LG Freiburg

Merkliste
Zitieren als:
LG Freiburg, Beschluss vom 20.11.2009 - 4 T 312/09 [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 90] - asyl.net: M16479
https://www.asyl.net/rsdb/M16479
Leitsatz:

Zurückweisung eines Antrags auf Zurückschiebungshaft als unzulässig, da der Antrag hinsichtlich der Haftdauer und der Erforderlichkeit der Haft nicht ausreichend begründet ist. Zudem wurden dem Gericht nicht die vollständigen Akten vorgelegt.

Schlagwörter: Haftantrag, unzulässig, Zurückschiebungshaft, Italien, Haftdauer, Prognose, Beschleunigungsgebot
Normen: FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4, GG Art. 2 Abs. 2, FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, AufenthG § 62 Abs. 2 Satz 4
Auszüge:

[...]

Nach herrschender Meinung (vgl. Keidel-Budde, FamFG, 16. Auflage, § 417 Rn. 3) ist ein Antrag zurückzuweisen, wenn die Begründung der einzelnen Haftvoraussetzungen so lückenhaft ist, dass sie dem Gericht keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Aufklärung des Sachverhalts geben.

Dies ist aus den nachfolgenden Gründen im vorliegenden Fall gegeben:

1. Nach den Grundsätzen des § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG enthält der Antrag keine für die Überprüfung der erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung ausreichenden Tatsachen.

Vorliegend hat die Antragstellerin mitgeteilt, dass sie zur Sicherung der Zurückschiebung grundsätzlich immer die Dauer von 90 Tagen Haft beantragen würde. Eine Prognose, wie lange das Verfahren bis zur Abschiebung dauern werde, sei zum Zeitpunkt der Haftbeantragung nicht darstellbar. Der Umstand der Ausweislosigkeit sowie die Tatsache, dass die Erstregistrierung im Jahr 2008 stattfand, würden umfangreiche Überprüfungen auslösen.

Wegen der Dauer der Haft ist es entgegen der Meinung der Antragstellerin keineswegs so, dass die Höchstdauer von drei Monaten ohne weiteres angeordnet werden kann. Zulässig ist wegen des einschneidenden Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG immer nur die Haft, welche unter Beachtung des aus diesem Grundrecht folgenden Beschleunigungsgebots unbedingt erforderlich ist, um die Abschiebung vorzubereiten und durchzuführen. Eine Haftanordnung von drei Monaten auf "Vorrat" ist rechtlich nicht möglich, da ansonsten die nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG notwendige gerichtliche Überprüfung, ob die Ausländerbehörden ihrer Pflicht zur größtmöglichen Beschleunigung nachkommen, nicht stattfinden würde (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 24.10.2001 - 16 Wx 235/01 - zitiert nach juris, Rn. 7 m.w.N.).

Es müsste daher dargetan werden, aufgrund welcher konkreter Maßnahmen und in welchem konkreten Zeitraum eine Abschiebung oder Zurückschiebung zu erwarten ist. Vorliegend ist jedenfalls davon auszugehen, dass die Antragstellerin mit den unterschiedlichen Heimatbehörden konkrete Erfahrungen gesammelt hat, die aufgrund der Staatsangehörigkeit des Betroffenen zumindest eine Prognose darstellbar erscheinen lassen. Das Ergebnis wäre dann ein konkret und individuell begründeter Endzeitpunkt für eine zu erwartende Abschiebung oder Zurückschiebung.

2. Weiter fehlt es an den nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 FamFG erforderlichen Tatsachen zur Begründung der Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung.

Diese Vorschrift nimmt unter anderem Bezug auf § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG, nach dem die Sicherungshaft unzulässig ist, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten 3 Monate durchgeführt werden kann.

Hierzu hat die Antragstellerin in ihrer Stellungnahme vom 18.11.2009 ausgeführt, dass es allein für die erforderliche Beschaffung von Heimreisedokumenten "mindestens 3 Monate" bedarf. Daraus folgt, dass es möglicherweise auch länger dauern könnte. Nach den Erfahrungen der Kammer kann nicht ausgeschlossen werden, dass allein aufgrund von häufig verweigerter zeitnaher Zusammenarbeit durch Heimatbehörden von Ausländern in Einzelfällen bereits bei Antragstellung feststeht, dass trotz Mitarbeit des Betroffenen diese drei Monate nicht eingehalten werden können. Auch dazu fehlt trotz entsprechenden sprechenden Hinweises ein konkreter Sachvortrag.

3. Weiter fehlt es an der nach § 417 Abs. 2 Satz 3 FamFG erforderlichen Vorlage der vollständigen Akte des Betroffenen.

Aus den Angaben im Sachverhalt des Antrages ergibt sich, dass zumindest ein Beantragungsformular für einen italienischen Aufenthaltstitel aus dem Jahre 2008 wie auch das Ergebnis der Überprüfung bei den italienischen Behörden jeweils Teil der bei der Antragstellerin geführten Akten ist.

Trotz entsprechendem Hinweises hat die Antragstellerin diese Akte nicht vollständig vorgelegt.

4. Die Kammer hat jedenfalls im vorliegenden Fall nicht darüber zu befinden, ob zumindest eine einstweilige Anordnung zu erlassen wäre, da die Antragstellerin einen entsprechenden Antrag ausdrücklich nicht gestellt hat.

Zwar liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass nach Vorlage der vollständigen Akte und weiterem Tatsachenvortrag ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG gerechtfertigt wäre. Dieses Verfahren ist speziell für solche Fälle vorgesehen, in welchen sich einzelne gesetzliche Anforderungen noch nicht zuverlässig beurteilen lassen. Gem. § 427 Abs. 1 FamFG reichen insoweit dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Freiheitsentziehung gegeben sind. Dies bedeutet, dass die für den Erlass der endgültigen Maßnahme erforderlichen Ermittlungen zwar noch nicht abgeschlossen sind, bei summarischer Prüfung jedoch konkrete Umstände mit erheblicher Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten, dass die sachlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Freiheitsentziehung vorliegen (vgl. Keidel/Budde, a.a.O., § 427 Rn. 2 m.w.N.). [...]