VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 22.02.2010 - 19 B 09.929 - asyl.net: M16734
https://www.asyl.net/rsdb/M16734
Leitsatz:

Rechtswidrigkeit einer Ausweisung. - Ausführliche Darstellung der Tablighi Jamaat und grundsätzliche Ausführungen zur Ausweisung nach § 54 Nr. 5 und 5 a AufenthG.

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Siehe hierzu auch BVerwG, Urteil vom 25.10.2011, 1 C 13.10.

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Schlagwörter: Ausweisung, Tablighi Jamaat, Unterstützung, Terrorismus, Meinungsfreiheit, Sicherheitsbefragung
Normen: AufenthG § 54 Nr. 5, AufenthG § 54 Nr. 5a, AufenthG § 54a, StGB § 129, SgGB § 129a, GG Art. 5 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 8, GG Art. 4 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Das Berufungsverfahren betrifft die Ausweisung eines bosnischen Staatsangehörigen wegen Zugehörigkeit zu Tablighi Jamaat (TJ), einer Vereinigung, die nach Auffassung des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz (BLfV) den Terrorismus unterstützt, sowie wegen Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland.

1. Tablighi Jamaat ("Gemeinschaft der Verkündigung und Mission") wurde um 1926 als islamische Erweckungs- und Missionierungsbewegung durch den Religionsgelehrten Maulawi Muhammad llyas (1885 - 1944) in Britisch-Indien gegründet. Sie hat heute den Charakter einer transnationalen Massenbewegung mit weltweit 10 - 12 Mio. Anhängern (Deutschland: 400; Bayern: 140). Ihre Anhänger vertreten eine wörtliche Auslegung des Koran und der Sunna und treten für eine strikt an den islamischen Vorschriften orientierte Lebensweise ein (Quellen: Verfassungsschutzbericht Bayern, 2008, S. 56 f. und Verfassungsschutzbericht des Bundes, 2008, S. 256).

Im Verfassungsschutzbericht 2008 des Freistaats Bayern wird TJ unter anderem zur Last gelegt, die Islamisierung der Gesellschaft zu bezwecken, um dadurch die Etablierung eines islamischen Staates zu erreichen. Ihre Bestrebungen (Ausgrenzung der Frau, Abgrenzungspolitik gegenüber Andersgläubigen) wirkten in nichtmuslimischen Gesellschaften zwangsläufig desintegrierend, so dass eine ernsthafte Hinwendung zu westlichen Gesellschaftsordnungen, Wertvorstellungen und Integrationsmodellen nicht möglich sei. Direkte Aufrufe zum "Dschihad" würden zwar vermieden, jedoch werde der ideologische Nährboden für den gewaltbereiten Extremismus bereitet. Von Einzelpersonen, die die Schulung der TJ durchlaufen hätten, sei bekannt, dass sie sich terroristischen Gruppierungen angeschlossen hätten (Quelle: Verfassungsschutzbericht Bayern, 2008, S. 56 f.).

2. Der 1973 geborene Kläger reiste im Dezember 1991 in das Bundesgebiet ein und beantragte erfolglos seine Anerkennung als Asylberechtigter. Im Hinblick auf die damalige Bürgerkriegssituation in seiner Heimat erhielt er jeweils befristete Duldungen. Im Anschluss hieran wurde ihm am 1. September 1995 eine bis 31. August 1996 befristete Aufenthaltsbefugnis erteilt. Nach Eheschließung mit einer niederländischen Staatsangehörigen erhielt er am 13. Februar 1996 eine bis 5. September 1999 befristete Aufenthaltserlaubnis, die am 12. Juli 1999 bis 11. Juli 2004 verlängert wurde. Die eheliche Lebensgemeinschaft mit der niederländischen Staatsangehörigen wurde am 20. November 2000 beendet. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor, für die die geschiedene Ehefrau das Sorgerecht besitzt. Auf Antrag erhielt der Kläger am 21. Juli 2003 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

3. Aufgrund bekannt gewordener Verbindungen zur TJ wurde mit dem Kläger am 7. Juli 2005 ein Sicherheitsgespräch geführt, bei dem er bestätigte, Mitglied von TJ zu sein und an deren Veranstaltungen im In- und Ausland teilzunehmen. Mit Bescheid der Regierung von Mittelfranken - Zentrale Rückführungsstelle Nordbayern - vom 15. August 2005 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziff. 1). Gleichzeitig wurde ihm unter Fristsetzung die Abschiebung angedroht (Ziff. 2). Ferner wurde er verpflichtet, sich einmal wöchentlich bei der zuständigen Polizeiinspektion zu melden (Ziff. 3). Der Aufenthalt des Klägers wurde auf das Gebiet des Landkreises Weißenburg-Gunzenhausen beschränkt (Ziff. 4). Zudem wurde die sofortige Vollziehung der Ziffern 1, 3 und 4 angeordnet (Ziff. 5). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger die Ausweisungstatbestände des § 54 Nr. 5 und Nr. 5 a AufenthG erfülle, da er einer Vereinigung angehöre, die den Terrorismus unterstütze und er die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährde. [...]

1. Die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG sind nicht erfüllt.

a) Nach § 54 Nr. 5 AufenthG wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat. Voraussetzung für die Anwendung dieses Regelausweisungstatbestandes ist demnach, dass die Vereinigung ihrerseits den Terrorismus unterstützt oder gar selbst terroristischen Charakter hat. Nur wenn feststeht, dass und zu welchem Zeitpunkt eine Vereinigung terroristische Bestrebungen unterstützt, kommt eine tatbestandsmäßige Unterstützung durch einzelne Personen in Betracht (vgl. BVerwG, U. v. 15.3.2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114 [129]; BayVGH, B. v. 9.11.2005 - 24 CS 05.2621 -, NVwZ 2006, 1306; B. v. 18.7.2006 - 19 C 06.1496 - juris; B. v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 - juris; VGH Kassel, B. v. 10.1.2006 - 12 TG 1911/05 -, NVwZ-RR 2007, 131). In Anlehnung an die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum strafrechtlichen Unterstützungsbegriff nach §§ 129, 129 a StGB entwickelten Kriterien ist als tatbestandserhebliches Unterstützen des Terrorismus jede Tätigkeit anzusehen, die auf die Förderung der Begehung terroristischer Akte durch andere gerichtet ist (vgl. BVerwG, U. v. 15.3.2005 - 1 C 26/03 -, BVerwGE 123, 114 [124]; Discher, in: GK-AufenthG, Stand: August 2009, § 54 RdNr. 463). Auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen kann die Ausweisung nur gestützt werden, wenn diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen (vgl. § 54 Nr. 5 2. HS. AufenthG). Dies setzt bei länger zurückliegenden Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen grundsätzlich eine gegenwartsbezogene Beurteilung des Ausländers und dessen Gefährlichkeit auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden voraus (vgl. BVerwG, U. v. 30.4.2009 - 1 C 6/08 -, NVwZ 2009, 1162 [1166]). [...]

Mit dem 34. Strafrechtsänderungsgesetz (vom 22.8.2002, BGBl I 3390) und dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Europäischen Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze (vom 22.12.2003, BGBI 1 2836) hat der Gesetzgeber den Bereich der sogenannten Sympathiewerbung aus der Strafbarkeit (§ 129 a StGB) ausgeschieden, um der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) besser Rechnung zu tragen (siehe Protokoll der 125. Sitzung des Rechtsausschusses der 14. Wahlperiode vom 24.4.2002, S. 33 ff.; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 24.4.2002, BT-Drs. 14/8893, S. 8). Tätigkeiten, die sich in einem Werben für die Ideologie und die Ziele einer terroristischen Vereinigung erschöpfen, können deshalb - anders als nach alter Rechtslage - nicht mehr unter den Unterstützungsbegriff des § 129 a Abs. 5 Satz 1 StGB n.F. subsumiert werden (vgl. BGH, B. v. 16.5.2007 - AK 6/07 u. StB 3/07 -, NJW 2007, 2782 [2783] unter ausdrückl. Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).

Dies hat, da der Begriff der Unterstützung des Terrorismus in § 54 Nr. 5 AufenthG sowohl nach der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, U. v. 15.3.2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114 [124 f.]) als auch der Literatur (siehe Discher, in: GK-AufenthG, Stand: August 2009, § 54 RdNrn. 465, 491 ff.) in enger Anlehnung an die vom Bundesgerichtshof zu §§ 129, 129 a StGB entwickelten Kriterien zu bestimmen ist, unmittelbare Wirkung auch für das Aufenthaltsrecht. Die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts für Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) erfasst das Strafrecht und das Aufenthaltsrecht gleichermaßen. Wird die Sympathiewerbung um der effektiveren Gewährleistung des Grundrechts der Meinungsfreiheit willen aus der Strafbarkeit herausgenommen und - anders als in der Vergangenheit - nicht mehr mit einem Unwerturteil belegt, kann im Rahmen des Ausweisungsrechts nichts anderes gelten. Der Begriff der Unterstützung des Terrorismus darf im Lichte der Freiheitsverbürgung der Grundrechte im Aufenthaltsrecht keine andere Bedeutung erfahren als im Strafrecht. Dort hat der Gesetzgeber und ihm folgend der Bundesgerichtshof die Sympathiewerbung von jeder Tatbestandswirkung freigestellt. Gleiches hat daher auch für das Aufenthaltsrecht zu gelten. Sicherheitslücken treten dadurch nicht auf. Entsprechende Verhaltensweisen werden bereits von § 55 Abs. 2 Nr. 8 AufenthG erfasst, sofern die dort im Einzelnen normierten Voraussetzungen vorliegen.

Das befürwortende Eintreten für eine terroristische Vereinigung, die Rechtfertigung ihrer Ziele oder der aus ihr heraus begangenen Straftaten sowie die Verherrlichung der Ideologie, aus der derartige Vereinigungen ihre Tätigkeit legitimieren und die gegebenenfalls auch Einzelpersonen zur Rechtfertigung für die Begehung von Straftaten dient, wird deshalb - anders als noch in der Vergangenheit - nicht mehr vom Begriff der Unterstützung des Terrorismus erfasst. Vielmehr muss sich zumindest aus den Gesamtumständen der Äußerung ergeben, dass der Werbende gezielt Mitglieder oder Unterstützer gewinnen will - und zwar zugunsten einer konkreten Organisation (vgl. BGH, B. v. 16.5.2007 - AK 6/07 u. StB 3/07 -, NJW 2007, 2782 [2785]).

Ein allgemein gefasster Aufruf, sich an nicht näher gekennzeichneten terroristischen Aktivitäten zu beteiligen, reicht für den erforderlichen Organisationsbezug nicht aus. Auch die Aufforderung, sich dem Dschihad anzuschließen, genügt für sich genommen nicht, da dieser Begriff nicht allein für den Kampf einer oder mehrerer terroristischer Vereinigungen steht, sondern für eine Vielzahl von islamistischen Aktivitäten, selbst wenn diese nicht durch terroristische Vereinigungen unternommen werden. Etwas anderes kann nach dem Bundesgerichtshof hinsichtlich des Aufrufs zum Dschihad nur dann gelten, wenn er durch eine Person erfolgt, die eine Vereinigung derartig herausgehoben repräsentiert, dass sich allein daraus ausreichend konkret ergibt, die Aufforderung gelte zu allererst oder zumindest auch zugunsten der repräsentierten Vereinigung (vgl. BGH, B. v. 16.5.2007 - AK 6/07 u. StB 3107 -, NJW 2007, 2782 [2785]). In diesen Fällen werden zumeist auch die Tatbestände des § 55 Abs. 2 Nr. 8 AufenthG unter dem Gesichtspunkt des Billigens oder Werbens für terroristische Taten bzw. des Aufforderns zu Gewaltmaßnahmen oder des § 54 Nr. 5a AufenthG unter dem Blickwinkel des Aufrufs zur Gewaltanwendung oder der Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland erfüllt sein.

Ein verbales Billigen des Terrorismus allein, das nicht zugleich auch auf die Gewinnung von Kämpfern oder Unterstützern für eine konkrete Organisation gerichtet ist, kann die Anwendung des § 54 Nr. 5 AufenthG deshalb entgegen der Ansicht des Beklagten nicht rechtfertigen. Insoweit kann - sofern die Voraussetzungen hierfür vorliegen - allein die Anwendung von § 55 Abs. 2 Nr. 8 a AufenthG in Betracht kommen. Ebenso wenig genügt es, wenn eine Vereinigung den Terrorismus nicht ausdrücklich ablehnt oder sich hiervon nicht distanziert. Das Grundrecht der Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) beinhaltet zugleich auch das Recht, die eigene Überzeugung zu verschweigen (vgl. BVerfGE 49, 375 [376]; 65, 1 [39]; Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140 GG, Art. 136 WRV RdNrn. 77 und 33 unter Hinweis auf Art. 137 Abs. 7 WRV; ebenso Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl., 2009, Art. 4 RdNr. 11 u. Art. 140/136 WRV RdNr. 4) oder zu entsprechenden Fragestellungen eine neutrale Haltung einzunehmen. Ein allgemeines Distanzierungsgebot ist damit nicht zu vereinbaren (siehe auch Art. 140 GG/Art. 136 Abs. 3 WRV). Der Einzelne würde andernfalls gezwungen, zu Fragen Stellung zu nehmen, zu denen er sich eine Meinung nicht bilden oder eine solche zumindest nicht äußern will.

(4) Inwieweit die "nicht öffentlichkeitswirksame Befürwortung" terroristischer Mittel eine Unterstützung des Terrorismus darstellen kann, ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls (vgl. Discher, in: GK-AufenthG, Stand: Januar 2007, § 54 RdNr. 484; siehe auch BayVGH, B. v. 25.10.2005 - 24 CS 05.1716, 24 CS 05.1717 -, NVwZ 2006, 227 [228]). Allerdings muss die Befürwortung nicht nur geeignet sein, sondern darüber hinaus auch bezwecken, Terrorakte hervorzurufen, andernfalls würde es am Merkmal der "Gerichtetheit" fehlen (vgl. BVerwG, U. v. 15.3.2005 - 1 C 26/03 -, BVerwGE 123, 114 [124]; Discher, in: GK-AufenthG, Stand: August 2009, § 54 RdNr. 463). In Betracht kommt diese Fallalternative dann, wenn die Befürwortung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer oder religiöser Interessen und Ziele als psychische Unterstützung (Beihilfe) gewertet werden kann, indem sie die Bereitschaft von Terroristen zur konkreten Tatbegehung verstärkt (vgl. Discher, in: GK-AufenthG, Stand: Januar 2007, § 54 RdNr. 484 m.w.N.). Der Nachweis einer "psychischen Unterstützung" durch Förderung der Bereitschaft von Terroristen zur Tatbegehung, sei es durch Schaffung aufhetzender Begleitumstände oder durch das Predigen von Hass und Verachtung gegen Andersdenkende, muss sich jedoch regelmäßig auf entsprechende Tatsachen stützen. Dabei kommt es entscheidend auf die von der jeweiligen Vereinigung propagierte Ideologie, etwaige Schriften und sonstige Aussagen ihrer (führenden) Funktionäre an. Bei deren Beurteilung ist auf den objektiven Empfängerhorizont abzustellen. Lehnt die Vereinigung Gewalt ab, so kommt auch eine psychische Unterstützung des Terrorismus nicht in Frage.

bb) Voraussetzung einer Anwendung des § 54 Nr. 5 AufenthG ist darüber hinaus, dass die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung "feststeht". Denn nur wenn feststeht, dass und zu welchem Zeitpunkt eine Vereinigung terroristische Bestrebungen unterstützt oder sich terroristisch betätigt, kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114 (129) eine tatbestandsmäßige Unterstützung durch einzelne Personen in Betracht. Diese Entscheidung ist zwar noch zu dem früheren § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG ergangen, der teilweise einen anderen Wortlaut hatte. Sie ist insoweit jedoch auch auf den Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG anwendbar (siehe zur Gesetzesgenese eingehend BayVGH, B. v. 12.10.2009 - 10 CS 09.817 - juris, Rn. 21). An dem vorgenannten Kriterium ist deshalb entgegen der Auffassung des Beklagten auch nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes weiter festzuhalten (so auch bereits BayVGH, B. v. 9.11.2005 - 24 CS 05.2621 -, NVwZ 2006, 1306; VG Augsburg, B. v. 29.8.2005 - Au 1 S 05.326 - juris; BayVGH, B. v. 18.7.2006 - 19 C 06.1496 - juris; B. v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 - juris; VGH Kassel, B. v. 10.1.2006 - 12 TG 1911/05 -, NVwZ-RR 2007, 131). [...]

Anders verhält es sich dagegen hinsichtlich der Frage, ob die Vereinigung selbst den Terrorismus unterstützt. Insoweit kommt eine Beweismaßreduzierung aus den oben näher dargelegten Gründen nicht in Betracht. Die Unterstützung des Terrorismus durch die Vereinigung selbst muss vielmehr in jedem Fall "feststehen" (so auch bereits BayVGH, B. v. 9.11.2005 - 24 CS 05.2621 -, NVwZ 2006, 1306; B. v. 18.7.2006 - 19 C 06.1496 - juris; B. v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 - juris; siehe auch VGH Kassel, B. v. 19.1.2006 - 12 TG 1911/05 -, NVwZ-RR 2007, 131), wenngleich der insoweit geforderte Nachweis entsprechend den allgemein anerkannten Regeln des Beweisrechts nicht nur unmittelbar, sondern auch mittelbar (indirekt) in der Form des Indizienbeweises geführt werden kann.

Allerdings ist auch der Indizienbeweis ein Vollbeweis (vgl. Breunig, in: Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 108 RdNr. 9.1). Erforderlich, aber auch genügend ist deshalb eine geschlossene Kette nachgewiesener, in sich schlüssiger und vor allem tragfähiger Hilfstatsachen (Indizien), die den Richter vom Vorliegen der unter Beweis zu stellenden Haupttatsache - hier der Unterstützung des Terrorismus durch eine bestimmte Vereinigung - mit einem so hohen Grad von Gewissheit zu überzeugen vermögen, dass nach der Lebenserfahrung vernünftige Zweifel an der Tatbestandserfüllung nicht mehr bestehen (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., 2009, § 108 RdNr. 5, Fn. 12; zum Indizienbeweis allgemein auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl., 2010, Einf. § 284 RdNr. 16; Höfling/Rixen, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., 2006, § 108 RdNr. 7 f.). Dies setzt voraus, dass andere als die aus den Indiztatsachen abgeleiteten Folgerungen ernstlich nicht in Frage kommen (vgl. Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl., 2009, Vorbem. § 284 RdNr. 11 m.w.N.). Nur dann steht eine Unterstützung des Terrorismus "fest". Reine Mutmaßungen oder gar nur ein allgemeiner Verdacht können die Annahme, eine Vereinigung unterstütze den Terrorismus, nicht rechtfertigen.

b) Gemessen an diesem Maßstab kann die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, letztlich bestünden keine ernsthaften Zweifel, dass zahlreiche Personen, die terroristische Anschläge in verschiedenen Ländern begangen hätten, aus den Reihen der TJ rekrutiert worden seien bzw. mit ihr in Verbindung gestanden hätten, die Annahme, TJ selbst unterstütze den Terrorismus, nicht tragen. Die vom Verwaltungsgericht angeführten 17 Beispielsfälle einer Radikalisierung einzelner Anhänger rechtfertigen für sich allein weder die Feststellung noch die Schlussfolgerung, eine Massenbewegung von weltweit mehreren Millionen Mitgliedern unterstütze den Terrorismus (vgl. bereits BayVGH, B. v. 18.7.2006 - 19 C 06.1496 juris; B. v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 - juris). Schon angesichts der bloßen Zahl von 10 - 12 Millionen Mitgliedern weltweit fehlt es sowohl an der Häufigkeit der Vorkommnisse als auch an der Intensität der Erscheinungsformen, um eine Identität von Attentätern und einzelnen Mitgliedern oder zumindest einer hinreichend großen und damit aussagekräftigen Anzahl von Angehörigen dieser Organisation unterstellen zu dürfen. Dies aber wäre Voraussetzung, damit eine (pauschale) Zurechnung überhaupt in Frage kommt (vgl. auch bereits BayVGH, B. v. 18.7.2006 - 19 C 06.1496 - juris; B. v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 - juris). Bei einer Organisation, die international tätig ist und über eine Vielzahl von Anhängern - hier mehrere Millionen - verfügt, kann aus dem Verhalten Einzelner nicht auf eine Grundeinstellung der Gesamtorganisation oder auch nur der Mehrheit ihrer Mitglieder geschlossen werden (vgl. bereits BayVGH, B. v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 - juris; ebenso OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 8.10.2009 - 7 A 10165/09 - juris).

Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass TJ in der Liste der von der Europäischen Union als terroristisch eingestuften Personen, Vereinigungen und Körperschaften nicht aufgeführt ist (vgl. Anhang zu Art. 1 Gemeinsamer Standpunkt 2009/67/GASP des Europäischen Rates vom 26.1.2009, ABl. L 23 vom 27.1.2009, S. 37 ff.). Daraus ist zu schließen, dass insoweit "ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien" (vgl. zu diesem Maßstab Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Gemeinsamer Standpunkt 2001/931/GASP des Europäischen Rates vom 27.12.2001, ABI. L 344 vom 28.12.2001, S. 93 f.) - jedenfalls bislang - nicht vorliegen (vgl. bereits BayVGH, B. v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 - juris). [...]

Die vom Beklagten vorgelegten Erkenntnisse rechtfertigen deshalb lediglich den Schluss, dass sich radikale islamistische Kräfte in Einzelfällen der Infrastruktur der TJ bedient haben, jedoch nicht, dass eine derartige Inanspruchnahme durch Dritte seitens TJ auf eine Unterstützung des Terrorismus "gerichtet" ist, mit anderen Worten gezielt und zweckgerichtet erfolgt, wie § 54 Nr. 5 AufenthG dies voraussetzt (vgl. zu diesem tatbestandlichen Erfordernis BVerwG, U. v. 15.3.2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114 [124]; Discher, in: GK-AufenthG, Stand: August 2009, § 54 RdNr. 463). Angesichts ihrer auf Gewaltlosigkeit ausgerichteten Lehre und den Verlautbarungen ihrer Führer, aus denen sich nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes Aufrufe zur Gewaltanwendung nicht entnehmen lassen, trifft TJ auch keine Garantenpflicht, alles dafür zu tun, dass ein Missbrauch ihrer Infrastruktur nicht stattfindet (so mit Recht auch OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 8.10.2009 - 7 A 10165/09 - juris). [...]

Folglich handelt es sich um eine lediglich symbolische Präsentation von Überzeugungen, Lehren und Heilsentwürfen, die allein auf der geistigen Wirkebene verbleiben, ohne bereits die Schwelle zu einer sich abzeichnenden Rechtsgutsgefährdung zu überschreiten (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 4.11.2009 - 1 BvR 2150/08 -, NJW 2010, 47 [55] - "Wunsiedel"). Verhaltensweisen der "Islamischen Urgemeinde", die zwar in ahistorischer Weise als mustergültig und richtungsweisend dargestellt, aus denen jedoch nach der Einschätzung des Abschlussberichtes des Bundesamtes für Verfassungsschutz für konkrete Problemstellungen der Gegenwart - etwa im Hinblick auf die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer oder religiöser Ziele - keine spezifischen Handlungsdirektiven abgeleitet werden (vgl. Abschlussbericht, S. 10), können als Anknüpfungspunkt für aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht in Frage kommen. Ein solches Verständnis des Ausweisungstatbestandes des § 54 Nr. 5 AufenthG müsste in grundrechtswidriger Weise dazu führen, allein die von der Mehrheitsgesellschaft abgelehnte (mutmaßliche) Gesinnung eines Einzelnen oder einer Gruppe zum Anknüpfungspunkt aufenthaltsbeendender Maßnahmen zu machen. Für einen so verstanden "Heimtücke-Paragraphen" gibt § 54 Nr. 5. AufenthG jedoch nichts her. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit steht dem entgegen. Art. 5 Abs.1 und 2 GG erlaubt nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen die geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutsverletzungen oder konkrete Rechtsgutsgefährdungen umschlagen (vgl. BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 4.11.2009 - 1 BvR 2150/08 -, NJW 2010, 47 [51] - "Wunsiedel"). Dafür ist nach dem vom Beklagten vorgelegten Erkenntnismaterial indes nichts ersichtlich, denn spezifische Handlungsdirektiven im Hinblick auf die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer oder religiöser Ziele werden nach den Feststellungen des Verfassungsschutzes aus den Verhaltensweisen der "Islamischen Urgemeinde" gerade nicht abgeleitet.

In diesem Zusammenhang gilt es ferner zu bedenken, dass sich der Begriff "Dschihad" (etymologisch: Anstrengung, Kampf, Bemühung, Einsatz) nach der islamischen Theologie nicht allein auf den militärischen (bewaffneten) Kampf (den sog. "kleinen" Dschihad) beschränkt, sondern auch den inneren seelischen (spirituellen) Kampf (den sog. "großen" Dschihad) mit umfasst. Nach postklassischem Verständnis lassen sich bis zu vier Arten des Dschihad unterscheiden, der "Dschihad des Herzens" - im Sinne des spirituellen Kampfes; der "verbale Dschihad" - im Sinne einer Verbreitung des Islam auf friedlichem Wege; der "Dschihad durch Taten" - im Sinne eines richtigen moralischen Verhaltens und der "Dschihad des Schwertes" - im Sinne des militärischen Kampfes (vgl. hierzu http.//de.wikipedia.org/wiki/Dschihad, Stand: 22. Februar 2010). Auch das Märtyrertum hat im Islam eine nicht nur mit dem Tod zusammenhängende, sondern eine weiterreichende Bedeutung im Sinne einer bestimmten "Einstellung und Haltung im Leben". Nach islamischem Verständnis gehört zu den Märtyrern deshalb auch, wer sein Heim, sein Vermögen, seine Familie (...) verteidigt. Nach einem authentischen Ausspruch von Mohammed kann es sogar Märtyrer geben, die nicht einmal verletzt werden (vgl. hierzu de.wikipedia.orq/wiki/Märtyrer, Stand: 22. Februar 2010). Die hierin zum Ausdruck kommende objektive Mehrdeutigkeit der Begriffe "Dschihad" und "Märtyrertum" ist deshalb stets in den Blick zu nehmen, wenn aus deren Verwendung Folgerungen abgeleitet werden sollen (in diesem Sinne auch BGH, B. v. 16.5.2007 - AK 6/07 u. StB 3/07 -, NJW 2007, 2782 [2785]). Letzteres gilt namentlich dann, wenn einer Organisation - wie hier der TJ - Gewaltfreiheit attestiert wird.

Nach dem vom Beklagten vorgelegten Material bestehen deshalb keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass TJ die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer, religiöser oder sonstiger Belange öffentlich unterstützt, billigt oder hervorzurufen bezweckt (so auch OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 8.10.2009 - 7 A 10165/09 - juris). Allein der Umstand, dass Dschihad und Märtyrertum unter Bezugnahme auf die "Islamische Urgemeinde" umfangreich thematisiert und anhand ausgewählter Erzählungen als vorbildlich dargestellt werden, kann die Annahme einer "Befürwortung des Terrorismus" nicht nur aufgrund der objektiven Mehrdeutigkeit der verwandten Begriffe, sondern vor allem auch deshalb nicht tragen, weil - wie das BLfV selbst einräumt - ein Bogen zu gegenwärtigen Ereignissen ausdrücklich nicht geschlagen wird (vgl. Erkenntniszusammenstellung vom 19. August 2009, S. 49). Letzteres findet Bestätigung in der vom BLfV im allgemeinen als zuverlässig charakterisierten und in der Erkenntniszusammenstellung wörtlich wiedergegebenen "Quelle", nach der im Rahmen der Missionstätigkeit von TJ diejenigen Stellen aus dem Koran, die dem Zuhörer intuitiv vermitteln, dass Gewalt und Terror gerechtfertigt seien, nicht gezielt vorgestellt, oder wenn sie hin und wieder doch einmal benutzt werden, keine Kommentierung in Richtung auf den bewaffneten Kampf erfahren (vgl. Erkenntniszusammenstellung, S. 50). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Rechtsverletzungen in der Form historischer Ereignisse als wünschenswert in den Raum gestellt wird, mit anderen Worten die Realsphäre erreichen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 4.11.2009 - 1 BvR 2150/08 -, NJW 2010, 47 [55] - "Wunsiedel"), sind daher nicht ersichtlich. Solche mögen aus der Sicht des Verfassungsschutzes zwar als abstrakte Konsequenz des von TJ vertretenen Gedankengebäudes (vgl. zu dieser Begriffsbildung BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 4.11.2009 - 1 BvR 2150/08 -, NJW 2010, 47 [55] - "Wunsiedel") erscheinen; sie können jedoch, da ein Bogen zu gegenwärtigen Ereignissen nicht geschlagen wird (vgl. Abschlussbericht, S. 13) und entsprechende Äußerungen demzufolge allein auf der geistigen Wirkebene (vgl. zu diesem Begriff BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 4.11.2009, a.a.O., S. 55) verbleiben, Eingriffsmaßnahmen nicht rechtfertigen.

Folgerichtig sieht sich das BLfV auch nur zu der Feststellung in der Lage, die euphorischen Kommentare auf die kriegerischen Auseinandersetzungen der Urgemeinde könnten als Ansporn zum Dschihad und als Märtyrerverherrlichung verstanden werden (vgl. S. 49). Eine solche Mutmaßung allein kann jedoch die Annahme einer Unterstützung des Terrorismus nicht tragen, zumal sich die tatsächliche Hinwendung zu militanten Kreisen nach den - insoweit wohl zutreffenden - Ausführungen des BLfV stets als eine Frage der individuellen charakterlichen Disposition darstellt (vgl. S. 69)." Dies wird auch durch die nachfolgenden Aussagen im Verfassungsschutzbericht des Bundes, 2008, S. 210 bestätigt:

"Einen allgemeingültigen Radikalisierungs- und Rekrutierungsverlauf gibt es nicht. Art und Gewichtung radikalisierungsfördernder Faktoren (z. B. soziale Situation, kulturelle Herkunft und Persönlichkeitsstruktur) unterscheiden sich zum Teil erheblich. Zwar gehen Radikalisierungsprozesse einer möglichen Rekrutierung voraus, sie führen aber nicht notwendigerweise zu terroristischen Aktivitäten." [...]

Aufgrund der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum strafrechtlichen Unterstützungsbegriff des § 129 a StGB, der nach Auffassung des Senats auf § 54 Nr. 5 AufenthG zu übertragen ist, gilt es ferner zu bedenken, dass selbst ein - hier nicht einmal feststellbares - befürwortendes Eintreten für eine terroristische Vereinigung, die Rechtfertigung ihrer Ziele, der aus ihr heraus begangenen Straftaten oder die Verherrlichung ihrer Ideologie - anders als noch in der Vergangenheit - nicht mehr genügt, eine Unterstützung des Terrorismus anzunehmen (vgl. BGH, B. v. 16.5.2007 - AK 6/07 u. StB 3/07 -, NJW 2007, 2782 [2785]). Vielmehr muss sich zumindest aus den Gesamtumständen etwaiger Äußerungen ergeben, dass der Werbende gezielt Mitglieder oder Unterstützer gewinnen will - und zwar zugunsten einer konkreten Organisation (vgl. BGH, B. v. 16.5.2007 - AK 6/07 u. StB 3/07 -, NJW 2007, 2782 [2785]). Allein der Umstand, dass TJ nach den Feststellungen des BLfV Dschihad und Märtyrertum umfangreich thematisiert und diese anhand ausgewählter Erzählungen aus der Zeit der Islamischen Urgemeinde durchweg als vorbildlich dargestellt werden, ohne jedoch einen Bogen zu gegenwärtigen Ereignissen zu schlagen, würde - selbst wenn man TJ mit dem Verfassungsschutz eine entsprechende Motivation im Hinblick auf den bewaffneten Kampf unterstellt - über eine bloße Sympathiewerbung nicht hinausreichen. Letztere hat der Gesetzgeber jedoch aufgrund der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) gerade von einer Tatbestandswirkung freigestellt.

Nach der erwähnten neuen Rechtsprechung des BGH vom 16. Mai 2007 - AK 6107 u. StB 3/07 -, NJW 2007, 2782 (2785) könnte nicht einmal ein allgemein gefasster - nach den Erkenntnissen des BLfV hier ausdrücklich nicht vorliegender - Aufruf, sich an nicht näher gekennzeichneten terroristischen Aktivitäten zu beteiligen, ausreichen, den erforderlichen Organisationsbezug herzustellen. Selbst eine - hier ebenfalls nicht feststellbare - Aufforderung, sich dem Dschihad anzuschließen, würde nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht genügen, da dieser Begriff nicht allein für den Kampf einer oder mehrerer bestimmter terroristischer Vereinigungen, sondern für eine Vielzahl von islamischen Aktivitäten steht, selbst wenn diese nicht durch terroristische Vereinigungen unternommen werden (vgl. BGH, B. v. 16.5.2007 - AK 6/07 u. StB 3/07 -, NJW 2007, 2782 [2785]). Dass TJ für eine konkrete terroristische Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer geworben hätte, ist der Erkenntnissammlung des BLfV ebenfalls nicht zu entnehmen. [...]

Nachdem es - mangels eigener Erkenntnisquellen der Ausländerbehörden und des Senats - in erster Linie Aufgabe der Sicherheitsbehörden und damit letztlich des Beklagten ist, die Tatsachengrundlage für eine Ausweisungsverfügung zu schaffen (vgl. BayVGH, B. v. 25.10.2005 - 24 CS 05.1716 u.a, NVwZ 2006, 227 m.w.N.; B. v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 - juris), war die richterliche Prüfung auf das vorgelegte Erkenntnismaterial zu beschränken. Die daraus zu entnehmenden Fakten und Tatsachen genügen den in § 54 Nr. 5 AufenthG aufgestellten Anforderungen nicht und können deshalb die vom Beklagten verfügte Ausweisung - auch bezogen auf eine nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gebotene gegenwartsbezogene Beurteilung (vgl. BVerwG, U. v. 30.4.2009 - 1 C 6108 -, NVwZ 2009, 1162 [1166]) - nicht tragen. Das vorgelegte Material bietet - selbst wenn man entgegen der hier zugrunde gelegten Ansicht statt eines Vollbeweises bereits eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Tatbestandserfüllung genügen ließe - keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass TJ auf die Begehung terroristischer Taten abzielt, diese wissentlich unterstützt oder diese auch nur - um ihre unterstützende Funktion wissend - billigend in Kauf nimmt (so zutreffend auch OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 8.10.2009 - 7 A 10165/09 - juris, auf der Grundlage des Materials der dort zuständigen Behörden). Auf den Umstand, dass der Kläger - seinen eigenen Angaben zufolge - seit mehr als zwei Jahren keine Verbindungen zu TJ mehr unterhält, kommt es deshalb entscheidungserheblich nicht an.

Unabhängig hiervon ist zu bedenken, dass die Strafverfolgung der Unterstützung ausländischer terroristischer Vereinigungen oder des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für diese gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB eine Entscheidung des Bundesministeriums der Justiz voraussetzt, ob (überhaupt) eine verfolgbare Straftat vorliegt. Bei der Entscheidung über die Erteilung der Ermächtigung hat das Ministerium in Betracht zu ziehen, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei der Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen (vgl. § 129 b Abs. 1 Satz 5 StGB). Damit hat der Gesetzgeber klargestellt, dass er diese Abgrenzung nicht den (Straf-)Verfolgungsbehörden überlassen will. In der Regel wird deshalb nur die Mitgliedschaft bzw. die Unterstützung einer bereits verbotenen Vereinigung oder die Einleitung eines vom Bundesministerium der Justiz nach § 129 b StGB autorisierten Strafverfahrens eine Ausweisung nach sich ziehen können (so namentlich Hailbronner, AuslR, Stand: Februar 2009, RdNr. 29 zu § 54 AufenthG). Auch an diesen Voraussetzungen fehlt es hier. Weder ist TJ nach dem Vereinsgesetz verboten noch hat das Bundesministerium der Justiz die Einleitung eines Strafverfahrens autorisiert.

2. Ebenso wenig vermag § 54 Nr. 5 a AufenthG die Ausweisung des Klägers zu rechtfertigen.

a) Nach dieser Bestimmung wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder - was vorliegend jedoch nicht in Betracht kommt - sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht. Für die Feststellung einer Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland reicht allein die bloße Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die ihrerseits wegen Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder der inneren Sicherheit verboten werden kann oder verboten ist, für sich genommen nicht aus (vgl. BVerwG, U. v. 13.1.2009 - 1 C 2/08 -, NVwZ 2009, 727 [729]; VGH Kassel, B. v. 10.1.2006 - 12 TG 1911/05 -, NVwZ-RR 2007, 131 [132]; BayVGH, B. v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 - juris). Dies folgt unmittelbar aus der Systematik des § 54 AufenthG selbst. Denn nach § 54 Nr. 7 AufenthG erfüllt den Regel-Ausweisungstatbestand ohne weitergehende Feststellung nur, wer zu den Leitern eines unanfechtbar verbotenen Vereins gehörte. Bei einer sonstigen Betätigung für eine verbotene oder verbietbare Vereinigung muss sich demnach der vereinsrechtliche Verbotsgrund der Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland in der Person des Ausländers konkretisiert haben (vgl. BVerwG, U. v. 13.1.2009 - 1 C 2/08 -, NVwZ 2009, 727 [729]; VGH Kassel, B. v. 10.1.2006 - 12 TK 1911/05 -, NVwZ-RR 2007, 131 [132]; BayVGH, B. v. 9.11.2005 - 24 CS 05.2621 -, NVwZ 2006, 1306 [1310]; B. v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 - juris; VGH BW, B. v. 18.11.2004 - 13 S 2394/04 -, InfAuslR 2005, 31 [34]); der Ausländer muss mit anderen Worten bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats - von besonderen Umständen einmal abgesehen - selbst eine gegenwärtige Gefahr darstellen (vgl. BVerwG, U. v. 13.1.2009 -, 1 C 2108 -, NVwZ 2009, 727 [729]); siehe hierzu auch Discher, in: GK-AufenthG, Stand: August 2009, § 54 RdNr. 603 m.w.N.). [...]

Auch das Verfolgen von gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichteter Bestrebungen (vgl. hierzu etwa § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG) genügt - sofern es unterhalb der Schwelle einer konkreten Gefährdung verbleibt - nicht, um den Tatbestand des § 54 Nr. 5 a AufenthG zu verwirklichen. Im Gegensatz zu § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist der Sicherheitsschutz im Rahmen des § 54 Nr. 5 a AufenthG - anders als etwa hinsichtlich der Zugehörigkeit zu einer Vereinigung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG - nicht auf die Ebene eines bloßen Gefahrenverdachts vorverlagert (vgl. Discher, in: GK-AufenthG, Stand: August 2009, § 54 RdNr. 590). Das Staatsangehörigkeitsrecht folgt anderen - strengeren - Regeln und Grundsätzen. Es macht in der Tat einen erheblichen Unterschied, ob jemand Aufnahme in die staatlich verfasste Gemeinschaft begehrt oder lediglich deren Gastrecht in Anspruch nehmen möchte. Die in der Entscheidung des BayVGH vom 15. März 2008 - 5 B 05.1449 - entwickelten Maßstäbe und Grundsätze lassen sich daher - schon aufgrund der Verschiedenheit der einzelnen Tatbestände - nicht auf das Aufenthaltsrecht übertragen (vgl. auch bereits BayVGH, B. v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 - juris). [...]

Die bloße Ablehnung der realen politischen und sozialen Verhältnisse in der Bundesrepublik ist dagegen schon aufgrund der durch Art. 4 und 5 GG garantierten Glaubens-, Meinungs- und Weltanschauungsfreiheit nicht geeignet, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu gefährden (vgl. Discher, in: GK-AufenthG, Stand: August 2009, § 54 RdNr. 615). Letzteres ist vielmehr erst dann der Fall, wenn etwa die Vorstellung eines islamischen (Gottes-)Staates der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes unter Wahrung der Bereitschaft zu rechtskonformem Handeln nicht mehr nur kritisch oder ablehnend gegenübergestellt, sondern die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaat sowie der in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz der Menschenwürde in aggressiver Weise bekämpft werden (vgl. BVerwG, U. v. 27.11.2002 - 6 A 4/02 -, NVwZ 2003, 986 [989]; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 1. Senats vom 2.10.2003 - 1 BvR 536/03 -, NJW 2004, 47 [48]; BayVGH, B. v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 - juris). Nicht schon die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen als solche bildet die Grenze der freien politischen Auseinandersetzung, sondern erst die aggressiv-kämpferische Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung (vgl. BVerfGE 5, 85 [141]). Entsprechend gewährleistet Art. 5 GG die Meinungsfreiheit als Geistesfreiheit unabhängig von der inhaltlichen Bewertung ihrer Richtigkeit, rechtlichen Durchsetzbarkeit oder Gefährlichkeit (vgl. BVerfGE 90, 241 [2471) und erlaubt infolgedessen nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des bloßen Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutsverletzungen oder konkrete Rechtsgutsgefährdungen umschlagen (vgl. BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 4.11.2009 - 1 BvR 2150/08 -, NJW 2010, 47 [51] - "Wunsiedel").

Maßgebend ist auch insoweit das tatsächliche, nach weltlichen Kriterien zu beurteilende Verhalten der Akteure, nicht aber ihre religiöse Überzeugung, die zu bewerten dem Staat aufgrund seiner Verpflichtung zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verwehrt ist (vgl. BVerfGE 102, 370 [394]). Die bloße Überzeugung, Gottes Gebote gingen dem staatlichen Gesetz vor, vermag daher - jedenfalls solange hieraus keine mit der Rechtsordnung in Konflikt tretende Folgerungen im Hinblick auf eine praktische Umsetzung gezogen werden - staatliche Eingriffsmaßnahmen nicht zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 1. Senats vom 2.10.2003 - 1 BvR 536/03 -, NJW 2004, 47 [48]). Die Wertvorstellungen von Religions- und Weltanschauungs-Gemeinschaften müssen, schon weil ihnen über die jeden Staatsbürger treffende Verpflichtung zur Beachtung der Gesetze hinaus keine (weiteren) Loyalitätspflichten auferlegt sind (vgl. BVerfGE 102, 370 [391; 395]), mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht in Einklang stehen (vgl. BVerfG, Beschluss des 2. Senats vom 24.10.2006 - 2 BvR 1908/03 -, DVBl 2007, 119 [121]). [...]

Ungeachtet dessen würde es - ein die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdendes Verhalten einmal unterstellt - auch an der weiteren Voraussetzung einer auf Tatsachen gestützten, nicht lediglich entfernten Möglichkeit eines Schadenseintritts (vgl. hierzu OVG Bremen, B. v. 20.6.2005 - 1 B 128/05 -, NVwZ-RR 2006, 643 [644] m.w.N.) fehlen. Es kann als ausgeschlossen gelten, dass eine unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehende, das Tageslicht der gesellschaftlichen Auseinandersetzung scheuende Gruppierung von rund 400 Anhängern bundesweit, 140 bayernweit (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2008, S. 56) mit einem im Wesentlichen nicht öffentlichkeitswirksamen, mehr oder minder internen Propagieren eines islamischen Gottesstaates in der Lage wäre, die nötige Breitenwirkung zu erzielen, um die im Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft fest verankerte freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland in Gefahr zu bringen. [...]