FG Münster

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Zitieren als:
FG Münster, Urteil vom 05.11.2009 - 11 K 4246/08 Kg - asyl.net: M16359
https://www.asyl.net/rsdb/M16359
Leitsatz:

Keine Verfristung oder Verjährung für Kindergeldbewilligung für die Vergangenheit, wenn kein schriftlicher Bescheid ergangen ist. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (gegenteilige Verwaltungsanweisungen der Beklagten, uneinheitliche Rechtsprechung).

Schlagwörter: Kindergeld, Nachzahlung, Verwaltungsakt, Kindergeldfestsetzung, Verjährung
Normen: EStG § 62 Abs. 2 Nr. 2c, EStG § 62 Abs. 2 Nr. 3, AO § 119 Abs. 2, EStG § 70 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

[...]

Sieht die Familienkasse in den Fällen des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG von einer schriftlichen Bescheiderteilung ab, so setzt sie das Kindergeld - in der Regel - in anderer Weise (d.h. formlos) fest. Zahlt die Familienkasse das Kindergeld tatsächlich aus, so ist in der ersten Auszahlung (Überweisung) des Kindergeldes und der Bekanntgabe des Auszahlungsbetrages die Festsetzung zu sehen. Der Verwaltungsakt ergeht durch konkludentes Verhalten, indem Entscheidung der Familienkasse und Ausführung zusammenfallen. Die Auszahlung (Überweisung) des Kindergeldes ist dabei nicht bloßer Realakt, sondern sie bringt zugleich konkludent gegenüber dem Empfänger die Entscheidung über das Bestehen des Anspruchs auf das beantragte Kindergeld (die Steuervergütung) als der sachlogischen Voraussetzung für die Auszahlung der beantragten Geldleistung zum Ausdruck. Denn der objektivierte Erklärungsinhalt einer Auszahlung als Kindergeld ist die Erklärung der Behörde, dass das Kindergeld in jener Höhe gewährt wird (vgl. FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24. April 1998, 4 K 1755/97, JurisDok).

Anders verhält es sich jedoch im vorliegenden Rechtsstreit. Nach den dargestellten Grundsätzen hat die Beklagte zwar für den (hier nicht streitigen) Zeitraum ab Juni 2000 das Kindergeld "in anderer Weise" festgesetzt. Für den streitbefangenen Zeitraum liegt aber keine Willensäußerung der Beklagten vor, auch nicht in konkludenter Form (ebs. FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10. Juni 2009, 2 K 1807/08 JurisDok.) [...]

Ein fristgerecht gestellter Antrag auf Zahlung von Kindergeld löst jedoch nach § 171 Abs. 3 AO eine Ablaufhemmung aus. Ob und in welchem Umfang Kindergeld beantragt wird, ist im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln. Im Streitfall hat der Kläger mit am 13. Juli 2000 bei der Beklagten eingegangenem Formularvordruck Kindergeld beantragt und diesem die Kopie einer Bescheinigung über die Aufenthaltserlaubnis vom 12. Mai 2000 beigefügt.

Im Formularvordruck ist keine Rubrik für die Frage der zeitlichen Ausdehnung des beantragten Kindergeldes vorgesehen. Der Senat hatte vor diesem Hintergrund den Kindergeldantrag auszulegen. Im Interesse des Antragstellers ist der Kindergeldantrag (und im Übrigen auch der Klageantrag bei Gericht) ohne ausdrückliche zeitliche Beschränkung von der Behörde und dem Gericht subjektiv und objektiv dahin auszulegen, dass damit die maximale Festsetzung von Kindergeld, insbesondere auch für die Vergangenheit, erstrebt wird. Der zeitlich nicht beschränkte Kindergeldantrag beinhaltet also keine Beschränkung des Begehrens auf Festsetzung von Kindergeld nur für die Zukunft respektive ab Antragseingang (FG Hamburg, 30.11.2007, 1 K 266/06, EFG 2008, 315; dazu auch Hildesheim in Bordewin/Brandt, EStG. § 67 Rz. 22a).

Der Senat sieht keine Veranlassung, hiervon im Streitfall abzuweichen, zumal zu berücksichtigen ist, dass die Rechtslage zu § 62 EStG nicht so klar ist bzw. war, dass daraus eine restriktive Antragsauslegung stattfinden könnte, wie sie die Beklagte nunmehr vornimmt. [...]

Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (gegenteilige Verwaltungsanweisungen der Beklagten) und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert (s. gegenteilige Entscheidungen des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz, Urteile vom 14. Juli 2009, 5 K 1302/08 und vom 28. August 2008, 5 K 1301/08 beide n.v.).