VG Schwerin

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Zitieren als:
VG Schwerin, Beschluss vom 25.01.2010 - 5 B 1281/09 As - asyl.net: M16606
https://www.asyl.net/rsdb/M16606
Leitsatz:

Vorbeugender Rechtsschutz gegen eine Dublin-Überstellung nach Griechenland. Ein genereller Überstellungsstopp nach Griechenland dürfte angezeigt sein.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Griechenland, Abschiebungsanordnung, Rechtsschutzinteresse, Konzept der normativen Vergewisserung
Normen: VwGO § 123 Abs. 1, GG Art. 19 Abs. 4, AsylVfG § 34a Abs. 2, AsylVfG § 27a
Auszüge:

[...]

Der Antrag ist auch begründet. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, nämlich, dass er im Falle einer Abschiebung nach Griechenland von einer individuellen Verletzung seines Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit bedroht ist und kein den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entsprechendes Asylverfahren erwarten kann. Griechenland ist derzeit nicht Willens oder in der Lage, Asylsuchenden entsprechend dem Dubliner Übereinkommen Schutz zu gewähren. Die Mindestanforderungen an ein Asylverfahren nach den Richtlinien 2005/85/EG vom 01.12.2005 sowie 2003/9/EG vom 27.01.2003 werden von Griechenland derzeit nicht eingehalten (ausführlich VG Schwerin, Beschluss vom 11.06.2009, 8 B 279/09 As, Seite 4 bis 5 des Umdrucks). Die Defizite bestehen insbesondere darin, dass die Unterbringungskapazitäten und die ärztliche Versorgung unzureichend sind, Rechtsschutzmöglichkeiten fehlen (Mangel an Dolmetschern und Anwälten), und Misshandlungen durch die Polizei vorgekommen sind. Nach Auffassung des Gerichts sind diese Defizite bei der Durchführung der Asylverfahren in Griechenland - die bereits in einer Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen zur Sprache gekommen sind - bisher noch nicht ausgeräumt. Ergänzend wird auf die Entscheidungen des Bundesverfassungs-gerichts vom 08.09.2009, 2 BvQ 56/09 und 09.10.2009, 2 BvQ 72/09 - Bezug genommen.

Die erwähnten Mängel im griechischen Asylverfahren betreffen grundsätzlich alle Asylbewerber, die diesem Verfahren ausgesetzt sind, nicht etwa nur besonders schutzbedürftige Personen (wie z.B. Ältere, Minderjährige, Schwangere, Kranke oder Pflegebedürftige). Obwohl der Antragsteller zu keiner der genannten Personengruppen gehört, kann er sich also auf die genannten Defizite berufen. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin dürfte ein genereller Überstellungsstopp nach Griechenland angezeigt sein. Davon geht im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht in seinen oben genannten Entscheidungen aus (ebenso OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.11.2009, 13 MC 166/09). Wenn die Antragsgegnerin meint, das Bundesverfassungsgericht habe in den genannten Entscheidungen noch kein Präjudiz zur Frage der Rechtmäßigkeit der Abschiebung getroffen, mag dies zwar richtig sein. Zugleich heißt es dort aber, ernst zu nehmende Quellen sprächen dafür, dass in Griechenland eine Registrierung faktisch unmöglich sei und dem Antragsteller die Obdachlosigkeit drohe. Damit sind einige der erwähnten Defizite ausdrücklich genannt, die nicht nur die "besonders schutzbedürftigen" Personen betreffen. [...]