OLG München

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Zitieren als:
OLG München, Beschluss vom 14.03.2008 - 34 Wx 026/08 - asyl.net: M16488
https://www.asyl.net/rsdb/M16488
Leitsatz:

Die Haft ist nunmehr rechtswidrig, da der Betroffene bereits seit rund 5 Monaten inhaftiert ist und die Abschiebung bereits Mitte Januar hätte stattfinden können. Inzwischen musste auch die zweite Flugbuchung storniert werden. Es ist nicht absehbar, wann der Petitionsausschuss entscheiden wird. Eine weitere Haft ist nicht verhältnismäßig.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Dublinverfahren, Dublin II-VO, Griechenland, Petition, Verhältnismäßigkeit
Normen: AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5, AufenthG § 57 Abs. 3, AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, GG Art. 17, VO 343/2003 Art. 19 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Das Landgericht hat in seinem Beschluss vom 20.2.2008 mit zutreffender Begründung die damals gegebenen Voraussetzungen für die Verhängung von Zurückschiebungshaft bejaht. Zur festgestellten Ausreisepflicht und zum Vorliegen jedenfalls des Haftgrundes nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG (in Verbindung mit § 57 Abs. 3 AufenthG) - ob auch die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vorliegen, kann dahin stehen - verweist der Senat auf die zutreffenden landgerichtlichen Feststellungen. Ergänzend verweist der Senat wegen der inmitten stehenden Rechtsfragen noch auf seinen Beschluss vom 30.1.2008 (34 Wx 136/07). Die vom Betroffenen herangezogene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.12.2007 (2 BvR 1033/06 = InfAuslR 2008, 133) zu den haftrechtlichen Auswirkungen eines im (EG-) Ausland gestellten Asylantrags betrifft einen nicht vergleichbaren Sachverhalt. Dort hatte der Betroffene nämlich bereits im (EG-) Ausland (Belgien) einen Asylantrag gestellt, der nach den einschlägigen Bestimmungen (Verordnung EG Nr. 343/2003) die Zuständigkeit der deutschen Behörden zur Bearbeitung des Asylverfahrens begründete (vgl. auch OLG Celle vom 6.2.2008, 22 W 16/06). Hier jedoch hat der Betroffene ausdrücklich erklärt, in Griechenland nicht Asyl beantragt zu haben. Der in Deutschland gestellte (und verbeschiedene) Asylantrag steht jedoch der Zurückschiebungshaft nicht entgegen (vgl. § 14 Abs. 3 AsylVfG).

Die Zurückschiebungshaft ist auch nicht schon wegen § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG unzulässig, weil feststände, dass die Zurückschiebung aus vom Betroffenen zu vertretenden Gründen nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Dabei muss nicht darauf eingegangen werden, ob die Ausübung des Petitionsrechts (Art. 17 GG) mit der Folge, dass die Behörde aus Achtung vor dem Parlament den Vollzug vorübergehend zurückstellt, ein Vertretenmüssen des Ausländers begründet. Denn nach derzeitiger Sachlage ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass die Zurückschiebung jedenfalls noch bis 14.4. 2008 durchführbar wäre. Bis zu diesem Zeitpunkt hat nämlich der Petitionsausschuss möglicherweise entschieden.

Abschiebungshaft darf grundsätzlich auch dann angeordnet oder aufrechterhalten werden, wenn die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen für einen vorübergehenden Zeitraum nicht durchführbar ist (vgl. BVerfG NJW 1987, 3076; BVerfG EZAR 048 Nr. 23; BayObLGZ 1995, 118/120). Der Senat hat insoweit eine Interessenabwägung vorzunehmen, die einerseits den mit der Haft verbundenen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen und andererseits das staatliche Interesse berücksichtigt, auf das Sicherungsmittel der Haft nicht sofort schon dann verzichten zu müssen, wenn eine Zurückschiebung zwar aktuell (aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen oder aus Rücksichtnahme auf ein anderes Verfassungsorgan) nicht durchführbar ist, eine Prognose indes die (zeitnahe) Möglichkeit der Beseitigung oder des Wegfalls des Zurückschiebungshindernisses ergibt (BVerfG EZAR 048 Nr. 23).

Die auch dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht hier mögliche Abwägung anhand des unstreitigen Tatsachenstoffes fällt nunmehr zugunsten des Betroffenen aus. Maßgeblich dafür ist neben der bereits verstrichenen - nicht unerheblichen - Haftdauer von rund fünf Monaten die Tatsache, dass die Abschiebung bereits Mitte Januar hätte stattfinden können. Inzwischen musste auch die zweite Flugbuchung storniert werden. Nach dem jüngsten Schreiben des Petitionsausschusses ist nicht absehbar, wann die Angelegenheit abschließend beraten werden kann. Zwar wäre eine Rücküberstellung nach Ablauf der in Art. 19 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 genannten sechsmonatigen Frist nicht mehr möglich, so dass auch eine Haftverlängerung über den 14.4.2008 nicht in Frage kommen dürfte. Der Senat hält jedoch auch eine weitere Haft über den gegenwärtigen Zeitpunkt hinaus nicht mehr für verhältnismäßig und dem Beschleunigungsgebot entsprechend. Das Beschleunigungsgebot gilt insoweit für alle staatlichen Stellen. [...]