Widerruf einer Flüchtlingsanerkennung. Selbst bei Annahme eines bewaffneten Konflikts im Irak besteht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG, da der Kläger in der Provinz Tamim keiner erheblichen individuellen Gefahr durch einen solchen Konflikt ausgesetzt wäre. In der Provinz Tamim mit der Provinzhauptstadt Kirkuk leben 900.000 bis 1.130.00 Menschen, im Jahr 2009 gab es 99 Anschläge mit insgesamt 288 Toten; bei 900.000 Einwohnern sind dies 31,9 Tote je 100.000 Einwohner bzw. 25,5 Tote bei 1.130.000 Einwohnern. Der Grad willkürlicher Gewalt hat somit kein so hohes Niveau, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region ernsthaften individuellen Bedrohungen ausgesetzt ist.
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1. Der Widerruf der vom Bundesamt am 4.4.2001 getroffenen Feststellung, dass in der Person des Klägers der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gegeben sind, ist durch § 73 Abs. 1 AsylVfG gedeckt.
Die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, ist nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist nach Satz 2 insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Dies gilt nach Satz 3 nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann. Danach muss die asylrelevante Verfolgungsgefahr objektiv entfallen sein, d.h. die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse müssen sich nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so geändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Das ist hier der Fall. [...]
b) Dem Kläger droht auch nicht aus anderen Gründen asylrechtlich relevante Verfolgung. [...]
Das Verwaltungsgericht hat zwar angenommen, dass der Kläger "als exponierter Kritiker des Regimes Saddam Husseins" vor einer Verfolgung durch Anhänger dieses Systems nicht hinreichend sicher sei und weder die irakischen Sicherheitskräfte noch die multinationalen Streitkräfte in der Lage seien, Schutz vor einer solchen Verfolgung zu bieten und dass keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe (§ 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Den im verwaltungsgerichtlichen Urteil getroffenen Feststellungen können jedoch keine Anhaltspunkte für eine erkennbare Gegnerschaft des Klägers gegen das Regime Saddam Husseins entnommen werden. Aus dem zur Begründung des im Jahre 2001 gestellten Asylantrags behaupteten - unwissentlichen - Schmuggel von Devisen und CDs für gegen das Saddam-Regime gerichtete Kräfte lässt sich eine solche erkennbare Gegnerschaft nicht herleiten. Davon abgesehen ist die Glaubhaftigkeit dieser Angaben im Behördenverfahren nicht überprüft und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ohne Begründung unterstellt worden. Auch dazu, welche Gründe die Anhänger des früheren Herrschaftssystems haben sollten, gegen den nach seinem eigenen Vortrag allenfalls am äußeren Rand gegen dieses System tätigen Kläger vorzugehen, kann dem Urteil des Verwaltungsgerichts nichts entnommen werden. Eine Verfolgung oder Bedrohung durch die Anhänger des früheren Regimes macht im Übrigen auch der Kläger selbst nicht geltend. [...]
Die Frage, ob die derzeitige Situation im Irak die landesweit oder auch nur regional gültige Annahme eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts rechtfertigt, dürfte hiervon ausgehend zu verneinen sein. Die Frage kann jedoch auf sich beruhen, da selbst bei der Annahme eines solchen Konflikts ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG nur besteht, wenn der Ausländer einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben "im Rahmen" dieses Konflikts ausgesetzt ist. Eine solche Gefahr lässt sich im Fall des Klägers nicht feststellen.
Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2009 - 10 C 9.08 - (BVerwGE 134, 188) kann sich die nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG erforderliche Individualisierung der sich aus einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ergebenden allgemeinen Gefahr nicht nur aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann vielmehr unabhängig davon ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Gefahrerhöhende Umstände in seiner Person werden vom Kläger nicht geltend gemacht. Für das Vorliegen solcher Umstände vermag auch der Senat nichts zu erkennen. Die erforderliche Individualisierung könnte sich daher nur durch einen besonders hohen Grad der dem Kläger in seiner Heimatregion drohenden Gefahren ergeben, vor denen er auch in den übrigen Teilen des Irak keinen Schutz finden kann. Ein so hoher Gefahrengrad, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, lässt sich jedoch für die Provinz Tamim, aus welcher der Kläger nach seinen Angaben stammt, nicht feststellen. [...]
In der Provinz Tamim mit der Provinzhauptstadt Kirkuk, in der insgesamt zwischen 900.000 und 1.130.000 Menschen leben (davon ca. 750.000 in der Hauptstadt Kirkuk), habe es im Jahr 2009 99 Anschläge mit insgesamt 288 Toten gegeben. Dies seien bei 900.000 Einwohnern 31,9 Tote je 100.000 Einwohner bzw. bei Annahme einer Einwohnerzahl von 1.130.000 25,5 Tote je 100.000 Einwohner.
Nach diesen Erkenntnissen kann selbst bei Annahme eines innerstaatlichen oder internationalen Konflikts in der Provinz Tamim nicht davon ausgegangen werden, dass der diesen Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist. [...]