VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 08.02.2010 - 7 K 1224/09.A u.a. - asyl.net: M16744
https://www.asyl.net/rsdb/M16744
Leitsatz:

Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Roma werden im Gesundheits- und Sozialsystem in Bosnien-Herzegowina benachteiligt. Auch die Zusicherung einer Kostenübernahme für zwei Jahre durch die Ausländerbehörde lässt das Abschiebungsverbot nach der Rechtsprechung des OVG NRW nicht entfallen.

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, Bosnien-Herzegowina, Roma, Wiederaufnahme, medizinische Versorgung, multiple Erkankungen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Gemessen an diesen Maßgaben sind die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für die Kläger mit Blick auf das Land ihrer Staatsangehörigkeit - Bosnien und Herzegowina - gegeben.

Die Kläger sind zur Überzeugung des Gerichts nach den von der Beklagten unwidersprochenen ärztlichen Attesten sowie Befundberichten in erheblichem Umfang erkrankt. Sie bedürfen deshalb einer umfangreichen Medikation, die sich aus den ebenfalls von der Beklagten unwidersprochenen Verordnungsplänen der Ärzte ergibt. Ebenso steht für das Gericht nach diesen Attesten fest, dass sie im Falle der Nichtbehandelbarkeit ihrer Erkrankungen sowie einer Unterbrechung der erforderlichen Medikation alsbald in eine lebensbedrohliche Lage geraten werden. Auch wenn einzelne der Erkrankungen, unter denen die Kläger leiden, möglicherweise in der Republik Bosnien und Herzegowina vom Grundsatz her behandelbar sein dürften, so gilt dies angesichts des schlechten Zustandes vieler - insbesondere staatlicher - medizinischer Einrichtungen in Bosnien und Herzegowina, vor allem außerhalb von Sarajewo, nicht für die Gesamtheit der multiplen Erkrankungen der Kläger (vgl. dazu Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21.09.2009 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Bosnien und Herzegowina).

In diesem Lagebericht wird zudem ausgeführt, dass zwar alle Arbeitstätigen, Rentner und als arbeitslos gemeldeten Personen gesetzlich krankenversichert sind. Dennoch gibt es insbesondere bei nicht arbeitsfähigen Flüchtlingen, die aus dem Ausland zurückkehrten und nie einer Beschäftigung nachgegangen sind, immer wieder Probleme bis hin zur Verweigerung der Gesundheitsfürsorge. Darüber hinaus führt der Lagebericht ausdrücklich aus, dass Roma - wie die Kläger - auch im Vergleich zu Angehörigen anderer Minderheiten in verschiedenen Bereichen nicht auf die Unterstützung staatlicher Stellen hoffen können. Insbesondere auch beim Erhalt von Sozialleistungen und einer Krankenversicherung werden Roma häufig benachteiligt. Entsprechend verfügt lediglich ein Drittel der Roma über eine Krankenversicherung.

Ausgehend davon ergibt sich, dass die notwendige medizinische Versorgung der Kläger in Bosnien und Herzegowina jedenfalls in diesem speziellen Falle in finanzieller Hinsicht ausgeschlossen ist. Die Kläger sind mittellos und aufgrund ihrer Erkrankungen werden sie auch nicht in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt in Bosnien und Herzegowina aus eigener Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Angesichts einer Arbeitslosenquote von 40 % und einer Höhe der Sozialhilfeleistungen zwischen umgerechnet 5 und 55 € pro Monat (so Auswärtiges Amt, a.a.O.) könnten die Kläger, selbst wenn man den Erhalt von Sozialleistungen ungeachtet der oben dargelegten Tatsachen unterstellt, die notwendige ärztliche Behandlung und Medikation in Bosnien-Herzegowina nicht bezahlen, wobei davon auszugehen ist, dass die von der Beklagten selbst eingeräumten Kosten in Höhe von 100 bis 200 € monatlich allein für die Klägerin zutreffen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die zuständige Ausländerbehörde den Klägern zugesichert hat, die Finanzierung von Behandlungen und erforderlichen Medikamenten für einen Zeitraum von zwei Jahren zu übernehmen. Eine solche Finanzierung erforderlicher Medikamente für einen Übergangszeitraum nach der Rückkehr ins Heimatland lässt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nach der Rechtsprechung des OVG NRW, von der abzuweichen das Gericht keinen Anlass sieht, nur entfallen, wenn mit hinreichender Hinsicht erwartet werden kann, dass danach die erforderliche weitere Behandlung im Zielstaat dem Ausländer zur Verfügung steht (so OVG NRW, Beschluss vom 22.01.2007 - 18 E 274/06 -).

Dies lässt sich trotz der Zusicherung einer Finanzierung über einen Zeitraum von zwei Jahren hier nicht feststellen. Angesichts der Tatsache, dass sich die medizinische Versorgung in der Republik Bosnien und Herzegowina seit ihrer Gründung durch das Daytoner Abkommen im Jahre 1995 bislang noch nicht entscheidend verbessert hat, ist nicht zu ersehen, dass dies in den nächsten zwei Jahren der Fall sein könnte mit der Folge, dass den Klägern nicht eine erhebliche Lebensgefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei einer Rückkehr in ihr Heimatland drohen würde. [...]