn hier entsteht ein solcher Überschuss aufgrund des Zusammenlebens, der abzufangen wäre, nicht, da die der Lebensgefährtin des Klägers bewilligten Leistungen weit unterhalb der Leistungen nach dem SGB II liegen. Vielmehr würde der Kläger mittelbar von den niedrigeren Leistungen nach dem AsylbLG betroffen. Sein nach dem SGB II anzuerkennender Bedarf, der in der Höhe des Regelsatzes zum Ausdruck kommt, wäre nicht mehr vollständig abgedeckt, weil eine Absenkung um 10 v.H. nach Maßgabe des § 20 Abs. 3 SGB II nicht durch Leistungen an Frau ... i.H.v. 90 v.H. des Regelsatzes kompensiert würde. Dies steht nicht im Einklang mit dem im Bereich des SGB II geltenden Bedarfsdeckungsgrundsatz (vgl. dazu SG Hamburg, Beschluss vom 24. April 2008 - S 56 AS 796/08 ER - zit. nach juris). Ob eine entsprechende Anwendung des Mischregelsatzes zulässig wäre, wenn der nach dem AsylbLG leistungsberechtigte Partner Leistungen gern. § 2 AsylbLG i.V.m. SGB XII erhielte, kann dahinstehen, da die Lebenspartnerin des Klägers solche Leistungen unstreitig nicht erhält.

Mangels Anwendbarkeit des § 20 Abs. 3 SGB II sind dem Kläger Leistungen entsprechend § 20 Abs. 2, Abs. 4 SGB II zu gewähren. Zwar gilt § 20 Abs. 2 SGB II seinem Wortlaut nach nur für Personen, die allein stehend oder allein erziehend sind oder deren Partner minderjährig ist. Die Norm ist jedoch in entsprechender Anwendung auch auf solche Personen anwendbar, deren Partner Leistungen nach dem AsylbLG erhalten. Insofern liegt - da diese Personen wie dargelegt nicht unter § 20 Abs. 3 SGB II fallen - eine Regelungslücke vor, die vom Gesetzgeber nicht gewollt ist. § 20 Abs. 2, Abs. 4 SGB II ist nach Sinn und Zweck auch entsprechend anwendbar. Dies wird vor allem dadurch deutlich, dass auch Personen, deren Partner minderjährig ist, unter diese Norm fallen. Diese Personen werden ebenfalls nicht von § 20 Abs. 3 SGB II erfasst, obwohl sie nicht alleinstehend oder alleinerziehend sind, weil im Falle eines minderjährigen Partners dessen Regelleistung nur 80 v.H. des Regelsatzes nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II beträgt und insofern eine Abschöpfung eines Überschusses, der sich aufgrund des Zusammenlebens ergeben würde, ebenfalls nicht zu erwarten ist. Im Sinne des Bedarfsdeckungsgrundsatzes ist dem Kläger der volle Regelsatz nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu gewähren. Denn der Bedarf des Klägers, der in der Höhe des Regelsatzes nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II zum Ausdruck kommt, wird durch das Zusammenleben mit seiner Lebensgefährtin nicht verringert, da diese nur geringere Beiträge zum gemeinsamen Lebensunterhalt leisten kann. [...]

Die Berufung war hier zuzulassen, weil die Frage der Rechtmäßigkeit einer Kürzung der Regelleistung bei Zusammenleben eines Hilfeempfängers mit einem Empfänger von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in einer Bedarfsgemeinschaft nicht abschließend geklärt ist. [...]