VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.01.2010 - 11 S 2482/09 - asyl.net: M16626
https://www.asyl.net/rsdb/M16626
Leitsatz:

1. Auf den Familiennachzug Drittstaatsangehöriger zu einem deutschen Unionsbürger mit Wohnsitz im Bundesgebiet, der in Österreich als Arbeitnehmer beschäftigt ist und damit als Grenzgänger von der Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV Gebrauch macht, findet grundsätzlich nicht das Recht der Europäischen Union, sondern allein das Aufenthaltsgesetz Anwendung.

2. Die Zulässigkeit eines Eilantrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen den Sofortvollzug einer Ausweisung kann nicht unter Berufung auf die durch die zugleich ebenfalls unter Anordnung des Sofortvollzugs verfügte Rücknahme eines Aufenthaltstitels eingetretene Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses verneint werden, wenn die Ausländerbehörde die Ausreisepflicht unter Berufung auf beide Verfügungen zu vollstrecken beabsichtigt .

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis, Rücknahme, Aufenthaltserlaubnis, Sofortvollzug, Anordnung der sofortigen Vollziehung, Rechtsschutzinteresse, drittstaatsangehörige Familienmitglieder, Drittstaatsangehörige, Unionsbürger, deutsche Staatsangehörigkeit, deutsche Unionsbürger, Grenzgänger, Familiennachzug, Aufenthaltsgesetz,
Normen: FreizügG/EU § 1, VwGO § 80 Abs. 5, AEUV Art. 45, EG Art. 39, RL 2004/38/EG Art. 3 Abs. 1, AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 3, AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 5, AufenthG § 55, AufenthG § 56 Abs. 1 S. 2, LVwVfG § 48 Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

II. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 29.10.2009, mit dem sein Antrag abgelehnt wurde, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Ziffern 1, 2 und 5 des Bescheides des Landratsamts Bodenseekreis vom 02.03.2009 wiederherzustellen (Rücknahme der in dem Bescheid näher bezeichneten Aufenthaltstitel; Ausweisung) bzw. anzuordnen (Abschiebungsandrohung), ist fristgerecht eingelegt (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründet worden (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) und auch sonst zulässig. Die Beschwerde hat jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die von dem Antragsteller vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung sich das Beschwerdeverfahren grundsätzlich zu beschränken hat (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gebieten keine andere Entscheidung, soweit das Verwaltungsgericht es abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Rücknahme der dem Antragsteller am 20.11.2003, 22.01.2004 und am 23.12.2004 erteilten Aufenthaltserlaubnisse und der am 28.12.2006 erteilten Niederlassungserlaubnis in dem Bescheid des Landratsamts Bodenseekreis vom 02.03.2009 wiederherzustellen (1.). Gleiches gilt, soweit das Verwaltungsgericht es abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid des Landratsamts Bodenseekreis vom 02.03.2009 anzuordnen (2.). Hingegen ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Ausweisung wiederherzustellen, weil diese sich als voraussichtlich rechtswidrig erweist und das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt (3.).

1. a) Die Rücknahme der Aufenthaltstitel, die dem Antragsteller zum Zweck der Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner damaligen deutschen Ehefrau J. T. erteilt worden waren, ist aller Voraussicht nach rechtmäßig. Der Antragsteller hatte bewusst der Wahrheit zuwider angegeben, mit seiner Ehefrau in ehelicher Lebensgemeinschaft zu leben. Gegen ihn wurde deshalb vom Amtsgericht Lindau mit rechtskräftig gewordenem Strafbefehl vom 06.04.2009 eine Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen wegen einer Straftat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verhängt. Nachdem die Rechtmäßigkeit der Rücknahme als solche im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen wird, verweist der Senat zur weiteren Begründung insoweit auf die Ausführungen in dem Bescheid des Landratsamts Bodenseekreis vom 02,03.2009 (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).

b) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erweist sich als formal beanstandungsfrei. Sie ist in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise nicht allein mit der Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung, sondern darüber hinausgehend damit begründet worden, dass die Falschangaben des Antragstellers kausal für die Erteilung der Aufenthaltstitel gewesen seien und dass verhindert werden solle, dass der Antragsteller trotz Rücknahme der rechtswidrig erlangten Aufenthaltstitel in tatsächlicher Hinsicht besser stehe als ein Ausländer, der richtige und umfassende Angaben gemacht habe und infolgedessen kein Aufenthaltsrecht erhalte.

c) Die Sofortvollzugsanordnung der Rücknahmeentscheidung ist auch materiell nicht zu beanstanden. Für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Senats ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt; allein die offensichtliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts vermag kein besonderes Vollzugsinteresse zu begründen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 16.01.1997 - 11 S 3170/96 - InfAuslR 1997, 200, vom 11.02.2005 - 11 S 1170/04 - EZAR NF 094 Nr. 2 und vom 29.11.2007 - 11 S 1702/07 - VBlBW 2008, 193). In der Regel besteht ein besonderes öffentliches Interesse, die Rücknahme einer durch wahrheitswidrige Angaben des Ausländers über die eheliche Lebensgemeinschaft rechtswidrig erwirkten Aufenthaltserlaubnis für sofort vollziehbar zu erklären, damit der Ausländer aufenthaltsrechtlich nicht besser gestellt ist als wenn er richtige Angaben gemacht hätte (vgl. Beschl. v. 16.01.1997 - 11 S 3170/96 - a.a.O.).

Daran gemessen ist das besondere Vollzugsinteresse hier zu bejahen. Es wäre allerdings dann in Frage gestellt, wenn dem Antragsteller wegen der am 30.03.2009 geschlossenen Ehe mit einer in Deutschland lebenden deutschen Staatsangehörigen, die seit dem 04.03.2009 mit einem Umfang von 20 Wochenstunden als Kassiererin in Bregenz (Österreich) arbeitet, ein Aufenthaltsrecht nach dem Recht der Europäischen Union zustünde, welches einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen würde. Dies ist indes nicht der Fall.

Zwar macht die Ehefrau als Grenzgängerin von der Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV (ex-Art. 39 EG) Gebrauch (EuGH, Urt. v. 21.02.2006 - Rs. C-152/03 [Ritter-Coulais] - Slg. 2006, I-1711 Rn. 31 m.w.N. = NJW 2006, 1045 und Urt. v. 10.09.2009 - Rs. C-269/07 [Kommission/Deutschland] - DVBl 2009, 1375). Aus dem Status der Ehefrau als Arbeitnehmerin im Sinne des Rechts der Europäischen Union folgt jedoch nicht, dass auch der Familiennachzug zu ihr sich nach Unionsrecht richtet. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Antragsteller nicht dem Anwendungsbereich des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern - FreizügG/EU - und auch nicht dem der Richtlinie 2004/38/EG - Freizügigkeitsrichtlinie - unterfällt. Das FreizügG/EU findet nach seinem § 1 Anwendung auf die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union und deren Familienangehörige, nicht jedoch auf die Familienangehörigen deutscher Unionsbürger. Auch die Richtlinie 2004/38/EG gilt nach ihrem Art. 3 Abs. 1 nur für Unionsbürger, die sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, begeben oder sich dort aufhalten, sowie für deren Familienangehörige. Nichts anderes ergibt sich aus der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Danach ist Art. 3 Abs. 1 RL 2004/38/EG dahingehend auszulegen, dass sich ein Drittstaatsangehöriger, der der Ehegatte eines Unionsbürgers, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, ist und diesen Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht, auf die Bestimmungen dieser Richtlinie unabhängig davon berufen kann, wann oder wo ihre Ehe geschlossen wurde oder wie der betreffende Drittstaatsangehörige in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist ist (Urt. v. 25.07.2008 - Rs. C-127/08 [Metock u.a.] - Slg. 2008, I-06241 = InfAuslR 2008, 377). Es bleibt somit bei der in Art. 3 Abs. 1 RL 2004/38/EG formulierten Voraussetzung, dass der Unionsbürger sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben oder sich dort aufhalten muss. Die Ehefrau des Antragstellers ist jedoch deutsche Staatsangehörige und hält sich im Bundesgebiet auf.

Aus den in der Beschwerdebegründung weiter angeführten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich ebenfalls nicht, dass dem Antragsteller ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht - sei es auf primärrechtlicher oder auf sekundärrechtlicher Grundlage - zustehen könnte.

Die Rechtssache "Eind" (Urt. v. 11.12.2007 - Rs. C-291/05 - Slg. 2007, I-10719 = InfAuslR 2008, 114) betrifft den Familiennachzug in Rückkehrfällen, d.h. in Fällen, in denen ein Unionsbürger sich für längere Zeit als Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat und dann mit einem drittstaatsangehörigen Familienangehörigen, der unmittelbar aus einem Drittstaat zu ihm gezogen ist, in den Herkunftsmitgliedstaat zurückkehrt. Eine solche Konstellation ist hier nicht gegeben. Da es sich nicht um einen Rückkehrfall handelt, geht auch der Hinweis auf den Senatsbeschluss vom 08.07.2008 (- 11 S 1041/08 - InfAuslR 2008, 444) fehl, in dem der Senat die Frage offengelassen hatte, ob ein die Anwendung von Art. 18 Abs. 1 EG (jetzt: Art. 21 Abs. 1 AEUV) eröffnender Sachverhalt auch dann vorliegen kann, wenn der Unionsbürger sich nur für kurze Zeit zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat. Im Übrigen hat der Senat zwischenzeitlich entschieden, dass bei einem nur kurzfristigen Aufenthalt des Unionsbürgers von bis zu drei Monaten in einem anderen Mitgliedstaat aus Art. 21 Abs. 1 AEUV kein Recht zum längerfristigen Aufenthalt des dort geheirateten Ehegatten im Herkunftsmitgliedstaat des Unionsbürgers folgt (Beschl. v. 25.01.2010 - 11 S 2181/09 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

Schließlich kann der Antragsteller aus der Entscheidung "Carpenter" (Urt. v. 11.07.2002 - Rs. C-60/00 - Slg. 2006, I-06279 = InfAuslR 2002, 373) kein Aufenthaltsrecht herleiten. Die Entscheidung betraf den Familiennachzug zu einem Unionsbürger, der als selbstständiger Unternehmer grenzüberschreitend Dienstleistungen erbrachte. Nach dem vom Gerichtshof zugrundegelegten Sachverhalt wickelte er einen erheblichen Teil seines Geschäfts mit Anzeigenkunden ab, die ihren Sitz in anderen Mitgliedstaaten hatten und reiste zu Geschäftszwecken wiederholt in diese anderen Mitgliedstaaten (a.a.O. Rn. 14). Im Ausgangsrechtsstreit war unwidersprochen vorgetragen worden, dass diese Geschäftsreisen notwendig seien und dass sie dem Unionsbürger erleichtert würden, seit seine Ehefrau für die Kinder aus erster Ehe sorge, so dass ihre Ausweisung das Recht ihres Ehemannes auf Erbringung und Empfang von Dienstleistungen beschränken würde (a.a.O. Rn. 17). Ausgehend davon hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Trennung der Eheleute sich nachteilig auf ihr Familienleben und auf die Bedingungen auswirken würde, unter denen Herr Carpenter eine Grundfreiheit wahrnimmt (a.a.O. Rn. 39). Zudem hat der Gerichtshof betont, dass die dort verfügte Ausweisung Art. 8 EMRK verletze, da die Ehefrau nur gegen Einwanderungsgesetze verstoßen habe (a.a.O. Rn. 44). Von zentraler Bedeutung war für den EuGH somit, dass der Familiennachzug die Ausübung einer Grundfreiheit erleichtert und der nachziehende Familienangehörige nicht gegen Strafgesetze verstoßen hatte. Die vorliegende Fallgestaltung ist eine grundlegend andere. Es ist nicht erkennbar, dass die Anwesenheit des Antragstellers dessen Ehefrau die Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit als Grenzgängerin in Österreich erleichtern würde. Zudem hat der Antragsteller sich mittels einer Scheinehe einen langjährigen Aufenthalt erschlichen und ist deshalb rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Zu Recht hat daher das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass nicht ersichtlich sei, dass seine Ehefrau davon absehen könnte, tagsüber in Bregenz einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, wenn der Antragsteller nicht freizügigkeitsberechtigt ist.

Nach alledem ist der Anwendungsbereich des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union für den Antragsteller nicht eröffnet. Die Anwendung des nationalen Aufenthaltsrechts verstößt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Inländerdiskriminierung gegen Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 07.08.1995 - 13 S 329/95 - NJW 1996, 72 m.w.N.; OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 03.07.2001 - 10 B 10646/01 - InfAuslR 2001, 429; Senatsbeschluss vom 09.03.2004 - 11 S 1518/03 - juris; BVerwG, Beschl. v. 01.04.2004 - 6 B 5.04 - GewArch 2004, 488; HessVGH, Beschl. v. 23.10.2006 - 7 TG 2317/06 - InfAuslR 2007, 95; Epe in GK-AufenthG, § 2 FreizügG/EU Rn. 49 m.w.N.; Hailbronner, AuslR, Kommentar, D 1 § 3 Rn. 20; Renner, AusIR, 8. Aufl., § 3 FreizügG/EU Rn. 4; Paehlke-Gärtner, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 3 I Rn. 250; Stein, in: AK-GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 83; a.A. Schwanenflügel, NVwZ 1993, 285; Heun, in: Dreier, GG, 2. Aufl., Art. 3 Rn. 11; Osterloh, in: Sachs, GG, 35. Aufl., Art. 3 Rn. 71; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, 5. Aufl., Art. 3 Rn. 4a).

2. Nachdem die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers durch Rücknahme gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG erloschen ist und jedenfalls vor einer Ausreise auch kein anderweitiges Aufenthaltsrecht besteht, sind auch keine Rechtsfehler der auf § 59 AufenthG gestützten Abschiebungsandrohung ersichtlich.

3. Hingegen hat die Beschwerde Erfolg, soweit mit ihr die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die auf § 55 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 AufenthG gestützte Ausweisung beantragt wird.

a) Für diesen Antrag kann ein Rechtsschutzinteresse nicht mit der Erwägung verneint werden, dass der Antragsteller bereits aufgrund der unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügten Rücknahme der Aufenthaltstitel vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung keine zusätzliche Beschwer enthalte. Dies wäre nur dann richtig, wenn die Abschiebungsandrohung ausschließlich auf die infolge der Rücknahme der Aufenthaltstitel eingetretene Ausreisepflicht gestützt wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Abschiebungsandrohung knüpft nach der Begründung unter V. des Bescheids vom 02.03.2009 ausdrücklich - kumulativ - daran an, dass der Antragsteller infolge der Rücknahme der Aufenthaltstitel (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) und der Ausweisung (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels und somit zur Ausreise verpflichtet sei. Damit tritt neben die auf der Rücknahme der Aufenthaltstitel fußende vollziehbare Ausreisepflicht mit der vollziehbaren Ausreisepflicht aufgrund der Ausweisung eine zusätzliche und selbstständige Beschwer. Der Antragsgegner kann die Abschiebung sowohl unter Berufung auf die durch die Rücknahme der Aufenthaltstitel entstandene vollziehbare Ausreisepflicht als auch gestützt auf die durch die Ausweisung entstandene vollziehbare Ausreisepflicht vollziehen. Bei dieser Sachlage besteht ein Rechtsschutzinteresse auch für den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Ausweisung (Funke-Kaiser in GK-AufenthG, § 81 AufenthG Rn. 69 m.w.N.; vgl. auch HessVGH, Beschl. v. 20.01.2004 - 12 TG 3204/03 - EZAR 622 Nr. 42). Nimmt die Ausländerbehörde zwei mögliche Vollstreckungsgrundlagen für sich in Anspruch, ist es nach dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG und dem Gebot der "Waffengleichheit" geboten, dass der Ausländer sich mittels eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen beide Vollstreckungsgrundlagen zur Wehr setzen kann (Fortentwicklung der Rechtsprechung des Senats; vgl. Beschl. v. 11.09.2008 - 11 S 2042/08 - VBlBW 2009, 37).

Am Rechtsschutzinteresse fehlt es voraussichtlich auch nicht deshalb, weil der Antragsteller vorübergehend in die Türkei ausgereist ist, um seine jetzige Ehefrau zu heiraten. Zwar dürfte er nunmehr auch aufgrund der unerlaubten Wiedereinreise kraft Gesetzes vollziehbar ausreisepflichtig sein (§ 58 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG), es ist aber nicht ersichtlich, dass er mit der lediglich vorübergehenden Ausreise seiner Ausreisepflicht nachkommen wollte. Ebenso ist nicht erkennbar, dass der Antragsgegner mit der vorübergehenden Ausreise die ursprüngliche Ausreiseverpflichtung als erfüllt ansieht und von der streitgegenständlichen Abschiebungsandrohung keinen Gebrauch mehr machen will.

b) Die Ausweisung erweist sich voraussichtlich als rechtswidrig. Es spricht vieles dafür, dass der Antragsteller mit seiner Ehefrau in ehelicher Lebensgemeinschaft lebt und daher besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG genießt. Das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft wurde im Beschwerdeverfahren durch die Vorlage der von dem Antragsteller und von seiner Ehefrau unterzeichneten eidesstattlichen Versicherung vom 11.11.2009 hinreichend glaubhaft gemacht. Etwa noch bestehende Zweifel können im Widerspruchsverfahren und ggf. in einem sich daran anschließenden gerichtlichen Hauptsacheverfahren weiter aufgeklärt werden.

Der Antragsteller darf daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 - BVerwGE 101, 247 = InfAuslR 1997, 8) liegen schwerwiegende Gründe im Sinne des mit § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG wortgleichen § 48 Abs. 1 Satz 1 AusIG vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisungen ein deutliches Übergewicht hat. Die Beurteilung, die voller verwaltungsgerichtlicher Nachprüfung unterliegt, ist dabei an den Ausweisungszwecken auszurichten. Soll durch die Ausweisung eine von dem ausgewiesenen Ausländer ausgehende Gefahr neuer Verfehlungen abgewehrt werden, sind die genannten Anforderungen unter zwei Voraussetzungen gegeben: Zum einen muss dem Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht zukommen, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Hier kommt dem Ausweisungsanlass kein hinreichendes Gewicht zu. Verlangt wird insoweit im Allgemeinen eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die in ihrem Schweregrad den Ist- oder Regelausweisungstatbeständen der §§ 53, 54 AufenthG zumindest nahe kommt (vgl. Hailbronner, AuslR, Kommentar, A 1 § 56 Rn. 43 m.w.N.). Eine Geldstrafe bietet grundsätzlich keinen ausreichenden Ausweisungsanlass (Hailbronner, a.a.O. Rn. 44). Gegen den Antragsteller wurde lediglich eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen wegen eines aufenthaltsrechtlichen Vergehens verhängt. Bei dieser Sachlage kommt dem Ausweisungsanlass auch mit Blick auf die generalpräventiven Ausweisungsgründe, auf die die Ausweisung zusätzlich gestützt wird, wohl kein besonderes Gewicht zu. [...]