OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 22.01.2010 - 2 B 485/09 - asyl.net: M16630
https://www.asyl.net/rsdb/M16630
Leitsatz:

1. Einzelfall einer Ausländerin mit langjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet, die die Voraussetzungen zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 S. 4 i.V.m. § 35 Abs. 1 AufenthG jedenfalls mangels Sicherung des Lebensunterhalts nicht erfüllt.

2. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 Abs. 1 EMRK unter dem Aspekt des Privatlebens kommt dann in Betracht, wenn von der abgeschlossenen "gelungenen" Integration des Ausländers in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Ausreisehindernisses in diesem Sinne ist, ausgegangen werden kann. Nicht ausreichend ist, dass sich der Betreffende über einen langen Zeitraum im Inland aufgehalten hat.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Niederlassungserlaubnis, Beschwerdeverfahren, Ermessen, Sicherung des Lebensunterhalts, Prognose, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen
Normen: AufenthG § 26 Abs. 4, AufenthG § 9 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 35 Abs. 1, AufenthG § 25 Abs. 2, AufenthG § 81 Abs. 4, AufenthG § 25 Abs. 5, EMRK Art. 8
Auszüge:

[...]

Ein Anspruch der Antragstellerin auf die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ergibt sich entgegen ihrer Auffassung aber auch nicht nach § 26 IV 4 i.V.m. § 35 I AufenthG. § 26 IV 4 AufenthG ermöglicht Kindern mit einem humanitären Aufenthaltsrecht unter den gleichen Voraussetzungen die Aufenthaltsverfestigung, wie sie bei Kindern gelten, die eine zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilte Aufenthaltserlaubnis besitzen. Dabei kann dahinstehen, ob die Antragstellerin die Tatbestandsvoraussetzungen des § 26 IV 4 AufenthG erfüllt, nachdem sie zwar vor Vollendung des 18. Lebensjahres nach Deutschland eingereist und auch im Zeitpunkt der Antragstellung am 28.10.2008 im Besitz einer aus humanitären Gründen erteilten und am 27.11.2006 bis 15.11.2008 verlängerten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 II AufenthG war - die gemäß § 81 IV AufenthG bis zum Erlass des Ablehnungsbescheids durch den Antragsgegner als fortbestehend galt -, die Voraussetzungen für eine Verlängerung bzw. - erneute - Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß den §§ 22 bis 25 AufenthG - wie noch auszuführen ist – jedoch nicht - mehr - vorlagen. (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.5.2007 – 11 S 2093/06 -: nicht erforderlich für Anspruch nach § 26 IV AufenthG; ebenso OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.4.2009 - 7 A 11361/08 -; a.A. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.1.2005 - 18 B 60/05 - ; Zeitler, HTK-AuslR/ § 26 AufenthG/ zu Abs. 4 12/2009 Nr. 10) Denn die Antragstellerin erfüllt jedenfalls nicht die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden § 35 I 2 AufenthG, dessen entsprechende Anwendung nach § 26 IV 4 AufenthG im Ermessen der Behörde steht. Nr. 3 dieser Regelung setzt voraus, dass der Lebensunterhalt des Ausländers (Vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 24.9.2009 - 2 A 287/08 – zur Frage der Unterhaltssicherung im Rahmen des § 9 II 1 Nr. 2 AufenthG) gesichert ist. Dies ist bei der Antragstellerin nicht der Fall. [...]

Daraus folgt, dass dem Antragsteller, der sein Aufenthaltsrecht von der Antragstellerin ableitet, kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG zusteht.

Auch soweit der Antragsgegner einen - hilfsweise geltend gemachten - Anspruch der Antragsteller auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach anderen Rechtsgrundlagen ausschließt, bestehen gegen die Richtigkeit dieser Annahme keine durchgreifenden Bedenken.

Zunächst steht den Antragstellern ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 V AufenthG entgegen ihrer Annahme nicht zu. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 I AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Durch die Ablehnung des Antrags der Antragsteller auf Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels durch den Antragsgegner sind diese vollziehbar ausreisepflichtig geworden (vgl. §§ 50 I, 58 II, 84 I AufenthG). Eine hier allein in Betracht kommende rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise wegen eines Eingriffs in ihr durch Art. 8 I EMRK geschütztes Privatleben - das von Eltern und Geschwistern unabhängige gemeinsame Familienleben der erwachsenen und miteinander verheirateten Antragsteller kann von ihnen auch in der Türkei (fort)geführt werden, ist durch eine Versagung eines Aufenthaltstitels somit nicht berührt - ist nicht anzunehmen. Eine schützenswerte Rechtsposition eines Ausländers auf dieser Grundlage kommt allenfalls dann in Betracht, wenn von seiner abgeschlossenen "gelungenen" Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Ausreisehindernisses auf der Grundlage des Art. 8 I EMRK ist, ausgegangen werden kann. Nicht ausreichend ist dagegen, dass sich der Betreffende über einen langen Zeitraum im Inland aufgehalten hat. (Dazu zuletzt OVG des Saarlandes, Beschluss vom 15.1.2010 - 2 B 508/09 - m.z.w.N.) Eine gelungene Integration der beiden Antragsteller, die die Annahme rechtfertigte, dass sie ein Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK, das durch wirtschaftliche, persönliche und soziale Beziehungen gekennzeichnet ist, faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat Deutschland führen könnten, ist nicht feststellbar.

Zwar ist die 22-jährige Antragstellerin schon im Alter von zwei Jahren nach Deutschland eingereist und in Deutschland aufgewachsen. Allerdings hielt sie sich bis zu ihrem 17. Lebensjahr – mit ihrer Familie - ohne Aufenthaltsrecht und zudem bis Anfang 2002 (Vgl. Bl. 31 ff. Verwaltungsunterlagen betr. die Antragstellerin) unter falscher - libanesischer - Identität hier auf, so dass sie bis dahin ein Bleiberecht keinesfalls erwarten konnte. Erst nachdem sie mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 25.10.2004 die Feststellung erhielt, dass die Voraussetzungen des § 51 AuslG hinsichtlich der Türkei vorlägen, wurde ihr in der Folge am 16.11.2004 eine Aufenthaltsbefugnis erteilt, die ab 1.1.2005 als Aufenthaltserlaubnis fortgalt und am 27.11.2006 bis 15.11.2008 verlängert wurde. Auf ihren Flüchtlingsstatus verzichtete sie indes am 28.1.2008, um mit ihrem Ehemann in die Türkei in Urlaub reisen und ihre Schwiegereltern besuchen zu können (vgl. Bl. 111, 122 Verwaltungsunterlagen betr. die Antragstellerin).

Trotz ihres langen Aufenthalts in Deutschland ist der Antragstellerin eine wirtschaftliche Integration nicht gelungen. Über die schulische Laufbahn der Antragstellerin, auf der eine berufliche Qualifikation üblicherweise aufbaut, ist nach Aktenlage ebenso wie über eine berufliche Ausbildung nichts bekannt. In der Heiratsurkunde (Bl. 269 Verwaltungsunterlagen betr. den Antragsteller) ist ihr Beruf mit "Verkäuferin" angegeben. Aus den Verwaltungsunterlagen ergibt sich lediglich, dass sie zeitweilig berufstätig gewesen ist, und zwar ausweislich der Gehalts-Abrechnung bzw. eines nicht unterzeichneten Anstellungsvertrags als Aushilfskraft bzw. Verkaufskraft bei ihrem Bruder. Keinerlei Angaben zur angebotenen Stelle lassen sich den beiden Arbeitsangeboten - bei "C" und bei M - entnehmen. Soweit ersichtlich, hat die Antragstellerin seit ihrer Eheschließung vom 10.2.2006 noch zu keinem Zeitpunkt ihren Lebensunterhalt selbst sichern können. Ihr ist es offensichtlich noch nicht gelungen, im deutschen Wirtschaftsleben Fuß zu fassen.

Eine Verwurzelung der Antragstellerin in Deutschland ist schließlich auch nicht in ihren persönlichen und sozialen Beziehungen dargetan. Der Vortrag der Antragsteller, dass sie ihre "prägende Zeit" in Deutschland verbracht hätten, ist ebenso wenig aussagekräftig wie ihr Hinweis, dass "Anhaltspunkte" dafür, dass eine Verwurzelung nicht vorliege, bei ihnen nicht gegeben seien. Konkret zu ihren Bindungen ist lediglich ihr Engagement im "T e.V." (Bescheinigung des Vereins (ohne Datum, beim Prozessbevollmächtigten der Antragsteller eingegangen am 28.10.2009), Bl. 91 Gerichtsakte) vorgetragen worden. Sie hat damit nicht nachvollziehbar dargelegt, dass sie eine "faktische Inländerin" geworden ist.

Eine derartige Verwurzelung im Bundesgebiet ist auch bei dem Antragsteller nicht erkennbar. Der Antragsteller, der im Alter von 8 Jahren ins Bundesgebiet eingereist war, insgesamt drei Asylverfahren - davon das letzte als Volljähriger - unter drei verschiedenen Identitäten ohne Erfolg durchlaufen hatte, insofern straffällig und ausgewiesen geworden war, hielt sich ab September 2002 in seinem Heimatland auf. Er hat erst zur Eheschließung mit der Antragstellerin wieder ins Bundesgebiet einreisen dürfen und am 14.2.2006 erstmals eine ehebezogene Aufenthaltserlaubnis erhalten. Schon aufgrund dieses Werdegangs kann nicht angenommen werden, dass der Antragsteller, der allerdings einen Hauptschulabschluss aufzuweisen hat, zum faktischen Inländer geworden ist. Eine soziale Integration ist - auch unter Berücksichtigung seiner Mitgliedschaft im Verein T - ebenso wenig belegt wie eine wirtschaftliche Integration. Letztere konnte mit den vorgelegten Lohnbescheinigungen vom Januar und Juli 2009, wonach er für seine Tätigkeit bei Y einen Bruttolohn in Höhe von 700 EUR (558,01 EUR netto) bezog, der zur Sicherung des Lebensunterhalts offensichtlich nicht ausreichte, nicht begründet werden. Das gilt auch für das vorgelegte "unwiderrufliche" Arbeitsangebot des Y (ohne Datum) – unbefristeter Arbeitsvertrag mit einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 881,89 EUR bei gültiger Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis –, das ausweislich der vorgelegten Verdienstbescheinigungen für September bis November 2009 inzwischen realisiert wurde. Zum einen lässt sich der Verdienstbescheinigung vom September 2009 zum Gesamt-Brutto ("882,00") entnehmen, dass ein Arbeitsverhältnis im August 2009 nicht - mehr - bestanden hat, da ansonsten das im Juli ausgewiesene Gesamt-Brutto ("4.900,00") fortgeschrieben worden wäre. Zum anderen lässt sich die Dauerhaftigkeit des neuen Arbeitsverhältnisses noch nicht beurteilen. Schließlich ist auch nicht vorgetragen, dass der Antragsteller über so starke persönliche Bindungen im Bundesgebiet verfüge, die sein Verbleiben in Deutschland erforderten. Für eine Verwurzelung des Antragstellers im Bundesgebiet spricht daher nichts durchgreifend. [...]