VG Schleswig-Holstein

Merkliste
Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 07.08.2009 - 7 A 93/07 [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 123] - asyl.net: M16641
https://www.asyl.net/rsdb/M16641
Leitsatz:

Nach dem Deutsch-Syrischen-Rückführungsabkommen vom 25.7.2008 besteht für in Deutschland geborene Kinder staatenloser Kurden aus Syrien keine Rückkehrmöglichkeit nach Syrien.

Schlagwörter: Syrien, staatenlos, Kurden, Yeziden, Zielstaatsbezeichnung, Rückübernahmeabkommen, Deutsch-Syrisches Rückübernahmeabkommen, Qualifikationsrichtlinie
Normen: AsylVfG § 14a Abs. 2, RL 2004/83/EG Art. 13, RL 2004/83/EG Art. 11 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 1, GFK Art. 1 A Nr. 2, AsylVfG § 34 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 59 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Begehren hinsichtlich der Asylgewährung und der Feststellung von Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG sind gegenstandslos. In Bezug auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG kann das Gericht von einer Prüfung von Abschiebungshindernissen absehen, da der angegriffene Bescheid keine Zielstaatsbestimmung "Arabische Republik Syrien" enthält und damit bereits vom Bundesamt dem Umstand Rechnung getragen worden ist, dass eine Rückführung nach Syrien derzeit nicht in Aussicht genommen werden kann.

Eine Anerkennung als Asylberechtigter und Feststellung von Abschiebungshindernissen gem. § 60 Abs. 1 AufenthG kommt im Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) nicht in Betracht. Die Klage ist insoweit gegenstandslos, da die Klägerin eine staatenlose Kurdin aus Syrien ist und nicht dorthin zurückkehren kann.

Es ist nämlich nach der übereinstimmenden Auskunftslage (vgl. etwa Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 30.01.2001 an VG Aachen, vom 26.04.2001 an VG Saarlouis, vom 28.01.2002 an VG Ansbach vom 14. Januar 2004 an VG Darmstadt) davon auszugehen, dass staatenlosen Kurden die Einreise nach Syrien derzeit und in absehbarer Zeit rechtlich und faktisch nicht möglich ist. Es gibt eine Gruppe von etwa 120.000 bis 150.000 staatenlosen bzw. nicht registrierten Kurden, die der syrische Staat während der Dauer ihres Aufenthaltes in Syrien duldet, denen aber insbesondere, wenn sie Syrien illegal verlassen haben, die Wiedereinreise nach Syrien nicht möglich ist, und zwar auf Dauer (vgl. dazu die bereits genannten Quellen und AA, Lagebericht vom 14.07.2005; Hajo/Savelsberg, Die Situation staatenloser Kurden in Syrien, Anfang 2004; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien, Update Mai 2004, Bundesamt, Syrien-Staatenlose Kurde, Februar 2002).

Dabei handelt es sich indes nicht um eine gezielte, asylerhebliche Ausgrenzung (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 24.03.2009, 2 LB 643/07; OVG Magdeburg, Urteil vom 09.11.2005, 3 L 264/03, Revision nicht zugelassen durch BVerwG, Beschluss vom 24.05.2006, 1 B 9/06; OVG Münster, Beschluss vom 25.08.2005, 3 A 3339/03.A; OVG Lüneburg, Beschluss vom 02.08.2004, 2 LA 342/03; OVG Lüneburg, Urteil vom 22.06.2004, 2 L 6129/96; OVG Magdeburg, Urteil vom 09.06.2004, 3 L 246/01; Bayr. VGH, Urteil vom 17.09.2003, 19 B 00.30900; OVG Saarlouis, Beschluss vom 13.09.2002, 3 R 3/02).

In Syrien leben über 1 Million Kurden, einzelne Quellen nennen sogar die Zahl von 2 Millionen. Die syrische Gesetzgebung ist nicht diskriminierend. Sie ist darauf ausgerichtet, den diversen ethnischen und religiösen Gruppen und Minderheiten neutral gegenüber zu stehen. Die überwiegende Zahl von kurdischen Volkszugehörigen sind syrische Staatsbürger mit allen bürgerlichen Rechten und Pflichten, die allein auf Grund ihrer kurdischen Abstammung keinen besonderen Repressionen ausgesetzt sind, auch wenn die politische Überwachung und Bespitzelung in Nordsyrien, das von Kurden überdurchschnittlich stark bewohnt wird, intensiver ist als in den südlichen Landesteilen. Solche kurdischen Staatsangehörigen können nach Syrien zurückkehren. Auch führt allein die Stellung eines Asylantrages bei der Wiedereinreise nicht zu Repressionen (vgl. AA, Lagebericht vom 14.07.2005).

Der Staat indes, der aus im asylrechtlichen Sinne nicht politischen Gründen die Wiedereinreise verweigert, löst damit die Beziehung zu dem Staatenlosen und hört damit auf, für den Betreffenden das Land des gewöhnlichen Aufenthalts zu sein. Er steht dem Staatenlosen dann in gleicher Weise gegenüber wie jeder andere auswärtige Staat und ist nicht mehr taugliches Subjekt "politischer Verfolgung" im Sinne des Asylrechtes. Die Bundesrepublik Deutschland wird nunmehr das Land seines gewöhnlichen Aufenthaltes. Dann aber ist es unter asylrechtlichen Gesichtspunkten ebenso wie im Hinblick auf § 60 Abs. 1 AufenthG, der insoweit tatbestandlich nicht weiter reicht als Art. 16 a Abs. 1 GG, unerheblich, ob dem Staatenlosen im früheren Aufenthaltsland - könnte und würde er dorthin zurückkehren - noch Verfolgung droht. Damit wird ein Asylanspruch gegenstandslos, der Status der betroffenen Person richtet sich dann nach dem Übereinkommen vom 28.09.1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (BGBl. 1976 II s. 473 und 1977 II S. 235 - StlÜbk) Art. 31 StlÜbk gewährleistet ihnen einen besonderen Ausweisungs- und Abschiebungsschutz (so BVerwG, Urteil vom 22.02.2005, 1 C 17/03).

Von daher ist es unerheblich, ob der Klägerin in dem Herkunftsland ihrer Eltern, Syrien, politische Verfolgung droht (vgl. auch OVG Saarlouis, Beschluss vom 13. September 2002 - 3 L 3/02 -; OVG Lüneburg, Urteile vom 09. April 1998 - 6 A 788/97 und vom 27. März 2001 - 2 L 2505/98 und 2 L 5117/97 sowie BVerwG in AuslR 2004, 43, sowie in Bezug auf staatenlose Palästinenser aus dem Libanon: BVerwG, InfAuslR 1996, 225 ff).

Diese rechtliche Bewertung wird auch nicht durch die Anwendbarkeit der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 nach § 60 Abs. 1 AufenthG in Frage gestellt. Denn die Flüchtlingsanerkennung setzt voraus, dass im Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung eine asylrelevante Verfolgungsgefahr - bezogen auf die Rückkehr in den Heimatstaat - aktuell besteht. Bereits in Art. 1 A Nr. 2 GK wird auch in Bezug auf Staatenlose maßgeblich auf die Rückkehr in das Land des bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltes abgestellt. Insofern ist es in diesem Zusammenhang nicht entscheidend, ob es sich um Staatsangehörige eines Staates oder Staatenlose handelt. Auch im Hinblick auf Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG ist es daher unerheblich, ob eine etwa bestehende Flüchtlingseigenschaft erloschen ist, da es nicht ausreichend ist, darauf abzustellen, ob eine bei der Ausreise bestehende (Vor- )Verfolgung wegen der Ethnie bestanden haben mag. Aus der Richtlinie lassen sich keine dem entgegenstehenden Aussagen entnehmen. Ebenso wenig sind nach der Richtlinie andere als asylerhebliche Gefahren, die dem Einzelnen wegen der in Art. 1 A Nr. 2 GFK genannten und nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG schutzbegründenden Merkmale bei einer Rückkehr im Heimatstaat drohen, geeignet, eine Flüchtlingsanerkennung zu rechtfertigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.05.2006, 1 B 9/06 zu OVG Magdeburg, Urteil vom 09.11.2005, 3 L 264/03). Eine Änderung der in diesen Fällen maßgeblichen materiellen Rechtslage ist danach auch durch die unmittelbare Anwendbarkeit der Qualifikationsrichtlinie nicht eingetreten.

Nach Überzeugung des Gerichts handelt es sich bei der Klägerin um eine staatenlose Kurdin aus Syrien, der auf Dauer eine Rückkehr nach Syrien nicht möglich ist. Dies ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers zu 1) im Verfahren 7 A 113/02 und der in dem dortigen Verfahren getroffenen Würdigungen. Nach dem Urteil in diesem Verfahren sind die 1974 und 1980 geborenen Eltern der Klägerin staatenlose Kurden aus Syrien.

Auch aus dem inzwischen in Kraft getretenen Rückführungsabkommen (Bekanntmachung des deutsch-syrischen Abkommens über die Rückführung von illegal aufhältigen Personen und des Protokolls zur Durchführung dieses Abkommens vom 25.07.2008, BGBl. II S. 811, in Kraft getreten im Januar 2009) ergibt sich nicht, dass eine Rückkehrmöglichkeit für die Klägerin in das Herkunftsland ihrer Eltern besteht. Nach Art. 2 Abs. 2 des Abkommens übernimmt jede Vertragspartei jeden Drittstaatsangehörigen oder jede staatenlose Person, wenn nachgewiesen oder glaubhaft gemacht wird, dass diese Person nach einer Einreise in, einem Aufenthalt im oder einer Durchreise durch das Hoheitsgebiet der ersuchten Vertragspartei unmittelbar in das Hoheitsgebiet der ersuchten Vertragspartei eingereist sind. Dieser Wortlaut macht deutlich, dass danach ein in der Bundesrepublik Deutschland geborener Abkömmling eines aus Syrien stammenden Staatenlosen nicht unter diese Regelungen fällt, da keine unmittelbare Einreise vorliegen kann. Auch finden sich im gesamten Abkommen keine Hinweise darauf oder Regelungen dazu, wie mit Abkömmlingen von eventuell unter dieses Abkommen fallenden Personen verfahren werden soll.

Danach eröffnet dieses Abkommen keine Rückkehroption für die Klägerin, so dass es bei dem oben genannten Befund verbleibt, dass die Klägerin nicht nach Syrien zurückkehren kann.

Grundsätzlich dürfte in einem solchen Fall nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 10. Juli 2003, 1 C 21.02) ausnahmsweise die Zielstaatsbestimmung Syrien im angefochtenen Bescheid ohne Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG aufgehoben werden (vgl. OVG SH, Beschluss vom 08.12.2005, 1 LB 80/03). Auch könnte die Abschiebungsandrohung dann in diesem Falle keinen Bestand haben.

Nach § 59 Abs. 3 S. 2 AufenthG ist in der Abschiebungsandrohung der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Wie sich aus § 59 Abs. 3 S. 3 AufenthG ergibt, bleibt bei der Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots durch das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt. Das Bundesverwaltungsgericht hat zur Zielstaatsbezeichnung "Syrien" bei staatenlosen Kurden in seinem Urteil vom 10. Juli 2003 - 1 C 21.02 - (EZAR 223 Nr. 18) ausgeführt:

" (...) Grundsätzlich darf sich ein Gericht in einem Asylstreitverfahren nicht der Prüfung entziehen, ob Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Bundesamt darüber entschieden hat und es im gerichtlichen Verfahren darauf ankommt (...). Dass das Bundesamt regelmäßig zu der Feststellung berechtigt und verpflichtet ist, ob Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, ergibt sich insbesondere aus § 31 Abs. 3 AsylVfG (vgl. auch § 24 Abs. 2 AsylVfG). In § 31 Abs. 3 S. 2 und Abs. 5 AsylVfG ist im Einzelnen geregelt, in welchen Fällen ausnahmsweise von einer derartigen Feststellung abgesehen werden kann. Hat das Bundesamt - nur diese Alternative ist vorliegend von Belang - festgestellt, dass hinsichtlich eines bestimmten Zielstaates keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, und gleichzeitig gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 AsylVfG die Abschiebung in diesen Staat angedroht, so muss das Gericht auf die Klage des Asylbewerbers diese Entscheidungen umfassend prüfen. Auch in Fällen, in denen aus tatsächlichen Gründen wenig oder keine Aussicht besteht, den Ausländer in absehbarer Zeit abschieben zu können, ist das Bundesamt ermächtigt und regelmäßig gehalten, eine "Vorratsentscheidung" zu § 53 AuslG und in der Abschiebungsandrohung zu treffen und dem Asylsuchenden damit die gerichtliche Überprüfung einer derartigen Entscheidung zu eröffnen, um diese Fragen möglichst frühzeitig zu klären und nicht weiteren behördlichen bzw. gerichtlichen Verfahren vorzubehalten. (...)

Bei einer Fallkonstellation wie der vorliegenden darf ein Gericht jedoch ausnahmsweise von der Prüfung absehen, ob Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen und die Zielstaatsbezeichnung aufheben. (...) Es darf aber auch die Abschiebungsandrohung hinsichtlich eines bestimmten Zielstaates als rechtswidrig aufheben, wenn - wie hier - aufgrund der Prüfung des Asylbegehrens zweifelsfrei feststeht, dass die Androhung auf Vorrat den vom Gesetzgeber verfolgten Ermächtigungszweck ausnahmsweise verfehlt, weil eine zwangsweise Abschiebung und eine freiwillige Rückkehr in diesen Staat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich erscheinen (...)"

Dafür ist indes hier kein Raum, da bereits das Bundesamt von einer konkreten Zielstaatsbestimmung und Bezeichnung eines Zielstaates in der Abschiebungsandrohung abgesehen hat. [...]