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VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 29.12.2009 - 35 A 213.06 - asyl.net: M16679
https://www.asyl.net/rsdb/M16679
Leitsatz:

1. Bei staatenlosen Palästinensern aus dem Libanon ist grundsätzlich von einer tatsächlichen Unmöglichkeit der freiwilligen Ausreise und Abschiebung auszugehen und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses regelmäßig auch in absehbarer Zeit nicht zu rechnen.

2. Keine Sperrwirkung hinsichtlich der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 10 Abs. 3 AufenthG, da der Offensichtlichkeitsausspruch des BAMF nicht eindeutig auf diese Vorschrift gestützt wird.

 

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Palästinenser, Libanon, offensichtlich unbegründet, Sperrwirkung
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5, AufenthG § 10 Abs. 3 S. 2
Auszüge:

[...]

Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist, § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG. Nach den Erkenntnissen des Beklagten, die sich mit denen des Gerichts decken, ist bei staatenlosen Palästinensern aus dem Libanon grundsätzlich von einer tatsächlichen Unmöglichkeit der freiwilligen Ausreise und Abschiebung auszugehen und mit einem Wegfall des Ausreisehindernisses regelmäßig auch in absehbarer Zeit nicht zu rechnen (Weisung E.Lib.3., Stand 6. April 2009, Absatz 1). Anhaltspunkte dafür, dass im Falle des Klägers bei ernsthaften Rückkehrbemühungen eine Ausnahme von diesen Erfahrungswerten bestehen könnte, sind nicht ersichtlich und vom Beklagten auch nicht dargetan. Demzufolge ist davon auszugehen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach § 25 Abs. 5 AufenthG vorliegen. Entgegenstehende Ausweisungsgründe nach den §§ 53 oder 54 AufenthG liegen im Falle des Klägers nicht vor (vgl. die Weisung E.Lib.3, a.a.O., Abschnitt II., 1.). Ob er demnach nunmehr nach § 25 Abs. 5 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erhalten kann, muss die Ausländerbehörde bei der gebotenen Ermessensentscheidung prüfen, ohne sich - wie in dem angefochtenen Bescheid geschehen - auf die Sperrwirkung von § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG berufen zu können.

Nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG darf einem Ausländer vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden, sofern ein vorheriger Asylantrag nach § 30 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde und kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht (§ 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Vorliegend kann dahinstehen, ob danach die Sperrwirkung auch im Falle einer Sollvorschrift (wie § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG) überwunden werden kann (vgl. dazu: BayVGH, Beschluss vom 15. Januar 2009 - 19 C 08.2281 -, Rdnr. 6, zitiert nach juris; GK-AufenthG 18, Rdnr. 193 zu § 25 AufenthG; Hailbronner, AuslR, Rdnr. 22 zu § 10 AufenthG), oder ob sie bei Rücknahme des Asylantrages (statt der Klage) entfallen würde (ablehnend: BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - 1 C 37/07 -, Rdnr. 18, zitiert nach juris). Auch kommt es nicht darauf an, ob dem Kläger drei Jahre nach seiner Einreise möglicherweise vom Sozialamt die Stellung eines (von vornherein aussichtslosen) Asylantrages nahegelegt worden ist. Denn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG liegen im Falle des Klägers nicht vor, weil sich dem Ablehnungsbescheid des Bundesamts vom 25. Juli 2006 nicht entnehmen lässt, dass sein Asylantrag nach § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt worden ist. Die gegenteilige Auffassung des Beklagten hält einer richterlichen Prüfung nicht stand. Das Bundesverwaltungsgericht führt diesbezüglich in seinem Urteil vom 25. August 2009 (BVerwG 1 C 30.08, zitiert nach juris, Rdnr. 19) Folgendes aus:

"Die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 AsylVfG setzt voraus, dass sich aus dem Bescheid des Bundesamts für den Betroffenen eindeutig ergibt, dass der Offensichtlichkeitsausspruch gerade auf diese Vorschrift gestützt wird. Die bloße Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet reicht hierfür nicht aus, weil das Gesetz nicht nur in den Fällen des § 30 Abs. 3 AsylVfG, sondern auch in anderen Fällen eine derartige Ablehnung vorsieht. So ist nach § 30 Abs. 1 AsylVfG ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter oder für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen, was in Absatz 2 der Vorschrift beispielhaft erläutert wird. Bei Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder § 3 Abs. 2 AsylVfG schreibt § 30 Abs. 4 AsylVfG ebenfalls die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet vor. Für eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 AsylVfG ist es deshalb in der Regel erforderlich, dass die Vorschrift, wenn schon nicht im Tenor, so doch zumindest in der Begründung des Bescheides ausdrücklich genannt wird. Angesichts der gravierenden Rechtsfolgen, die § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG an eine solche qualifizierte Ablehnung knüpft und die nur durch Einlegung von Rechtsmitteln gegen diese Ablehnung vermieden werden können, ist es ein Gebot der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, dass die Rechtsgrundlage für den Offensichtlichkeitsausspruch für den Betroffenen insoweit eindeutig und klar erkennbar ist. Dies ist auch mit Blick auf die Ausländerbehörde geboten, die nach der gesetzlichen Konzeption im aufenthaltsrechtlichen Verfahren an den Bescheid des Bundesamts gebunden ist und ihm ohne eigene inhaltliche Prüfung eindeutig entnehmen können muss, dass der Offensichtlichkeitsausspruch auf einen der Missbrauchstatbestände des § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützt wurde."

Diesen Anforderungen, die sich auch das erkennende Gericht zu eigen macht, genügt der hier zu beurteilende Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. November 2005 nicht. Zwar wurde der Asylantrag des Klägers darin als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt, es fehlt jedoch sowohl im Tenor als auch in den Gründen an der erforderlichen eindeutigen Subsumption des Sachverhalts unter § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Erwähnung findet diese Vorschrift lediglich im allgemeinen Vorspann des Bescheides, gleichrangig neben den vorliegend unbeachtlichen Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 des § 30 AsylVfG. Die Ablehnung des Asylantrages wird jedoch sodann in der Begründung auf keine dieser drei Alternativen ausdrücklich gestützt; vielmehr wird der Vortrag des Klägers lediglich ohne Subsumption unter eine bestimmte Vorschrift an verschiedenen Stellen als "letztlich nicht glaubhaft", "vage", "unsubstantiiert" und "selbstwidersprüchlich" bezeichnet. Dies mag zwar darauf hindeuten, dass auf die Tatbestandsvoraussetzungen von § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG Bezug genommen werden sollte. Dort heißt es jedoch weitergehend, dass das Vorbringen des Ausländers als Voraussetzung für eine Ablehnung des Antrages als offensichtlich unbegründet "in wesentlichen Punkten" nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich sein müsse. Insofern fehlt es bereits an einer vollständigen Zuordnung des klägerischen Vortrages zu dem gesetzlichen Tatbestand des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Darüber hinaus verweist der Bescheid sogar ausdrücklich auf die Alternative, dass der Asylantrag bei Wahrunterstellung der vom Kläger geschilderten Rolle als Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen als "offensichtlich unbegründet" nach § 30 Abs. 2 AsylVfG einzustufen gewesen wäre. Werden jedoch auch andere Gründe für den Offensichtlichkeitsausspruch angeführt, ist es umso mehr geboten, eindeutig klarzustellen, dass auch § 30 Abs. 3 AsylVfG als weitere Rechtsgrundlage herangezogen wird; im Übrigen lässt ein als unsubstantiiert bezeichnetes Vorbringen auch nicht ohne Weiteres den Schluss auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zu, da die Abgrenzung zwischen unsubstantiiertem, unglaubhaftem oder schlicht für ein Asylbegehren nicht ausreichendem Vorbringen ebenso fließend ist wie die Zuordnung zu den beiden in Betracht kommenden Offensichtlichkeitsgründen nach § 30 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Gerade wenn es um diese Abgrenzung geht, ist es Sache des Bundesamts, in dem Bescheid unzweideutig klarzustellen, dass es seinen Offensichtlichkeitsausspruch (auch) auf den Missbrauchstatbestand nach § 30 Abs. 3 AsylVfG stützen will. Alles andere würde in der Sache auf eine inhaltliche Überprüfung des Bundesamtsbescheides im Aufenthaltserlaubnisverfahren hinauslaufen, die vom Gesetzgeber gerade nicht gewollt war (BVerwG 1 C 30.08, a.a.O., Rdnr. 20). [...]