VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 10.11.2009 - A 5 K 250/09 - asyl.net: M16495
https://www.asyl.net/rsdb/M16495
Leitsatz:

Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für ein Kleinkind wegen extremer Gefahrenlage in der Demokratischen Republik Kongo.

Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Abschiebungshindernis, Abschiebungsverbot, Kleinkind, extreme Gefahrenlage, Rechtsschutzinteresse
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 Satz 1
Auszüge:

[...]

Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, festzustellen, dass in ihrem Fall die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Demokratischen Republik Kongo vorliegen. Soweit dem die Nr. 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 17.02.2009 entgegensteht, ist sie wie die Nr. 3 dieses Bescheides rechtswidrig. Diese genannten Teile des Bescheides verletzen die Klägerin in ihren Rechten und sind daher aufzuheben.

Das Gericht geht mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes davon aus, dass die Klägerin nur im vollständigen Familienverband mit ihren Eltern abgeschoben werden soll. Da weiterhin Abschiebungen in die Demokratische Republik Kongo nur auf dem Luftweg über den Flughafen Kinshasa vorgenommen werden können (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 01.02.2008 zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Demokratischen Republik Kongo, Nr. IV.4), beschränkt sich die Prüfung auf die Lebensbedingungen im Großraum Kinshasa.

Das Gericht schließt sich den Ausführungen im Urteil des Bay. Verwaltungsgerichts Augsburg vom 22.03.2007 - Au 1 K 06.30353 -, juris, an, bei dem es um ein 9 Monate altes Mädchen ging. Diese Ausführungen haben auch derzeit noch Geltung (vgl. etwa den oben erwähnten Lagebericht). Die Klägerin hier ist nur wenige Monate älter. In dem Urteil heißt es u.a.:

"Die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. [...]

Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der allgemeinen unzureichenden Existenzbedingungen in der Demokratischen Republik Kongo kann der Betroffene nur beanspruchen, wenn er dadurch bei seiner Rückkehr einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Falle seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG vom 12.7.2001, a.a.O.). Damit sind nicht nur Art und Intensität der drohenden Rechtsgutverletzungen, sondern auch die Unmittelbarkeit der Gefahr und ihr hoher Wahrscheinlichkeitsgrad angesprochen (vgl. BVerwG vom 26.1.1999, InfAuslR 1999, 265). Ob der Ausländer danach bei einer allgemeinen Gefahr Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG beanspruchen kann, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung (vgl. BVerwG vom 23.3.1999 Az. 9 B 866/98, - juris -). Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden (vgl. BVerwG vom 19.11.1996, InfAuslR 1997, 193/197). Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr ist gegenüber dem im Asylrecht entwickelten Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit in diesem Zusammenhang allerdings von einem erhöhten Maßstab auszugehen, denn nur dann rechtfertigt sich die Annahme eines aus den Grundrechten folgenden zwingenden Abschiebungshindernisses über die gesetzliche Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hinaus (vgl. BVerwG vom 19.11.1996, a.a.O.).

Die dargestellten, von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen einer verfassungskonformen Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG liegen im vorliegenden Fall auf Grund der Lebensbedingungen in der Demokratischen Republik Kongo in Verbindung mit dem Alter der Klägerin vor.

In der Hauptstadt Kinshasa, dem einzig möglichen Zielort einer Abschiebung, besteht keine Bürgerkriegssituation, in der nahezu jede Person Gefahr laufen würde, Opfer eines Übergriffs zu werden.

Es lässt sich auch nicht feststellen, dass die Klägerin im Großraum Kinshasa mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Es ist nach den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen zwar nicht zweifelhaft, dass - bezogen auf das gesamte Staatsgebiet der Demokratischen Republik Kongo - die wirtschaftliche Lage verheerend ist. Die seit August 1998 andauernden Kämpfe haben nach und nach die gesamte Infrastruktur des zentralafrikanischen Landes zerstört. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 90 %. Auch innerhalb der Großfamilie, in der traditionell gegenseitig Hilfe geleistet wird, gelingt es nicht immer, Härten durch wechselseitige Unterstützung aufzufangen. Vor allem Frauen und Kinder tragen mit Kleinsthandel zum Familienunterhalt bei (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5.9.2006, Nr. IV.1 a). Für die Region Kinshasa kann aber festgestellt werden, dass sich die Versorgungslage zwischenzeitlich deutlich gebessert hat. Während das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 5. Mai 2001 (Nr. IV.3 a) noch ausführte, dass sich die schon zu Beginn des Jahres 2000 angespannte Versorgungslage in Kinshasa weiter verschlechtert habe, heißt es in den Lageberichten vom 4. August 2003 (Nr. IV.4 a), vom 28. Mai 2004 (Nr. IV.3 a), vom 14. Dezember 2005 (Nr. IV.3 a) und aktuell vom 5. September 2006 (Nr. IV.1 a), dass die Versorgung mit Lebensmitteln für die Bevölkerung in Kinshasa zwar schwierig sei, jedoch dank verschiedener Überlebensstrategien in der Bevölkerung keine akute Unterversorgung wie etwa in anderen Hungergebieten Afrikas herrsche. In Ergänzung dazu versucht die Bevölkerung in Kinshasa, mit städtischer Kleinstlandwirtschaft und Kleinviehhaltung die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln zu sichern (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 14.12.2005, Nr. IV.3 a). Auch der UNHCR (vgl. Auskunft vom 22.4.2002 an das VG Gelsenkirchen) und das Institut für Afrika-Kunde (vgl. Auskunft vom 19.3.2002 an das VG München) gehen vor dem Hintergrund der prekären Versorgungslage in der Demokratischen Republik Kongo nicht davon aus, dass Rückkehrer aus dem Ausland in allen Landesteilen dem baldigen sicheren Hungertod ausgesetzt sind. Bei der Beurteilung der aus dieser Situation sich ergebenden Gefährdungslage spielen individuelle Faktoren, insbesondere die familiären Lebensumstände eine entscheidende Rolle (vgl. Auskunft des UNHCR an das VG Gelsenkirchen vom 22.4.2002). Das Überleben betroffener Familien in der konkreten Situation in der Demokratischen Republik Kongo hängt stark vom individuellen Vermögen der Improvisation und der Selbstbehauptung ab (vgl. Auskunft des Instituts für Afrika-Kunde an das VG München vom 19.3.2002). Die nach Kinshasa zurückkehrenden Asylbewerber, und zwar auch solche, die dort früher noch nicht gelebt haben oder sich lange im Ausland aufgehalten haben, können sich in gleicher Weise wie die dort lebende Bevölkerung in noch ausreichender Weise ernähren und müssen nicht befürchten, dem baldigen Hungertod zum Opfer zu fallen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen vom 3.2.2006 Az. 4 A 4227.04.A, - juris -). Dabei ist es von Vorteil, wenn Verwandte oder Bekannte in Kinshasa leben. Schwieriger stellt sich die Situation dar, wenn Asylbewerber bei ihrer Rückkehr keine Verwandten und Bekannten vorfinden und nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen. Von einer extremen Gefahrenlage kann aber dennoch im Regelfall nicht ausgegangen werden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen vom 3.2.2006 a.a.O.). Handelt es sich bei den Rückkehrern um mehrere einander verbundene Erwachsene, so können diese im Allgemeinen die anstehenden Probleme gemeinsam angehen und sich gegenseitig helfen. Befinden sich jüngere Kinder (auch Kleinkinder oder Säuglinge) in ihrer Obhut, so trägt eine wechselseitige Unterstützung dazu bei, auch deren Ernährung sicherzustellen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen vom 3.2.2006 a.a.O.). So hat etwa das Auswärtige Amt in einer Auskunft vom 14. April 2005 an das OVG Nordrhein-Westfalen mitgeteilt, dass für die Nahrungsmittelversorgung eines mit seinen beiden Elternteilen zurückkehrenden Kleinkindes die Unterstützung von Verwandten nicht zwingend erforderlich ist und dass die Familie in Kinshasa eine Unterkunft finden kann. Aber auch soweit erwachsene Einzelpersonen mit Kindern (insbesondere Mütter mit Kindern) nach Kinshasa zurückkehren, besteht, sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalls eine andere Bewertung erforderlich machen, auch für diesen Personenkreis regelmäßig keine solche Gefahrenlage (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen vom 3.2.2006 a.a.O.). Bei jüngeren Kindern, Kleinkindern und Säuglingen, die der Fürsorge bedürfen, kann nach der Rückkehr zunächst die Hilfe eine der zahlreichen karitativen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, die sich um die Betreuung von allgemeinbedürftigen Menschen in Kinshasa bemühen (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.10.2004 an das VG Münster).

Nach Auswertung der vorliegenden Erkenntnisse lässt sich daher zusammenfassend feststellen, dass die allgemein beschriebene katastrophale Versorgungslage in erster Linie die Rebellengebiet und insbesondere die östlichen Landesteile, nicht aber in gleicher Weise den Großraum Kinshasa betrifft. Es ist deshalb nicht davon auszugehen, dass ein abgeschobener Asylbewerber im Großraum Kinshasa mangels jeglicher Lebensgrundlage in eine extreme Gefahrenlage geriete und dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Ausgehend von oben genannten Erkenntnissen fehlt die Grundlage für die Prognose, gerade die Klägerin werde mit hoher Wahrscheinlichkeit mangels jeglicher Lebensgrundlage bald nach der Rückkehr an Hunger sterben. Die Klägerin wird realistischerweise nicht allein, sondern allenfalls gemeinsam mit ihrer Familie nach Kinshasa zurückkehren. Hinzu kommt, dass die Familie der Klägerin sich nach ihrem Aufenthalt im Bundesgebiet finanziell besser stellt als der Durchschnitt der Bevölkerung in Kinshasa.

Das Gesundheitswesen in der Demokratischen Republik Kongo befindet sich in einem äußerst schlechten Zustand. Staatliche Krankenhäuser waren schon vor der Rebellion und den Plünderungen im Jahre 1998 heruntergewirtschaftet bzw. geplündert. Der Großteil der Bevölkerung kann nicht hinreichend medizinisch versorgt werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5.9.2006, Nr. IV.1 b). Nach einem Bericht über eine Studie von Ärzte ohne Grenzen vom Oktober 2005 wird die Gesundheitsversorgung als "katastrophal" bezeichnet. Ein Krankenversicherungssystem existiert nicht. In der Regel zahlt ein Arbeitgeber die Behandlungskosten seiner Beschäftigten. Die Behandlungskosten Arbeitsloser werden unter erheblichen Anstrengungen von der Großfamilie aufgebracht. Nur wenn - im seltenen Fall - die Geldmittel zur Verfügung stehen, können die meisten in der Demokratischen Republik Kongo vorkommenden Krankheiten diagnostiziert und mit Einschränkungen fachgerecht behandelt werden. Für zahlungskräftige Patienten stehen hinreichend ausgestattete private Krankenhäuser und fachkundige Ärzte zur Verfügung. Ebenso gibt es in Kinshasa einen Pharma-Großhandel, der bei entsprechender Bezahlung binnen weniger Tage so gut wie alle auf dem europäischen Markt zur Verfügung stehenden Medikamente auch nach Kinshasa liefern kann (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5.9.2006, Nr. IV. 1 b).

Aus den vorstehenden Ausführungen wird deutlich, dass sich das Gesundheitswesen in der Demokratischen Republik Kongo allgemein in einem sehr schlechten Zustand befindet. Den vorliegenden Erkenntnisquellen ist aber nicht zu entnehmen, dass in der Demokratischen Republik Kongo Seuchen oder Epidemien in einem solchen Maße verbreitet sind, dass jeder Rückkehrer dort alsbald nach seiner Rückkehr lebensgefährlich erkranken würde.

Es besteht, für sich betrachtet, für die Klägerin auch keine extreme Gefahrenlage hinsichtlich des Risikos, bei einer Rückkehr an Malaria zu erkranken und zu sterben. Das Risiko, in der Demokratischen Republik Kongo an Malaria zu erkranken, ist allgemein sehr hoch (vgl. Gutachten des Universitätsklinikums Heidelberg, Abteilung Tropenhygiene und öffentliches Gesundheitswesen, Bereich Klinische Tropenmedizin, Dr. Junghanss vom 9.2.2001 an den VGH Baden-Württemberg, S. 5). Dieses Risiko wird bei einem längeren Auslandsaufenthalt in Gebieten, in denen Malaria nicht vorkommt, durch Verlust bzw. Minderung der vormals erworbenen Semi-Immunität gegen Malaria bzw. bei Personen, die in einem Nicht-Malariagebiet geboren und aufgewachsen sind, durch eine von vornherein fehlende Semi-Immunität gegen Malaria noch erhöht. Solche Personen werden innerhalb kürzester Zeit nach Ankunft in einem Malariagebiet wie der Demokratischen Republik Kongo eine Malariainfektion bekommen und, sofern nicht prompt und wirkungsvoll behandelt, damit unmittelbar einer Lebensgefahr ausgesetzt (vgl. Gutachten des Universitätsklinikums Heidelberg vom 9.2.2001, S. 12). Bei einer Erkrankung an Malaria gibt es aber jedenfalls in Kinshasa die Möglichkeit der Diagnose und Behandlung (vgl. Gutachten des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin, Prof. Dietrich, vom 2.4.2002 an das Bundesamt, S. 3). Bei rechtzeitiger Diagnostik und Behandlung tendiert die Sterblichkeitsrate gegen Null (vgl. Gutachten des Bernhard-Nocht-Instituts vom 2.4.2002, S. 3). Gegen Malaria wird in der Demokratischen Republik Kongo Fansidar und Chinin eingesetzt. Auch für Patienten mit Glukose-6-Phosphatdehydrogenase-6-Mangel sind geeignete Malariamedikamente erhältlich (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5.9.2006, Nr. IV.1 b). Bei nicht Semi-Immunerkrankten ist eine frühe Diagnose und rechtzeitig einsetzende Behandlung durch wirksame Medikamente erforderlich. In der Regel wird dieses erkannt und beachtet (vgl. Gutachten des Bernhard-Nocht-Instituts vom 2.4.2002, S. 3). Insofern ist es der Klägerin bzw. ihren Eltern zuzumuten, nach einer Rückkehr bei Anzeichen für eine Malariaerkrankung unverzüglich eine Behandlung einzuleiten und darauf hinzuweisen, dass kein Semi-Immunschutz vorhanden ist. Allerdings müssen die Kosten der Medikamente im Regelfall voll von den Betroffenen getragen werden. Ein Päckchen im Wert von 1,-- € reicht für einen Erwachsenen für einen Zeitraum von drei Monaten. Ein Moskitonetz kostet 2,-- € bis 5,-- €. Es gibt in Kinshasa ein Programm, in dem man die Moskitonetze imprägnieren lassen kann. Zu diesem Programm hat jeder Zugang, der sich dorthin begibt, für die Imprägnierung entstehen nochmals Kosten von 2,-- bis 3,-- € (vgl. Verhandlungsniederschrift über mündliches Gutachten Dr. Ochel in der mündlichen Verhandlung beim VG Frankfurt am Main am 27.6.2002, S. 20). Hierauf kann die Familie der Klägerin, die sich längere Zeit im Bundesgebiet aufgehalten hat und bei einer Rückkehr finanziell besser gestellt sein dürfte als der Durchschnitt der Bevölkerung im Kongo, verwiesen werden.

Neben dem hohen Erkrankungs- und Sterberisiko bei einer Malariaerkrankung ist im vorliegenden Fall bei der neun Monate alten Klägerin aber zusätzlich noch zu berücksichtigen, dass die Haupttodesursache in den ersten Lebensjahren bei Kindern Atemwegs- und Durchfallerkrankungen sind (vgl. Verhandlungsniederschrift über mündliches Gutachten Dr. Ochel vom 27.6.2002, S. 17). Kinder bis zum Alter von fünf Jahren machen in der Demokratischen Republik Kongo ungefähr 20 lebensbedrohliche Durchfallinfektionen durch (vgl. Gutachten Dr. Ochel, S. 13). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Krankheitsverlauf im Falle einer Infektion in den ersten fünf Lebensjahren komplizierter als bei älteren Kindern oder Erwachsenen ist (vgl. Gutachten Dr. Ochel, S. 13). Hinzu kommt, dass in Kinshasa höchstens 60 % der Bevölkerung mit Wasser versorgt werden kann, das in etwa Trinkwasserqualität aufweist (vgl. Gutachten Dr. Ochel, S. 14; Auskunft des Auswärtigen Amtes an OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.4.2005). Im Stadtteil, in dem die Eltern der Klägerin vor dem Umzug nach gelebt hatten und die Eltern des Vaters der Klägerin leben, sind 75 % der Haushalte nicht an die zentrale Trinkwasserversorgung angeschlossen (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 14.4.2005 an OVG Nordrhein-Westfalen), so dass eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Kinshasa keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hat und daher verstärkt Krankheitserregern ausgesetzt ist. Darüber hinaus sind Kinder in Wohngebieten, in denen es keine Kanalisation gibt, besonders gefährdet, da die Menschen dort eine Latrine aufsuchen müssen, wo sie sich regelmäßig mit Durchfallerregern anstecken (vgl. Gutachten Dr. Ochel, S. 13). Episoden von Durchfallerkrankungen sind im Kindesalter besonders häufig und bedrohen die Kinder stark, weil sie stark austrocknen (vgl. Gutachten Dr. Ochel, S. 13). Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin in ein Wohnviertel, in dem es keine Kanalisation gibt, zurückkehren muss, ist sehr hoch, da lediglich 10 % der Haushalte in Kinshasa an eine Abwasserkanalisation angeschlossen sind (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 14.4.2005 an OVG Nordrhein-Westfalen). Bei Magen-/Darminfektionen besteht dabei für die in Deutschland geborene Klägerin zudem ein nochmals erhöhtes Risiko, da sie sich erst an die Keimflora im Kongo gewöhnen muss und insofern ein zusätzlich erhöhtes Risikos gegenüber der einheimischen Bevölkerung trägt (vgl. Gutachten Dr. Ochel, S. 17).

Selbst wenn die oben dargelegten einzelnen Risikofaktoren für sich betrachtet noch nicht die Annahme einer extremen Gefahrenlage für die Klägerin rechtfertigen, ergibt sich eine solche für die Klägerin jedoch aus der im vorliegenden Fall gerade auch durch das Alter der Klägerin bedingten Erhöhung der Einzelrisiken einerseits und die Kumulation mehrerer zusammentreffender, erhöhter Risikofaktoren andererseits (vgl. VG Augsburg vom 20.12.2004 Az. Au 1 K 03.30478; VG Augsburg vom 17.5.2005 Az. Au 1 K 04.30864; VG Augsburg vom 11.4.2006 Az. Au 1 K 06.30043)." [...]